Ein taz Artikel von Christian Rath vom 29.04.1998
Veröffentlicht in FolkWorld mit freundlicher Erlaubnis des Autors

Weg vom Lagerfeuer

Ein deutsches Folkrevival nach der Wiedervereinigung


Die Wiedervereinigung brachte ein deutsches Folk-Revival mit sich. Dabei hatte der Folk in Ost- und Westdeutschland ganz unterschiedliche Wege genommen.

Strassentanz in Leipzig; photo by The Mollis "Vereint wirkt also dieses Paar, was einzeln keinem möglich war", so sangen die Minne-Rocker von "Ougenweide" in den 70er-Jahren in der Ballade "vom Blinden und dem Lahmen". Etwas ähnliches scheint sich auch in der deutsch-deutschen Folk-Szene nach 1990 zugetragen zu haben. Das Zusammenwachsen von Ost und West erfolgte nicht nur ohne hörbare Konflikte, es hat in der damals eher kränkelnden Folklandschaft offensichtlich auch erstaunliche Energien freigesetzt.

Sichtbarster Ausdruck dieser Folk-Renaissance ist das jährliche Tanz- und Folk-Fest im thüringischen Rudolstadt. Rund 60 000 überwiegend junge Leute kommen jeweils am ersten Juli-Wochenende ins drängend volle Zentrum des Saalestädtchens. Ein Veranstalter-Team aus ost- und westdeutschen Alt-Folkies hatte ein etwas abgestandenes Folklore-Tanzfest übernommen und binnen weniger Jahre mit einer neuen Konzeption den großen Aufschwung bewirkt. Neben einem bunten und originellen Programm, bei dem es mehr auf Qualität als auf große Namen ankommt, werden jeweils ein Land und ein Instrument besonders gefeatured. Heuer werden es Portugal und das Banjo sein. Inzwischen gilt Rudolstadt als eines der wichtigsten Festivals für Folk- und Weltmusik in Europa.

Angesteckt vom neuen Schwung gründete sich 1996 die Lobby-Organisation ProFolk neu. "Die Folk-Szene muß weg vom Lagerfeuer und sich professionalisieren, nur so kann sie wieder breites Interesse gewinnen" beschreibt Jo Meyer vom ProFolk-Vorstand das Ziel des Verbandes, der sich am letzen Wochenende (Ende April '98; Anm. d. Herausgeber) zu seiner dritten Jahreskonferenz in der Berliner "Werkstatt der Kulturen" getroffen hatte. So organisiert man jährlich gemeinsam mit dem Mitteldeutschen Rundfunk einen "Folk-Förderpreis". Als Gewinn winken eine Einladung nach Rudolstadt und eine Demo-CD. Auf einer weiteren Pro-Folk-CD werden jährlich für Medien und Veranstalter die High-Lights der deutschen Lied-, Folk- und Weltmusik-Szene zusammengestellt. Das Beggleit-Booklet ist englischsprachig und das ist programmatisch: man zielt auf den internationalen Markt.

Ein weiteres Zeichen des neuen deutschen Folk-Selbstbewußtseins ist "Folker! - das Musikmagazin". Eine (Print-) Folk-Zeitschrift modern gestyled wie etwa das "wom-magazin". Der Gedanke an Wollpullis und Sandalen soll erst gar nicht mehr aufkommen. "Folker!" fiel aber nicht vom Himmel, sondern ist das Produkt einer Fusion des west-deutschen "Folk-Michel" (mit 20 jähriger Geschichte) und des ost-deutschen "Folksblatts" (immerhin auch 16 Jahre alt).

Das deutsche Brauchtum war NS-belastet

Von einer "Wiedervereinigung" der Folk-Szenen zu sprechen verbietet allerdings die Logik, denn die Folk-Musik hat sich in Ost- und West-Deutschland bis zur Wende ziemlich eigenständig entwickelt. In Westdeutschland begann alles 1964 mit dem jährlichen Festival "Chanson Folklore International" auf der Burg Waldeck im Hunsrück. Hier traf sich die erste Riege deutscher Liedermacher: Franz-Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp, Walter Mossmann, aber auch Reinhard Mey - und sang vor allem ihre eigenen Lieder.
Fiedel Michel 1998; photo by The Mollis Das deutsche Brauchtum schien nach der Vereinnahmung im NS-Faschismus kein nutzbarer Bezugspunkt mehr zu sein. Obwohl mit der Burg Waldeck ausdrücklich ein Ort mit Bezug zur "Wandervogel"-Tradition der Jahrhundert-Wende gewählt worden war, beschäftigten sich eigentlich nur Hein & Oss Kröher sowie der früh verstorbene Peter Rohland mit überlieferten Volksliedern - vor allem politischen Liedern aus der deutschen 48er-Revolution. Beim letzten echten Waldeck-Festival 1968 wurde es dann "ungemütlich", Teile des Publikums wollten nur noch diskutieren und hißten die Fahne des Vietcong auf der Bühne. Liebeslieder von Reinhard Mey wurden lächerlich gemacht und Hanns-Dieter Hüsch hielt man seinen "unklaren Standpunkt" vor.

Unpolitischere Volksweisen, Trink- und Liebeslieder wurden erst Mitte der 70er-Jahre aufgegriffen. Vorreiter waren dabei Hannes Wader, das Duo "Zupfgeigenhansel" sowie die Gruppen "Liederjan", "Fiedelmichel" und "Elster Silberflug". Es war die Zeit der zahllosen Folk-Festivals, viele davon im Freien, die Hoch-Zeit der Alternativbewegung. Doch die alten Haudegen des kämpferischen Liedes waren unzufrieden. "Eine Stimmung läuft durchs Land: weg vom Politischen, hin zum Privaten", beschwerte sich Degenhardt damals. Wer nur mit einer Klampfe auf der Bühne stehen wollte, hatte es immer schwerer. Vor allem die zahllosen Gastbands aus Irland setzten muliskalisch neue Standards.

Vom Kampflied zur DDR-Alternativszene

Eine ähnliche Entwicklung gab es auch in Ostdeutschland und doch war alles ganz anders. Was sich im Westen als Entpolitisierung darstellte - die Umorientierung vom politischen Lied hin zu einem eher diffusen alternativen Lebensgefühl, hatte in der DDR eher den Charakter einer Politisierung. Dort entwickelte sich die Folkszene aus einer offiziellen Kampflied-Singebewegung und die Herausbildung einer folkigen Alternativszene drückte gerade politische Opposition aus.

Jams; photo by The Mollis Alles begann 1966, als der kanadische Sänger Perry Friedmann in Ostberlin einen ersten Folk-Club gründete, der von offizieller Seite bald in "Oktoberklub" umbenannt wurde. Die FDJ versuchte nun, die Folk-Welle als "Singe-Bewegung" zu integrieren. Bis 1973 entstanden im ganzen Land rund 4000 Singeklubs unter dem Dach der SED-Jugendorganisation. Bei offiziellen Feiern mußten die jungen Leute im FDJ-Blauhemd antreten und linientreue Gesänge zum Besten geben. Ansonsten boten die Gruppen aber auch einen gewissen Freiraum. Ab 1970 veranstaltete der Oktober-Klub in Berlin das jährliche "Festival des politischen Liedes".

Eine mehr oder weniger eigenständige Folk-Bewegung gab es erst ab 1976. In jenem Jahr fand in Leipzig, der wichtigsten Stadt des DDR-Folks, die erste "Folkwerkstatt" statt. Die Singeklubs verloren zu dieser Zeit spürbar an Attraktivität, weil die FunktionärInnen nach der Biermann-Ausbürgerung versuchten, die Freiräume enger zu machen. Die damals gegründeten Folk-Gruppen "Folkländer", "Wacholder" und "Liedehrlich" (mit dem 1985 ausgebürgerten Stefan Krawczyk) sowie etwas später JAMS sollten in den folgenden Jahren tonangebend bleiben.

Wie im Westen sang man auch im DDR-Folk gerne Lieder der 48er-Revolution (etwa "Die Gedanken sind frei"). So konnte die spießige Obrigkeit angeklagt und hin und wieder sogar Auswanderungsgedanken thematisiert werden. Scarlett Seeboldt von "Wacholder" glaubt, daß gerade diese Doppelbödigkeit der Texte den Erfolg der DDR-Folk-Szene ausmachte: "Man konnte immer sagen, 'was wollt ihr denn? Das sind doch alles fortschrittliche Leute gewesen, die für den Kommunismus gekämpft haben". Den Gipfel erreichte die DDR-Folkwelle 1981, als zahlreiche Festivals im Land stattfanden.

Danach differenzierte sich die Szene aus. Wacholder machten Heine-Programme und beteiligten sich an der "Hammer-Rewüh", einem happeningartigen Gesamtkunstwerk, das fast ein Jahr durch die DDR tourte. Die Folkländer sattelten angesichts der aufkommenden Volkstanz-Welle auf Tanzmusik um.

Weltmusik mit europäischen Wurzeln

Hoelderlin Express' Elke Rogge; photo by The MollisHeute, acht Jahre nach der Vereinigung der beiden Folk-Landschaften ist Folk zwar keine "Bewegung" mehr, die Szene aber vital wie selten. Trotz hoher musikalischer Qualität fehlen allerdings noch etwas die neuen Stars und Hallenfüller. Den Durchbruch geschafft haben bisher vor allem Irland-orientierte Gruppen wie "Paddy goes to Holyhead" oder "Fiddler's Green". Und im alpinen Raum mit seinen noch lebendigen Wurzeln sind Gruppen erfolglich wie die "Hundsbuam" oder das österreichische Schlagzeug/Akkordeon-Duo "Attwenger", die Avantgarde der "neuen Volksmusik".

Am spannendsten sind aber Fusion-Projekte, die weit in den Weltmusik-Bereich hineinreichen, wie etwa die Kölner "Schäl Sick Brass Band" mit ihrer persischen Sängerin. Gut durchgemischte Weltmusik machen auch Gruppen wie "Hoelderlin Express" aus Tübingen und "U.L.M.A.N." aus Leipzig, aber dort sind die europäischen Wurzeln so stark, daß man schließlich doch lieber von Folk als von Weltmusik redet. Irgendwann wird für solche Musik wohl der Begriff "Europamusik" erfunden werden. Die Gruppe JAMS überschrieb eine ihrer schönsten CDs mit dem Titel "Bastardmusik". Doch über Kategorien und Fragen wie "Was ist Folk? - was ist Volksmusik?" diskutiert heute kaum noch jemand. Man freut sich vielmehr an der Lebendigkeit der Szene, deren heutige Tabulosigkeit Garantie ihrer Zukunft ist.

Nur eine Entwicklung trübt die Freude der Folk-FunktionärInnen: "Der Trend zu durchhörbaren Format-Radios raubt unser Musik immer mehr Sendeplätze", klagt ProFolk-Chef Michael Kleff. Diese Sorge aber hat Folk mit allen anspruchsvolleren und eigenwilligeren Musikrichtungen gemeinsam.


Photo Credit: Alle Fotos von den Mollis. Von oben nach unten:


Kontakte:


Zurück zum Inhalt der FolkWorld Artikel & Live Reviews
Zum Inhalt des FolkWorld online musikmagazins Nr. 5

© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 7/98

All material published in FolkWorld is © The Author via FolkWorld. Storage for private use is allowed and welcome. Reviews and extracts of up to 200 words may be freely quoted and reproduced, if source and author are acknowledged. For any other reproduction please ask the Editors for permission.


FolkWorld - Home of European Music
FolkWorld Home
Layout & Idea of FolkWorld © The Mollis - Editors of FolkWorld