FolkWorld Artikel von Michael Moll:

Jams' norddeutschen Traditionen

Plattdeutsch - eine ehemalige Weltsprache, heutzutage kaum bekannt


Auf dem neuen Jams-Album finden sich auf einmal jede Menge Lieder wieder - und zwar allesamt in Plattdeutsch. Da selbst in Deutschland die meisten Leute nicht besonders viel über plattdeutsche Kultur wissen, hat sich FolkWorld mit Jo Meyer und Wolfgang Meyering über ihre Traditionen unterhalten - und hat spannende Geschichten und Anekdoten erfahren.

Jams; Photo by The MollisJo und Wolfgang kommen beide aus Norddeutschland - Wolfgang aus dem Nordwesten, aus Ostfriesland, Jo aus dem Nordosten, aus Mecklenburg; und beide sind mit Plattdeutsch aufgewachsen. Aus diesem Grunde lag es nahe, daß wenn Lieder ins Jams-Repertoire kommen, sie auch gut in Platt sein können, denn das ist eine Sprache, die beiden sehr am Herzen liegt, und wo es gutes Material gibt. Für sie ist die Sprache in dem Moment auch ein Stück kulturelle Identität, das sie verbreiten möchten.

"Die Mundarten haben den großen Vorteil," erklärt Jo, "daß sie sehr lyrisch sind, im Gegensatz zu einer Alltagssprache, einer sehr technischen Sprache; das gilt für alle Mundarten, die es gibt, ob nun hessisch, bayrisch oder friesisch, mecklenburgisch." Es war nicht einfach, ihre Jams-Kollegen, die nicht platt sprechen, davon zu überzeugen in platt zu singen. "Sie dachten sich, nehmen mich meine anderen Kollegen denn ernst, wen ich platt singe."
Auf Platt zu singen hat natürlich Konsequenzen: "Wir müssen damit leben, daß man uns in Hessen oder im Sauerland oder wo auch immer nicht versteht. Andererseits denke ich, das ist nicht so wichtig, wir sind mit englischer Musik groß geworden, viele Texte können wir nicht verstehen. Man sieht auch z.B. an dem alpinen Folk-Rock-Revival-Szene der letzten 10 Jahre, die über den alpinen Raum hinaus sehr erfolgreich sind, obwohl die Sprache schwer zu verstehen ist, daß Mundart-Musik Erfolg haben kann."

Interessanterweise war die Begeisterung über Jams' neue CD bei den Norddeutschen, die die Sprache verstehen, eher gering, denn "die sind meistens, wenn es um Niederdeutsch geht, in verschiedenen puritanischen Strukturen verhaftet, sie wollen das nicht zu modern". Statt dessen fühlen sich gerade die Nicht-Plattdeutschen angesprochen - Jo freute sich dabei insbesondere eine Besprechung in den 'Dresdener Neuen Nachrichten': "Sie endete damit, daß so ein beinharter Vollblut-Sachse sagt, er fühlt sich genötigt, beim nach Hause gehen mit seinen Kollegen irgendwelche Blödelfloskeln auf Platt abzulassen, weil es ihm Spaß macht; vorher hatte er das nur, wenn er einen Werner-Film gesehen hatte, und jetzt hatte er es bei unserer Musik auch gehabt - das fand ich gut." Auch im Ausland hat die (Fach-) Presse sehr positiv auf das plattdeutsche Programm reagiert.

Jo Meyer; Photo by The MollisIn der Plattdeutschen Sprache selbst gibt es regional sehr starke Unterschiede - das geht vom Pommerschen Platt zum Mecklenburger Platt, die Mecklenburg-Schweriner sprechen anders als die Mecklenburg-Sprelitzer, und wenn wir zum Schleswig-Holsteiner Platt kommen, sind wir schon im Friesischen, allerdings nicht im Friesischen, sondern im Friesisch-Platten.
Musikalische Traditionen gibt es dagegen im Plattdeutscehn Raum so gut wie gar nicht mehr. Gründe dafür gibt es viele - die deutsche Geschichte, die Urbanisierung etc. Jo: "Interessant ist, daß gerade in Mecklenburg es noch Stadtpfeifer-Ausbildungen, also Musikausbildungen im Sinne von Handwerk, von Wandern und so, bis Ende der 50er Jahre gegeben hat! Es gab Untersuchungen, daß der letzte Stadtpfeifer in Grabo - das ist eine Mecklenburger Kleinstadt zwischen Schwerin und Wismar - 1954 in die Lehre gegangen ist. Stadtpfeifen bedeutete, daß sie Blech- und Saiteninstrumente gespielt haben, zur Hochzeit, Beerdigung, zu Kirchweihen, Erntedank und sowas." Die Notenbücher gibt es noch, wenngleich bisher wenig beachtet.
Andererseits gab es auch Wissenschaftler, die in den 50er Jahren auf dem DDR-Gebiet hervorragnede Arbeit geleistet haben; die das aufgeschrieben haben, was in den 20er/30er Jahren an Tänzen und Liedern aus Mecklenburg, aus der Mark Brandenburg etc. gesammelt wurde. Deutschlandweit gibt es solches Material in den Bibliotheken. "Das Problem solcher Art von Überlieferung ist, daß sie einer starken intellektuellen Zensur unterlagen, daß sie von Leuten aufgeschrieben wurden, die bestimmte Sachen weggelassen haben, weil es ihnen einfach nicht in den Kram gepaßt hatte. Das Problem haben aber andere Traditionen auch."

Drawing by German artist Annegret Haensel; for more info on the artist, look at the editorial page"Es gibt in Schwerin einen Dudelsackspieler, der Historiker ist und der im Museum arbeitet, und der versucht, traditionelle mecklenburger Melodien auf ihre Dudelsackfähigkeit zu untersuchen, ob das vielleicht mal Melodien waren, die auf dem Dudelsack gespielt wurden. Das ist eine legitime Vorgehensweise, die auch in Schweden mit Sækkepiper Melodien passiert, und in anderen Ländern ähnlich." - "Andererseits gibt es Literatur - Fritz Reuter beschreibt in zwei Kapiteln seines Buches "Unter Franzosentied", wie die französischen Soldaten, eher gesagt die große Armee, die nach Rußland zog und zurück, und schließlich in Mecklenburg hängen blieben. Und das waren ja nicht nur Franzosen, sondern auch Spanier und alles mögliche. - Er beschreibt gerade drei Franzosen, die in Mecklenburg-Strelitz hängenblieben und dieses ganze Dorf französisch geprägt haben, zwei davon waren Musiker. Sie haben also Tänze dorthin gebracht, die unter der großen Rubrik Bunte liefen - die Tanzfolge war ja früher festgelegt; die Reihenfolge war festgelegt, und Bunte waren sozusagen die freien Runden. Es sind bestimmte Kontertänze, Gavotte-ähnliche Strukturen in den Mecklenburger Volkstanz eingegangen, die man richtig wiederfinden kann."

In einer anderen Untersuchung wird beschrieben, wie Amerika-Rückkehrer auf die Musiktradition gewirkt haben, beispielsweise in Mecklenburg. "Dabei geht es um Leute - nicht viele, aber wenn, dann sehr exponierte Leute, die nicht als gescheiterte, sondern als gestandene Leute zurückgekommen sind. Die ihre Sozialisation über die Auswandererschiffe in Amerika hatten, und bestimmte Strukturen zurückgebracht hatten, und nicht als Loser, sondern als Typen, die vielleicht sogar Geld hatten, die konnten sich 'ne Feier ausrichten, die hatten Musik mitgebracht, die haben auch Einflüsse mitgebracht."

Es gibt auch sehr viele Plattdeutsche Lieder, Tänze usw., die im ganzen norddeutschen Raum verbreitet sind. "Man darf dabei natürlich nicht übersehen," ergänzt Wolfgang, "Norddeutschland ist ja nicht wie z.B. irgendein entferntes Tal in Schweden oder Norwegen, so abgeschottet; es war plattes Land, es war offen, es gab viele Häfen, es gab eine große Kommunikation. Ich denke, die Entwicklung war ähnlich, wie ich das von Fanø kenne, das ist eine kleine Insel an der dänischen Küste. Dort sind unheimlich viele Melodien zurückzuführen auf Mitbringsel von Seeleuten, die von Fanø in die weite Welt gefahren sind und die Sachen mitgebracht haben. Daraus ist aber dann eigentlich eine eigene Tradition geworden, die Sachen wurden anders gespielt, andere Tanzformen wurden auf diese Melodien gebaut usw. In Norddeutschland ist das ähnlich."
"Von der Sprache her muß man auch sehen, Niederdeutsch war mal eine Sprache, die fast so eine Funktion hatte wie Englisch. Von Flandern aus bis ins Baltikum nach Riga, wo die Hanseleute waren, bis hinein nach Rußland war das eine Kommunikationssprache, d.h. zunächst wurde lateinisch geschrieben, später wurde Niederdeutsch geschrieben. Es war eine Kommunikation, die sehr weit verfächert war, und dieses Handelsimperium hat natürlich auch Kulturgut mit zurückgebracht. Es war ja nicht so, daß sie ständig nur gehandelt haben, sondern es wurden auch Sachen mitgebracht, neue Ideen, neue Melodien." In Norddeutschland gibt es dementsprechend sehr viele Melodien, die es in anderen Regionen auch gibt; es gibt Stücke, die genauso in den Niederlanden, in Ostfriesland, in Dänemark, in Schweden zu finden sind - die gleiche Melodie mit ähnlichen Inhalten bei den Texten, mal als Tanz gespielt, mal als Lied gespielt.
Jo Meyer; Photo by The Mollis"Das ist eine Entwicklung, die Du wirklich in vielen Bereichen, in norddeutschen, aber teilweise auch bis in den nordeuropäischen Raum verfolgen kannst. Für uns ist es heute so, daß Wasser eher trennt, aber früher war Wasser Verbindung für die Menschen. Der Landweg war oft sehr mühselig für die Reisenden, der Seeweg war immer der bequemere. Und es ist nunmal so: Norddeutschland liegt an der See, an der Nord- und Ostsee, und darüber lief die Kommunikation."

Die Tanzform Schottisch ist ein Beispiel für die vielfältigen Verbindung: Schottisch hat eigentlich mit Schottland nichts zu tun. "Aber es gibt auch Highland Schottische, es ist die gleiche Tanzform, der gleiche Rhythmus, und es gibt viele Streitereien, ob es vielleicht erst später - weil - Schottisch war in Nordeuropa sehr sehr verbreitet im letzten Jahrhundert, Schottisch und Rheinländer, beide sehr verwandte Formen."
Jo ergänzt, daß Schottschen im Niederdeutschen Tanzen bedeutet - und es in Schweden Schottische namens Hamburg und Engelska gibt, also ein Schottisch, wie er aus Hamburg bzw. aus England kommt.
"Meine Mutter hat mir erzählt, daß meine Großmutter noch Schottische und Rheinländer getanzt hat, also Anfang dieses Jahrhunderts. Das war ganz verbreitet, wenn man zum Schwof ging, dann tanzte man Rheinländer oder Schottische; das ist ein relativ schlichter Tanz, der aber viel Improvisation zuläßt." erzählt Wolfgang.
Jo: "Bei mir hat's noch eine Generation eingeschoben, also nicht meine Großmutter, sondern meine Eltern haben das gespielt und getanzt, und das auch nach dem Krieg, wo alles schon vorbei war und neu ansetzte. Wenn Tanz war, dann haben die sich auf diese alten Strukturen besonnen: Walzer, Mazurka, Rheinländer, Schottisch, Polka..."

In der nächsten Ausgabe folgt Teil 2 des Interviews, in dem Jams selbst vorgestellt werden.


Kontakt für Buchungen und CDs: Jams' Homepage e-mail e-mail Jo Meyer.

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