FolkWorld #76 11/2021

CD Rezensionen

Ambäck "Doorzögli"
Eigenverlag, 2021

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www.ambaeck.ch

Nach alter Schweizer Volksmusik muss man gründlich suchen. Ambäck ist ein Trio aus der Schweiz, dessen Mitglieder sich an einer Luzerner Hochschule zusammenfanden. Die Schweizer Volksmusik, die heute gelegentlich in einigen schwer zugänglichen Tälern gespielt wird, war einst als Tanzmusik gedacht. Geigen spielten auf, bis die Schwyzerörgeli diese etwas in den Hintergrund drängte. Der Geiger Andreas Gabriel, Markus Flückiger mit seiner Schwyzerörgeli und Bassist Pirmin Huber haben auf ihrem Album "Doorzögli" ein paar Lieder zusammengetragen, die man auch in verrauchten Gaststuben spielen kann, während Geschirr und Besteck klappert oder Kaffeevollautomaten schnauben. Interessant dabei ist, dass ein paar der Polkas etwas Countryhaftes besitzen. Doch wenn man die Geschichte der amerikanischen Musik genauer betrachtet, so waren es ja gerade die Dorf- und Kneipenmusiker aus Europa, die für die Unterhaltung der amerikanischen Überlandpioniere verantworllich waren. Ambäck sorgt mit seinen 20 launigen Stücken auf der CD "Doorzögli" für gute Laune.
© Karsten Rube


Aua Aua "Alles Gut"
KickMusic, 2018

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www.auamusik.com

Aua Aua arrangiert sich mit ihrem Album "Alles Gut" konsequent an allen Erwartungen vorbei. Stoische Gitarrenmonstersongs, wie "Spät" dröhnen den Hörer in eine tranceartige Betäubung. Rockige Nummern folgen, dicht am Chaos vorbei, dann wieder kommt die Band mit kantiger Ostrock-Poesie, wie in "Die Party". Aua Aua gefällt sich in der Rolle des Punk mit Folkroots, tobt sich zuweilen auch jazzig aus und gibt trotzdem jeder offenen Schublade, die auf die Band wartet, einen schmissigen Tritt. Und manchmal tut die Musik auf dem Album auch einfach nur weh. Was so sicher gewollt ist.
© Karsten Rube


AySay "Su Akar"
Nordic Notes, 2021

Article: AySay

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www.aysay.dk

AySay ist ein Folktrio, das sich in Dänemark gründete. Die Sängerin Luna Erashin ist Tochter einer Dänin und eines Kurden. Sie ist selbst eine Grenzgängerin, die sich bewusst für die kulturelle Vielfalt entscheidet. In den Songs des Albums "Su Akar" verschwimmen die Identitäten und kulturellen Grenzen. Nordische Mythologie scheint zuweilen durch die verspielte vorderasiatische Klangharmonie. Die skandinavischen Sprachen und die des Nahen Ostens beleben das Netz, das die verschiedenen kulturellen Wurzeln der Künstlerin weben. Luna Erashin umgeht die peinliche Debatte um kulturelle Identitäten, indem sie die eigenen bewusst betont und miteinander verbindet. Zurückhaltende Kompositionen zeichnen das Album aus. Gitarre, Gesang, Perkussion, von allem nicht zu viel. Dazu ein paar Gastmusiker, die mit du, Klarinette und allerlei Blasinstrumenten aus dem östlichen Mittelmeerraum das Klangspektrum erweitern.
© Karsten Rube


Barbora Xu "Olin Ennen"
Nordic Notes, 2021

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www.barboraxu.com

In einem Teil der heutigen Gesellschaft ist es zutiefst verpönt nach der Herkunft gefragt zu werden. Würde man die Frage nach den Wurzeln in der Musik ebenso als beleidigend empfinden, könnte man den Großteil der modernen und der traditionellen Musik von den Hörlisten streichen. In der Weltmusik - oder Globalmusik, wie es seit kurzem korrekt heißen soll, da der Begriff Worldmusic mit Kolonialisierung verbunden werden könnte, (so jedenfalls betont das renommierte Gremium der Grammypreisjury) - ist der Hinweis auf die Wurzeln häufig das Fundament, auf dem die Musik steht. Wer Brücken schlagen will, benötigt zwei Ufer, in denen die Anfänge wurzeln. Die finnisch-tschechische Musikerin Barbora Xu fügt zu ihren beiden europäischen Ufern gleich noch ein Drittes hinzu. Die skandinavische Musik ist ein Element, in der sich die junge Tschechin wohlfühlt. Die Kantele, die traditionelle Zitter der finnischen Folklore, beherrscht sie meisterhaft. Doch auch das verwandte Instrumente aus Fernost, die chinesische Guzheng, ist ihr gut geläufig. Auf dem Album "Olin Ennen" verbindet sie nun chinesische Weisen mit finnischer Folklore. Beim Hören der Musik wird schnell klar, dass sich die Musik aus Ost und West bestens verstehen. Beide Kulturen, die fernöstliche und die nordische bleiben in ihrer Klangform erhalten. Beide Kulturen harmonieren allerdings in der Musik von Barbora Xu vortrefflich. Es wird kein Brei, in dem beide ihre Identitäten auflösen, sondern beide Stilistiken präsentieren uns ihre jeweils eigene Schönheit, ohne zu konkurrieren. Es ist ein beruhigendes Schweben in den Klängen dieser Zittern.
© Karsten Rube


Dem Trio "Anatolian Dances"
Felmay, 2015-2021

Das DemTrio aus der Türkei lebt auf dem Album "Anatolian Dances" seine Vorlieben für die traditionelle Musik Anatoliens aus. Kompositionen und Improvisationen aus mehreren Jahrhunderten werden zu Tänzen in der Gegenwart und der Vergangenheit. Bis in die Antike hinein verfolgen sie den Weg der anatolischen Kultur. Dazu suchten die drei Musiker Deryan Türkan, Murat Salim Kokac und Cank Güray nach alten, zum Teil vergessenen Instrumenten, um die alten Musiken möglichst dem Originalbild ähneln zu lassen. "Anatolian Dances" ist als Album kulturhistorisch durchaus bedeutend, ist allerdings auch ohne diesen Anspruch beim Zuhören sehr unterhaltsam.
© Karsten Rube


Fanfare Ciocărlia "It wasn't hard to love you"
Asphalt Tango Records, 2021

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Im Nordosten Rumäniens, kurz vor der Grenze zu Moldawien, weiß man bei einer Hochzeit noch richtig mit Blasmusik anzuheizen. Heute, wie vor 25 Jahren. Damals traf der deutsche Toningenieur Henry Ernst in der Abgeschiedenheit des rumänischen Landes auf die Blaskapelle Fanfare Ciocarlia und schaffte es irgendwie, diese zu Auftritten und Plattenaufnahmen nach Deutschland zu locken. 25 Jahre später ist die Fanfare Ciocarlia eine der bekanntesten Balkanbrasskapellen überhaupt. Die Romamusiker haben mit Noten nicht viel am Hut. Die Lieder wurden immer auf traditionelle Weise weitergegeben. Durch das Mit- und Nachspielen. Das Album "It wasn't hard to love you" von 2021 zeigt, dass die Band bis heute nicht müde geworden ist ordentlich zum Sturm zu blasen. Das fängt schon damit an, das sie den alten Schmuseklassiker "Just the two of us" von Bill Withers durch ihre Windmaschinen jagen. Mit fürchterlicher englischer Aussprache machen sie diesen Song zu einem verblüffenden Einstieg in das aktuelle Album, den man nur dadurch erklären kann, dass diese Adaption für den Film "Borat 2" von Sasha Baron Cohen eingespielt wurde. Dessen Humor ist bekanntermaßen etwas eigenwillig. Dass die Fanfare von Ruhe nicht viel hält, bemerkt man spätestens bei Titeln, wie "Song for Noga" und "Porsche Polka". Hier brennt die geblasene Luft. "Red Moon" ist musikalisch nicht weniger dynamisch, wirkt aber etwas domestiziert. Man weiß nicht so recht, wann sich die Musiker, während dieser 45 Minuten frische Luft gönnen. Der Hörer bleibt bei diesem Feuerwerk atemlos zurück. Das Album ist schrill, witzig, laut, mitreißend.
© Karsten Rube


Geronimo "Run High"
Trad Records, 2021

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Article: Naragonia invites

www.jeroengeerinck.com

Manchmal erwischt mich gute Musik ziemlich überraschend. Ein unscheinbares Cover liegt vor mir, bräunlich, mit einem im Gegenlicht fotografierten Jogger auf dem Lande. Zwei Zäune rechts und links des Weges. Ein Cover, dem man in der Betrachtung kaum Zeit widmet. Geronimo nennt sich der Musiker, der dahinter steht. Niemand, von dem ich je gehört hätte, abgesehen davon, dass ich den Namen mit einem berühmten Apachen in Zusammenhang bringe. Geronimo, der Musiker, heißt eigentlich Jeroen Geerinck und ist als Gitarrist, in der belgischen Folkszene aktiv. In Bands, wie Snaarmaarwaar, Hot Griselda und Spilar wirkte er mit. Geronimo nennt er ein Soloprojekt, das er seit ein paar Jahren verfolgt. Er spielt, wie auf dem aktuellen Album gut zu verfolgen ist, verschiedene Gitarren. Die Songs pendeln zwischen Rock, Jazz und Folk, besitzen eine vereinnahmende Dynamik. Die Songs versuchen einen aktiven, sportlichen Tag wiederzugeben. Vom Tagesanbruch an, über einen kleinen Lauf entlang einer Feuchtwiese. "The Rundown" lässt einem untrainierten Zuhörer nach Luft schnappen. Dann folgt mit "Pace up" eine rasante Beschleunigung. Später erwartet den Hörer ein "Weitsprung". Etwas Beruhigung gibt es beim "Promenieren". Am Ende kann man abgekämpft und glücklich in den Sonnenuntergang, dem "Dawn" spazieren. Nur selten ergänzt Geronimo sein Gitarrenspiel mit programmierter perkussiver Begleitung oder auch mit dezenter Elektroorgel. "Run High" ist wie eine Dreiviertelstunde Workout mit anschließender glücklicher Erholungseinheit.
© Karsten Rube


Henna "Young Femal Voices from Palaestine"
Kirkelig Kulturversted, 2021

Dem norwegischen Außenministerium untersteht eine kleine Abteilung für kulturfördernde Maßnahmen. Diese finanziert bereits seit Jahren das Plattenlabel der Kirkelig Kultuversted. Viele Künstler aus der Region arbeiteten bereits für das Label. Immer wieder lässt das Projekt auch Musiker zu Wort und Klang kommen, denen es in ihren Heimatländern an Möglichkeiten fehlt, Musik aufzunehmen. Eine der neueren Aufnahmen, die eingespielt wurden, unterstützt junge Künstlerinnen aus Palästina, die in ihrem Land bereits für Aufmerksamkeit gesorgt haben. Die CD "Henna"[75] präsentiert sechs Solokünstlerinnen sowie den bekannten Chor der Daughters of Jerusalem. Die Künstlerinnen sind alle jünger als 30 Jahre und stammen aus Gaza oder Jerusalem. Die Frauen, die für dieses musikalisch ambitionierte Projekt gewonnen werden konnten, haben an arabischen Schulen Musik studiert und etwas Liveerfahrung gesammelt. Die Aufnahmen selbst entstanden in einem Plattenstudio in Ramallah, im Westjordanland. Zu hören sind neben den Daughters of Jerusalem Sängerinnen, wie Miral Ayyad, die bei der arabischen Version von "The Voice - Kids" für Aufmerksamkeit sorgte und die siebenundzwanzigjährige Nour Fretiekh aus Nablus. Nour Fretiekh war Mitglied bei verschiedenen palästinensischen Musikgruppen, spielt Oud, arrangiert klassische arabische Kompositionen um und entwickelt daraus zeitgemäße Popsongs. Die CD "Henna" zeigt keinen großen Querschnitt der palästinensischen Musik auf, da sich die jungen Künstlerinnen musikalisch und stilistisch auf gleichem Niveau bewegen. Aber sie zeigt die Qualität und die Hingabe, mit der die Kunst in bewegten Zeiten und an unsicheren Orten am Leben gehalten wird.
© Karsten Rube


Hornroh Modern Alphorn Quartet "Eigenbräu"
Zytglogge, 2021

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www.hornroh.ch

Das Alphorn ist nicht als einfaches Reiseinstrument bekannt und vielleicht deshalb auch nicht auf den zahllosen Festivalbühnen der Welt zu bewundern. Auf Grund seiner Bauform, die in der kürzesten Variante immer noch bei 2,45 m liegt und beim größten bekannten spielbaren Horn die 15 Meter ankratzt, ist es auch nicht schnell im U-Bahntunnel für den Straßenmusikanten attraktiv. Das Horn, gibt nur Naturtöne her. Somit ist auch sein musikalischer Variationsreichtum begrenzt. Um so überraschender ist mit dem Hornroh Modern Alphorn Quartet ein überaus virtuoses Ensemble zu hören, das diesen starren Tuben harmonische Klangfolgen abringt. Ausgeklügelte Arrangements bringen Stücke hervor, die zu originellen Varianten von bekannten Volksweisen aus dem Alpenraum werden. Ein durchaus interessantes Hörerlebnis.
© Karsten Rube


Jeanette Hubert "Home"
Broken Silence, 2021

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www.jeanettehubert.com

Lange hat sie sich Zeit gelassen, die Berlinerin und Liedermacherin Jeanette Hubert. Ihr Debüt "On the Run" ist Jahre her. Schon damals - 2012 - bescheinigten Kritiker und Hörer der Sängerin einen unwiderstehlichen Ausdruck von Persönlichkeit. Davon hat sie nichts verloren. Im Gegenteil. "Home" ist ein wunderschönes, ehrlich klingendes Songwriteralbum, mit harmonischen, leicht jazzigen Kompositionen, die sich auf einer leisen Welle der Melancholie in Richtung Hoffnung treiben lassen. Sie erzählt von kleinen, gut beobachteten Momenten, wie denen, die offenbaren, wie sehr man sich gesehnt hat, einen lang vermissten Freund wiederzusehen, um im Wiedersehen zu erkennen, dass von der einstigen Unbeschwertheit nichts mehr übrig ist. Alle Lieder erzählen von Begegnungen mit Menschen, den Verwunderungen und Verwundungen, die sie hinterlassen. Aber ihre Musik wirkt nicht ruhelos, sondern geerdet. Was man auch am Albumtitel erkennt. "Home" ist nicht die Aufforderung zum Zuhause bleiben, der wir lange folgen mussten, sondern vielmehr das Gefühl, willkommen zu sein, da wo man ist. Man muss sich tatsächlich nur diese gelungene CD anhören, um ein Gefühl von Geborgenheit zu verspüren. Selten umschloss jemand dieses Gefühl so warmherzig in Noten.
© Karsten Rube


Kasai Allstars "black ants always fly together, one bangle makes no sound"
Crammed Discs, 2021

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kasaiallstars.bandcamp.com

In der Provinz Kasai im Süden der Republik Kongo brodelt es. Politisch ebenso wie kulturell. Musiker aus verschiedenen ethnischen Gruppen, deren kulturelle Stilistiken sehr unterschiedlich sind, fanden sich vor Jahren zusammen und versuchten es mit Versöhnlichkeit, statt Konkurrenz. Heraus kam das 25-köpfige Ensemble der Kasai Allstars, das heute in Kongos Hauptstadt Kinshasa ansässig ist. Mittlerweile in Weltmusikkreisen gut vernetzt und bestens bekannt, wurde den Kasai Allstars sogar ein Film gewidmet. "Félicité" so der Name des Filmes, bekam den Silbernen Bären bei der Berlinale 2017. Das aktuelle Album "black ants always fly together, one bangle makes no sound" gibt erneut die stimmungsgeladene Virtuosität der Künstler aus dem Kongo wieder. Die Musiker haben für diese Aufnahmen vielfältige Inspirationen aus ihren Heimatgebieten gesammelt und zu inspirierenden Stücken gebündelt. Es ist eine phänomenale Mischung aus traditioneller, ritueller und Trance- mit Avantgardemusik, die sich zu einem eigenen Stil des Afrofolkpop verbindet.
© Karsten Rube


Lalala Napoli "Cavalluccio"
La Curieuse, 2021

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lalalanapoli.blogspot.com

Die pulsierende Mittelmeermetropole Neapel gehört zu den widersprüchlichsten Städten des europäischen Südens. Einerseits wunderschön gelegen zwischen Vesuv und dem Golf von Neapel, gesegnet mit kulturellem Reichtum und architektonischen Schönheiten, ist es andererseits auch eine wildwuchernde Bauhölle, gespickt mit vor Einfallslosigkeit dümpelnden Neubauten, mit hässlichen, verfallenden Vierteln und verdreckten, verwahrlosten Plätzen bis tief ins Zentrum der Stadt. Unbegreifbarer Luxus und extreme Armut zeichnen das Leben in der Stadt. Kriminalität und Vetternwirtschaft machen Neapel kaum noch regierbar. Man kann diese Stadt lieben oder hassen. Die Einwohner machen beides. Gleichzeitig. Lieder davon singen viele. Auch François Castiello. Der Sänger und Akkordeonist war Triebfeder der französischen Kultkapelle Bratsch. Wurzeln hat er in Neapel. Diesen spürt er seit Jahren nach. Das Album "Cavalluccio" ist ein musikalischer Ritt entlang des Vulkans. Immer mit dem erhobenen Mittelfinger an dessen Krater entlang, solange er nicht grummelt. Wut und Tempo machen die etwas technolastige Grundfolklore des Albums ruppig und unheilvoll. Die inoffizielle Hymne des SSC Napoli eröffnet diese Huldigung an die unruhige Metropole. Die ohnehin schon schweißtreibenden Rhythmen der neapolitanischen Tarantella werden auf dem Album mit E-Gitarren vorangepeitscht. Das Akkordeon Castiellos quietscht und dröhnt und beschleunigt das Tempo, wie ein außer Kontrolle geratenes Kettenkarussell. "Cavalluccio" präsentiert die ganze schwindelerregende Widersprüchlichkeit der Stadt unter dem Vulkan.
© Karsten Rube


Monsieur Doumani "Pissourin"
Glitterbeat, 2021

Article: Monsieur Doumani

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www.monsieurdoumani.com

Auf dem vierten Album der überaus aktiven zypriotischen Folkkapelle Monsieur Doumani widmen sich die Musiker um Antonis Antoniou dunklen Momenten. Wenn die Nacht am tiefsten ist, verschwinden die klaren Konturen und alles bleibt wage, mystisch, unheimlich. Diesem Gefühl der Unheimlichkeit spüren die Musiker nach und so ist es nicht verwunderlich, dass der bisher so folkige Sound des Trios psychodelischer wird. Folktronic betitelten sie bereits das neue Klangspektrum ihrer musikalischen Wandlung. "Pissourin" hat etwas verstörend Hypnotisches an sich. Der Titel bedeutet im griechisch-zypriotischen Dialekt so viel, wie "völlige Dunkelheit". Monsieur Doumanie vollzieht damit eine Veränderung von der belebenden traditionellen Musik zum düsteren Psychofolk. Das Ganze im Zeitraum von drei Coronawellen. Wer will es ihnen verdenken.
© Karsten Rube


Rainald Grebe "Popmusik"
Tonproduction, 2020

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www.rainald-grebe.de

Der Kabarettist Rainald Grebe erfindet sich mal wieder neu. Der einstige Prenzlberger, der jetzt in der Uckermark lebt und dort trotz seiner Spotthymne auf das Bundesland willkommen ist, behauptet, er mache jetzt "Popmusik". Es bleiben aber auch auf seinem neuen Album, das er genauso, also als „Popmusik“ tituliert, die selben Themen, Lieder, Ärgernisse und Liebeserklärungen, für die er bekannt ist. Spott, Kritik und ein Hauch von Selbstironie. Alles schon mal bei ihm dagewesen. Nur, jetzt kann man danach tanzen. Macht er das im nächsten Album dann mit Schlager?
© Karsten Rube


Ramon Bessel "Lieder zum Festhalten"
Sturm und Klang, 2021

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www.ramonbessel.de

Als Vokalpianist bezeichnet sich Ramon Bessel. Das ist irgendwas zwischen Kabarettist und Poet. Der bayrische Sänger und Interpret hat seinen Valentin gelernt, denn nicht nur sind die Lieder von Bessel im Versmaß gelungen, sie besitzen auch einen Spott, der manchmal wie eine Liebkosung klingt. Sein Lied "SUV" wirkt zunächst wie das erstaunte Bewundern des breiten, schweren Hausfrauenpanzers. Und doch ist es das ganze Gegenteil. Es ist hinter seiner launigen Fassade gefüllt mit Kopfschütteln und Unverständnis. "Gmund" wiederum ist eine Liebeserklärung an eine Stadt, die kaum einer kennt. Bessel findet das gut. Es stammt daher und freut sich über den fehlenden Schicki-Micki-Bonus. Die CD "Lieder zum Festhalten" besitzt viele Momente voller leiser Poesie. "Der Gast", "Zu Zweit" sind, auch wegen der gesanglichen Begleitung einer Frau, die nur schlicht als Sternchen auf dem Cover bezeichnet wird, wunderbar warmherzig. Witzig wird er, wenn er sich umschaut in seiner Umwelt. München bekommt einen gezielten Tritt in den Allerwertesten im Lied "Ausverkauft". Letztlich jedoch nimmt er sich selbst dabei nicht zu ernst, wie spätestens in seinem letzten Lied klar wird, das nun deutlich an sein großes Vorbild Karl Valentin erinnert: "...ob Bettler oder Scheich, im Schlaf sind alle gleich ...".
© Karsten Rube


Sofia Labropoulou "Sisyphus"
Odradek, 2020

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www.sofialabropoulou.com

Sofia Labropoulou[75] lebt in Wien, stammt aus Griechenland und arbeitet genre- und kulturübergreifend an vielen musikalischen Projekten. Ihr Instrument ist die Zither des mediterranen Raumes. Besonderen Fokus legt sie dabei auf die Kanun, ein Instrument, das vor allem im arabischen Raum gespielt wird. Labropoulou hat byzantinische Musik studiert. Dieser Hintergrund spornte sie auch zu dem vorliegenden Album "Sysyphus" an. Dieses Werk lässt die kulturellen Entwicklungen im Gebiet der Levante während der letzten eineinhalb Jahrtausende miteinander verschmelzen. Unbekannte Klänge der östlichen Tradition und moderne Anspielungen der westlichen Popmusik treffen hier aufeinander. Die ungarische Sängerin Márta Sebestyén trägt als Gastsängerin ein Lied vor, das zwei Klagelieder aus dem Norden Griechenlands und aus dem östlichen Transsylvanien miteinander verbindet. Eine nicht wiederzuerkennende Coverversion eines Songs der Sex Pistols wird ebenfalls ins Spätbyzantinische umgewandelt. Hier ist mir auch beim genauesten Zuhören keine Ähnlichkeit zu Ohren gekommen, was die Qualität dieser Version allerdings nicht schmälert. Neben der Kanun, die Sofia Labropoulou spielt, kommen einige Gastmusiker mit Instrumenten aus dem orientalischen Musikspektrum zum Zuge. Der Oud, die griechische Santur, verschiedene Hirtenflöten. Perkussion, Bass, Klarinette und Violine vervollständigen das Ensemble. "Sysyphus" klangliches Erscheinungsbild wirkt wie ein Besuch in einer orientalischen Badestätte. Zeitlos und entspannend. Verwirrend allerdings ist der verwischte Gasmaskenmensch auf dem Plattencover.
© Karsten Rube


Stella Chiwese "Ambuya"
Piranha Records, 2021

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www.stellachiweshe.com

Wenn man ins Detail geht, ist es erstaunlich, wo man überall Bereiche findet, in denen Frauen traditionell keine Rolle spielen. In Zimbabwe ist es zum Beispiel das Spiel der Mbira, eines mit mehr als zwanzig Metallzungen ausgestattetes Daumenklavier, das anderenorts in Afrika als Kalimba bekannt ist. Stella Chiweshe aus Zimbabwe gehört zu den wenigen Frauen, die es mit diesem Instrument und mit Liedern ihres Shonavolkes zu einiger Bekanntheit gebracht haben. Die heute fünfundsiebzigjährige Künstlerin lebt teils in Harare, teils in Berlin. Das Album "Ambuya" wurde in den späten 80er Jahren veröffentlicht. Damals war es ihr Durchbruch. Es brachte ihr die Aufmerksamkeit außerhalb Simbabwes, das unter Mugabe zwar nun frei von der Kolonialmacht war, das aber ethnische Volksgruppen weiter unter Druck setzte. Das Spiel des Instrumentes Mbira war dort zeitweise verboten. Heute erscheint "Ambuya!" als remasterte Aufnahme und zeigt die Frische der Musik Stella Chiweses. Es sind mitreißende afrikanische Folkloresongs, die mit Popelementen aufgefrischt wurden. Moderner Afrobeat mit historischen Anstrich. Zeitlos und schön.
© Karsten Rube


Tawny Ellis "Love Life"
Eigenverlag, 2020

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www.tawnyellis.com

Hier hören wir poppigen Countryschlager mit gefühlvollen Songs, in der die Sängerin ihr Liebesleben beschreibt. So kann man kurz auf das Album "Love Life" von Tawny Ellis eingehen. Etwas Americanasound, der in Erinnerung ferner keltischer Vorfahren schwelgt und dabei von Gefühlen, Mondschein und der Kraft, die die Familie birgt, berichtet. Alles wurde sehr unangestrengt arrangiert, hörbar unkompliziert. Eigentlich weiß sie ganz gut, wie man Countrymusik macht, die bewegt. Leider unterlässt sie das auf diesem Album und versucht, gefällig zu sein. Schade drum.
© Karsten Rube


Tarab Trio "Aman hey Aman"
Galileo, 2021

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www.tomdaun.de

Zu einer musikalischen Wanderung nach Kurdistan lädt das Tarab Trio auf ihrem Album "Aman hey Aman" ein. Der Harfenvirtuose Tom Daun gründete 2015 dieses Trio zusammen mit dem aus dem Iran stammenden Kurden Azad Shawaysi und Saher Issa, einem jesidischen Sänger aus dem Irak. Die kurdischen Kompositionen sind meist traditioneller Herkunft. Sie berichten vom Leid des kurdischen Volkes, die Liebe der Menschen zu ihrer Heimat, ihrem Freiheitswillen, sowie über alte osmanische Traditionen. Die Aufnahmen schwingen zwischen gewissenhafter Wiedergabe des Originals und moderner Interpretation hin und her. Die Instrumente des Nahen Ostens, gespielt mit den ihnen eigenen Harmonien interagieren dabei mit der keltischen Harfe Tom Dauns auf eigenwillig schöne Weise.
© Karsten Rube


Tim Grimm "Gone"
Cavalier Records, 2021

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www.timgrimm.com

Tim Grimm ist ein Folk- und Countrymusiker, der seit Jahrzehnten unbeirrt seinen eigenen Weg beschreitet.[73] Dies beweist der aus Ohio stammende Sänger mit der sonoren Baritonstimme auf seinem aktuellen Album "Gone". Gesellschaftskritik und der Umgang mit Verlusten in der Gegenwart vereint er zu gefühlvollen Liedern, die er nicht, wie einige seiner Kollegen mit beleidigender Wut von sich gibt, sondern reflektiert und mit leisem Spott garniert. Allerdings verliert er dabei nicht den Glauben daran, dass die Zukunft nicht nur auf Untergang gebürstet ist. Grimm gelingen auf "Gone" eingängige Folk- und Countrystandards, die bekannten Klangmustern folgen, ohne beliebig zu wirken. "Gone" ist ein komplexes Album, thematisch, wie musikalisch. Und doch ist es ein Album, das mit einer Leichtigkeit auftrumpft, die den Hörer unterhält, statt ihn mit erzieherischer Wucht zu überfordern.
© Karsten Rube



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