FolkWorld Artikel von Michael Moll:

Folk in Ost und West

Ein Rückblick auf die Folkszene zu DDR- und BRD-Zeiten


8 Jahre nach der Wiedervereinigung – im Rückblick möchten wir einen kleinen Rückblick machen auf die Unterschiede zwischen der Szenen damals in der DDR und der BRD.

Wir unterhielten uns mit zwei der führenden deutschen Musiker, mit Jo Meyer aus (Ost-) Berlin, der heute auch im Vorstand von Profolk sitzt, und Wolfgang Meyering aus Emden. Beide wohnen heute in Berlin und spielen zusammen in der (ehemals ostdeutschen) Band Jams.

Jo Meyer; photo by The Mollis "Dynamik und Bewegung ist immer drin in der Szene", meint Jo. Nach seinen ‚Ost-Erfahrungen' scheint es so, daß damals durch die Abgeschlossenheit der DDR etwas ganz eigenes entstanden ist. "Z. B. hat die ostdeutsche Dudelsackszene den deutschen Dudelsack richtig neu erfunden, weil sie an den anderen nicht heran kam. Und wir haben das Irish-Folk Revival durchaus aufgenommen von den Bands, die irische Musik zu uns transportiert haben; wir haben Deutschfolk - ganz stark beeinflußt von Liederjan und Zupfgeigenhansel - auch bei uns erlebt, aber irgendwann wurde es etwas anderes."

Aus der späteren Sicht, als er beide Seiten (Ost und West) sehen konnte, stellte Jo fest, daß z.B. im Osten eine frankophile Prägung so gut wie überhaupt nicht vorgekommen ist. "In der Tanzszene tanzte keiner Gavotte, Bourée, etc.; und englische Tänze auch nur bedingt. Es war etwas eigenes entstanden; schon nur dadurch, daß die Szene einen sehr starken Zusammenhalt hatte. Es war im Osten eine kleine Szene, die vom Staat kritisch beobachtet wurde, was die Szene noch mehr zusammenbrachte. Man darf dabei aber nicht vergessen: Wenn man in der DDR in professionellen Strukturen Musik machen wollte und die Hürden genommen hatte, die man zu nehmen hatte, hatte man als professioneller Musiker ein sorgloses Leben; man konnte sich voll auf die Musik konzentrieren."

Das führte dazu, daß sich im Osten eine kleine illustre Schar von hochqualitativen Musikern ergab. "Als die Grenze aufging, habe ich gestaunt, wie viele Leute da (im Westen) Musik spielten, wobei ich aber auch dachte, daß das Niveau, das Level viel geringer war. Die Leute, die über dieses Level hinausguckten, die hat man sofort gefunden."

"Und dann in ganz kurzer Zeit hat sich das alles vermischt: der DDR-typische Dudelsack ist verschwunden, der Dudelsackfreak kauft sein Instrument heute in Belgien oder bei Andreas Rogge oder Bodo Schulz, also deutsche Dudelsackbauer, die nach französischer Tradition Dudelsäcke bauen, weil es einfach die ausgereifteren, die besseren Dudelsäcke sind. Die ganze Szene hat sich ja gewandelt. Bei dem, was heute ankommt, ist es kaum noch auszumachen, ob es aus dem Osten oder Westen kommt. Die Szenen haben sich ziemlich vermischt."

Strassentanz in Leipzig; photo by The Mollis Wolfgang erwähnt einen weiteren Unterschied der Szenen in West und Ost, der noch heute spürbar ist: Die Tanzszene. Als er der ostdeutschen Band Jams hinzutrat, war es für ihn eine völlig neue Erfahrung, überhaupt zum Tanz zu spielen. "Das ist eine völlig andere Herangehensweise, du mußt dich danach richten, daß die Musik auch tanzbar ist. Ich wußte, daß es in Westdeutschland auch eine Tanzszene gab, aber die war eigentlich immer relativ abgeschottet von der Konzert-orientierten Szene, die beiden hatten wenig mit einander zu tun, während das im Osten nicht so stark der Fall war. Für mich war es sehr interessant zu sehen, was für Leute zu den Tanzveranstaltungen im Osten gehen, es war viel bunter, es sehen welche aus als würden sie gerade zum Ball gehen oder kommen gerade aus der Disco."

Stark vermischt haben sich inzwischen die Szenen; die Wiedervereinigung ist in der Folkszene wohl besser verlaufen als in vielen anderen Bereichen...

Zum Thema der Geschichte der deutsch-deutschen Szene haben wir in dieser Ausgabe noch einen weiteren lesenswerten Artikel von Christian Rath.


Photo Credit: The Mollis


Mehr über Jams haben wir bereits in den letzten beiden Ausgaben berichtet:

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