FolkWorld Ausgabe 41 03/2010

FolkWorld CD Kritiken

Carl Nelkin "The little trees are weeping"
Label: Eigenverlag; 14 Tracks; 44:07 min; 2009
Seit dem Ende des Holocaust ist fast ein ganzes Menschenleben vergangen. 65 Jahre nach dem Ende eines der grausamsten Kapitel der jüngeren Menschheitsgeschichte gibt es noch zu oft Meldungen und Meinungen mit verharmlosenden Trend.
Die Versuche das Grauen von Einst zu schildern und die Erinnerung wach zu halten, um den später geborenen Generationen die Verantwortung zu vermitteln, die sie hat, eine Wiederholung zu verhindern, reißen aber glücklicherweise nicht ab. Der Faschismus war ungeheuerlich. Das bleibt ein Fakt, auch für uns, die wir ihn nicht erleben mussten. Punkt.
Carl Nelkin, irischer Kantor der jüdischen Gemeinde Dublins hat mit seiner zweiten Sammlung jüdischer Lieder sein Augenmerk auf die Verfolgung und den Widerstand der Juden in Osteuropa gelegt. "The little trees are weeping" legt Lieder neu auf, die vor allem in den Ghettos in Polen und den baltischen Ländern der damaligen Sowjetunion gesungen und gespielt wurden. Lieder, die Hoffnung ausdrücken angesichts des täglichen Grauens und der Angst vor der nächsten Razzia oder dem Abtransport in die Lager. Schlaflieder, Hochzeitslieder, Lieder der Partisanen folgen einander und zeigen die Sehnsucht nach einem normalen Leben in der Unmöglichkeit.
Die Musik ist dabei weniger schwermütig, als man zunächst annehmen möchte, wenn man die CD in der Hand hält. Weiße Wolken an einem blauen Himmel, der hinter Stacheldraht zu sehen ist. Ein weiße Taube mit einem gelben Judenstern im Schnabel. So das Cover. Die weiche Stimme Nelkins zwingt zum Zuhören und die Lieder bleiben nicht auf dem Weg zum Kopf im intellektuellen Viertel stecken, sondern wandern weiter hinab bis ins Herz. Das unterscheidet die CD von den "Niemals Vergessen-Agitations- CD's" manch gutmeinender Bedenkenträger.
Bedauerlicherweise bleibt solche Musik nur kleinen Hörergruppen vorbehalten, die ohnehin bereit sind, sich dem Thema Holocaust, Widerstand und Faschismus auf eine Weise zu öffnen, die nicht ausschließlich in mit Hollywoodbeaus besetzen Kinofilmen stattfindet.
www.irishjewishmusic.com
Karsten Rube


Klezmer Juice 2 "Yiddish Lidele"
Label:
ARC Music; 17 Tracks; 65:29 min; 2009
Recht unorthodox gehen die Musiker des Projektes Klezmer Juice mit ihren "Yiddish Lidele" um. Die Musiker aus Los Angeles haben die jüdische Musik so interpretiert, wie sie sie unmittelbar mit ihrem Leben und dem ihrer Mitbewohner erleben. Statt Erinnerung und Heimweh, wie sie oft in der Musik der Juden zu hören ist, lassen Klezmer Juice die pure Lebensfreude erklingen. Es wird wird auf der Basis von Freylach und anderen traditionellen Tänzen gerockt, gescheppert und getrötet, dass man kaum mehr mitbekommt, aus welchen Teilen der Welt die Musiker ihre Inspirationen herbeigeholt haben. Gustavo Bulgach, der Klarinettist und Kopf der Band stammt aus Argentinien, spielt nun aber mit einer Kapelle, der stetig wechselnde Mitglieder aus vielen Regionen der Welt angehören. Was nur einmal mehr beweist, dass Klezmer einer der weltumspannenden Musiken überhaupt ist. Wer sich davon überzeugen mag, dem sei diese CD deutlich ans Herz gelegt.
www.arcmusic.co.uk
Karsten Rube


Adam Hill "Them Dirty Roads"
Label: Eigenverlag; 14 Tracks; 41:01 min; 2007
Ein ungewöhnlicher Anfang beeindruckt meist nachhaltig. Adam Hill versucht es klassisch und nimmt sich für den Anfang seiner CD "Them Dirty Roads" Bachs zweite Cello Suite an. Allerdings fehlt das Cello und der Rest besteht aus Trompete, Bass und einem Radio, das im Hintergrund gruschelt. Kleine Übungsstunde in einer Wohnung gegenüber der Hochbahn. Was danach kommt lässt sich stimmungsmäßig auf die selbe Ebene stellen. Gut gemeinte, ehrliche Country- und Folkmusik auf dem Niveau einer Einzimmer-Mietwohnungssession. Lieder voller persönlicher Wertschätzung, gefüllt mit der Sehnsucht nach dem nie endendenen Roadmovie, nur unterbrochen vom Pfiepen des Teekessels.
Wenn nicht gerade hörspielhafte Geräuschkulissen als Intermezzo die Songs pausieren lässt, dann bekommt man ein paar kleine Geschichten erzählt, die stilistisch an die einfacheren Momente von Ben Folds erinnern, wie "Fools Gold" und "The River Where She Sleeps". Eine CD, die einem am Ende etwas verstört zurück lässt. Denn zwischen Countrysongs, kleinen Barpiano-Balladen und Geräuscheschnipseln ist es am Ende unmöglich herauszuhören, was Adam Hill mit seiner CD eigentlich bezweckt.
www.misteradamhill.com
Karsten Rube


Mnozilbrass "What are you doing the rest of your life"
Label: GECO Tonwaren; 14 Tracks 55:32 min; 2006
Wer mit Blasmusik altbackene Fernsehstammtische im Stile des Blauen Bocks oder des Musikantenstadls verbindet, der hat noch nicht bemerkt, dass sich seit Jahren ganze Fluten von Blaskapellen in die verschiedensten Musikstile spülen. Vom Balkanbrass abgesehen kennt man ja schrägen Bläsersound vom Mardigrass oder zuweilen von den weihnachtlichen Turmbläsern.
Die Wiener Blaskapelle Mnozilbrass lässt sich stilistisch nur bei der Wahl ihrer Instrumente festlegen. Ansonsten kennen sie keine Musik, die sich nicht auch mit sieben Blasinstrumenten spielen ließe.
"What are you doing for the rest of your life" ist nur eine von einem guten halben Duzend CD's der Freunde wohl tönenden Blechs auf denen sie munter alte Volkslieder mit Jazz und Klassik vermengen oder mal den Rummelplatz mit einer Samba vertauschen. Selbst tot geglaubten schmachtenden Popsongs blasen sie neues Leben ein, wie sie mit Carol Kings "You've got a friend" beweisen, Selbst wenn sie zuweilen gar zu schräg tröten finden sich in der temporären Kakophonie gewitzte Arrangements, musikalische Seitensprünge und Zitate, die erkennen lassen, was für brillante Musiker sich zu dieser Bläserbande zusammengerauft haben.
Beim Rap würde man in diesem Zusammenhang von einem ziemlich fetten Sound sprechen. Diese Formulierung kann man für Mnozil Brass recht unbefangen übernehmen. Fetter Sound, coole Arrangements. Einfach geile Blasmusik.
www.mnozilbrass.at
Karsten Rube


Joe Crookston "Able Baker Charlie and Dog"
Label: Milagrito records; 13 Tracks; 60:27 min; 2008
Supertramps "Logical Song" gehört nicht zu den Standartwerken der Folkmusic. Joe Crookston nutzt den Song als Einstieg auf seiner CD "Abe Baker Charlie & Dog". Das muss man erstmal verdauen. Crookston begleitet sich dabei einzig und allein auf seiner Gitarre und zaubert daraus eine ganz annehmbare Acoustic-Version des Popsongs, die weit davon entfernt ist simple Lagerfeuermusik zu sein. Das kann man für die ganze Platte übernehmen.
Flinkfingrig zupft sich Crookston durch elf feine kleine Balladen, mal dezent begleitet von einem Akkordeon, einer Fiddle, der in Westernnähe unvermeidlichen Slidegitarre und dem Banjo. Seine Kompositionen sind gelungene amerikanische Überlandstimmungsbilder, die er in der Zeit schuf, in der er von Seattle an der Westküste in den Staat New York, nahe der Großen Seen umsiedelte. Die CD entwickelt ein eigenes Tempo, das sich an der getragenen Supertramp-Version und seinem Song "John Jones" festmachen lässt und das sich mit immer mehr jazzigen Einfällen steigert. Im "Red Rooster" findet es seinen vorläufigen Höhepunkt bevor die CD dann doch mal für zwei Lieder in die Lagerfeuerromantik abgleitet.
Crookstons Album ist kurzweilig und wandelt auf den Fußspuren der amerikanischen Folksängertradition ohne deren abgetragene Schuhe zu benutzen. Mit seiner Verneigung vor Dan Fogelberg, dessen Song "Wandering Shepherd" Crookston sehr ehrenvoll intoniert, hat er mir eine zusätzliche Freude gemacht.
www.joecrookston.com
Karsten Rube


Hank Woji "Medallion"
Label: K & Z Records; 9 Tracks; 42:35 min; 2005
Hank Woji "American Dream"
Label: K & Z Records; 15 Tracks; 75:01 min; 2008
Der Songwriter Hank Woji aus New Jersey lieferte 2005 sein Debütalbum ab. Ein Songalbum, das eine große Bandbreite von Songs aufweist, die mal reduziert auf Gitarre und Gesang reinste Folkmusic bietet, mit einer Beatlescoverversion etwas Verwirrung stiftet und selbst lateinamerikanische Rhythmen nicht verschmäht. Woji, der lange Zeit als Percussionist arbeitete und sich mit afrikanischen und brasilianischen Trommelrhythmen beschäftigte lässt auf Medallion seine Percussionerfahrungen nur spärlich durchscheinen und beschränkt sich weitgehend darauf selbst Gitarre zu spielen und zu singen. Nur im indisch inspirierten "Have you seen the Taj Mahal?" greft er selbst zum Tambourin und lässt sich außerdem von der indischen Tabla begleiten. Doch macht er auch als Sänger amerikanischer Balladen einen guten Eindruck, wie "Taking my time" beweist. Ein Debüt, das auf weiteres gespannt macht.
Nachdem Hank Woji mit seinem 2005 Debütalbum "Medallion" noch ein bisschen orientierungslos zwischen den Musikstilen herum irrte, legte er 2008 mit "American Dream" ein pures Americana-Album vor, das ihm prompt eine Nominierung des Texas-Music-Awards als Singer/Songwriter of the Year einbrachte. Da Album kommt rasant und gut gelaunt rüber bedient sich großzügig bei RockandRoll, Bluegrass, Blues, Gospel und Country. "American Dream" trötet sich rotzig durch verschiedenen Mundharmonica-Solis, setzt mit Bodhran und Violine nach Irland über, vergisst jedoch nicht soziale und politische Anliegen. "Because We Spent Our Money A War" ist so ein Song, aber auch "Living' On the Edge" und "Deportee" zeichnen die deutlich erkennbaren Schatten, die das grelle Licht des amerikanischen Traumes werfen. "American Dream" ist ein engagiertes und geradliniges Bekenntnis Hank Wojis zu seinem Land und zu den Veränderungen, die es nötig hat und ist ganz nebenbei musikalisch alles andere als beliebig.
www.hankwoji.com
Karsten Rube


Firefall Acoustic "From Colorado to Liverpool"
Label: Winged Horse Records; 11 Tracks; 34:20 min; 2007
Die Beatles sind für viele Musiker die größten Vorbilder, die sie finden können. Sicher kann man bei denen viel zum Thema Vielseitigkeit lernen und wenn man zu dem ihre Bedeutung in einer Zeit betrachtet, die zwischen Biederkeit und völlig orientierungsloser Freiheit des Tuns und Denkens hin und her pendelte, dann kann man das sogar verstehen. Tribut zollen den Beatles zahlreiche Bands mit Coverversionen. Manche sind originell, andere naja.
Firefall, ein Duo aus Colorado macht sich ebenfalls auf den Weg ihren Helden zu folgen und sind dabei in ihren Bemühungen so zu klingen, wie die Beatles so perfekt, dass man sich beim Hören der CD unwillkürlich fragt, warum man nicht gleich das Original eingelegt hat. Sie sind so hervorragende Kopisten, dass man schreien möchte. Spätestens bei "Here comes the Sun" greift man zwanghaft zur Fernbedienung.
Die musikalische Leistung ist dabei durchaus zu würdigen. Großartige Musiker, die ihr Handwerk verstehen. Doch leider fehlt in ihrem Tun jede persönliche Note.
Ob das wohl eine Ehre für Helden ist, wenn deren Jünger genauso klingen, wie das Original?
www.firefall.com
Karsten Rube


Jenee Halstead "The River Grace"
Label: Eigenverlag; 10 Tracks, 40:36 min; 2008
Jenee Halstead lebt in Boston und begann dort vorsichtig Musik zu machen. Eher altmodischer Country- und Americana schwebte ihr vor, als sie ihre Musik auf Myspace präsentierte. Doch als sie sich schließlich anschickte, die CD "The River Grace" aufzunehmen, wurde daraus etwas mehr, als gewöhnlicher altbackener Americana-Sound. Vielleicht liegt das an der klaren Stimme, aber die haben auch andere Songwriterinnen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sie mit dem Albumproduzenten Dave Brubaker jemanden an der Hand hat, der sich hervorragend in der Indieszene auskennt. Dem Country wurden kurzerhand ein paar leise Elektrosequenzen untergelegt, Bluegrassansätze mit E- Orgel garniert und über allem säuselt der hinreißende Gesang Jenee Halsteads. Hier wird den Traditionalisten vielleicht der Kamm schwellen. Völlig zu Unrecht, denn das Abum ist ein klares amerikanisches Songwriteralbum. Welchem Instrumentarium man sich dabei bedient ist eher nebensächlich, solange es stimmig unterstreicht, was ausgedrückt werden soll. In diesem Fall ist es ein wunderbar gelungenes Stück authentischer amerikanischer Folk- und Countrymusik, das weit davon entfernt ist starren Konventionen zu folgen. So modern war die amerikanische Folkmusik lange nicht.
www.jeneehalstead.com
Karsten Rube


Ulf Meyer, Martin Wind, Jan-Peter-Klöpfel "Fjord Skies"
Label:
Laika-Records; 11 Tracks; 59:01 min; 2009
Das international renommierte Musikfestival "Folkbaltica" ist ein kreativer Schnittpunkt zwischen den Kulturen rund um die Ostsee. Skandinavische Folklore und norddeutscher Jazz, die aufeinander treffen erzeugen häufig ihre eigene Atmosphäre.
Die Ruhe, die einem der nördliche Himmel über dem Meer zu geben vermag wird auf der CD "Fjord Skies" sehr schön eingefangen. Die drei Jazzmusiker Meyer, Wind und Klöpfel treffen hier auf die schwedische Folksängerin Gunnel Mauritzson, sowie auf die norwegische Sängerin Unni Lovlid. Gemeinsam verträumen sie einen schöne Stunde mit Gitarre, Flügelhorn, Cello, Akkordeon und den liebevoll schmeichelnden nordischen Frauenstimmen. Das tun sie so gekonnt, dass einem selbst im Sommer ganz weihnachtlich ums Herz wird.
Eigentlich eine CD die weit über die dunkle Jahreszeit hinausragen will, einem aber doch immer wieder zu späten Abendzeiten erreicht und zu Momenten, die nach hochgeschlagenem Strickjackenkragen riechen. "Fjord Skies" lärmt nicht hitzig durch den Tag, begleitet jedoch wärmend durch die Nacht. Was einem besonders beim Hören des letzten Liedes "Lasting Love" deutlich aufgeht.
www.laika-records.com
Karsten Rube


Michio "Así Nada más"
Label: Alameda Production; 12 Tracks; 43:29 min; 2008
Wer diese CD das erste mal hört, wird erstaunt sein, zu erfahren, dass der Musiker, der hier so brillant die Flamenco-Gitarre zu spielen versteht, aus Deutschland kommt. Michio spielt bereits seit seiner Kindheit Gitarre, kann auf eine hervorragende musikalische Ausbildung zurück blicken und lässt seit gut zwanzig Jahren kaum eine Gelegenheit aus, sein Gitarrenspiel in den spanischen Flamencozentren Sevilla, Cordoba und Valencia zu vervollkommnen.
"Así nada más" ist Michios dritte Solo-CD. Er beschränkt sich nicht darauf, den bekannten Pfaden der Flamencomusik zu folgen, sondern sucht Neuland, Variationen, Spielformen. Und so klingt der Flamenco Michios nicht immer sortenrein, was erfrischend ist. Er bindet klassische Elemente ein oder lässt die Saiten einer Mandoline in einem Tempo anschlagen, dass man geneigt ist eine russische Balalaika hinein zu deuten. Nach dem sehr schönen Lied "Date vuelta" in dem Alicia Carrasco mit betörender Wehmut heiser haucht, leitet er in "Paco ni canpai" mit jazzigen Tönen eine kurze unerwartete musikalische Wende ein. Zum Ende der CD hin widmet er sich wieder der stilistisch reineren Form des Flamencos.
Eine Flamenco-CD, der ein hervorragender Spagat zwischen Traditionalismus und Grenzlosigkeit gelingt.
www.michio.de
Karsten Rube


Rotfront "Emigrantski Raggamuffin"
Label: Easy Recordings; 17 Tracks; 55:34 min; 2009
Es gehört sich irgendwie für die Anarcho- und Remmidemmiszene der Hauptstadt laute und schnelle Musik zu hören. Oder zu machen. Solides Pogotanzen zählt dabei längst zum dekadenten Bürgertum.
Mit dem nun schon Jahrzehnte währenden Einfall musikalisch sehr aufgeräumter osteuropäischer Kulturschaffender ist die autonome Szene voll gestopft von tanz- und spielwütigen vornehmlich links drehender Gute-Laune-Musikern, denen es nicht heftig genug aus den Boxen hämmern kann.
Yuriy Gruzin, musikalischer Kopf der Russendisko, ist es zu verdanken, dass mit der CD "Emigranski Raggamuffin" der unter dem unmissverständlichen Namen Rotfront firmierenden Kapelle ein recht authentisch klingender Soundtrack zum linken Lebensgefühl der Hauptstadt zustande kam.
Laut und selbstbewusst krawallt sich die Band durch 17 nicht besonders abwechslungsreiche aber in jedem Fall lebensfrohe Songs. Deutsch, Russisch, Türkisch mischt sich in den Liedern ebenso wahllos wie selbstverständlich, wie es auch auf der Straße der Fall ist. Die Kernaussage dieses Lebensgefühls wie auch der Musik findet sich nirgendwo deutlicher als in der Textzeile "...Berlin ist keine Stadt, sondern ein Heimatland." Mit diesem Satz im Gepäck sieht jede kostspielige Senats initiierte Berliner Imagekampagne dagegen uninspiriert und lieblos aus.
www.rotfront.com
Karsten Rube


Maria de Barros "Morabeza"
Label: TerraMar Musica; 11 Tracks; 43:27 min; 2009
Auf halber Strecke zwischen Europa, Afrika und Brasilien trifft sich nicht nur eine Menge Wasser, sondern es treffen sich auch die musikalischen Strömungen, die von den Kontinenten eilen. Im Zentrum dieser Strömungen liegen die Kapverdischen Inseln, ruhig, grün und unbeeindruckt vom Tempo, in dem sich die Welt wandelt.
Dies erzeugt eine Stimmung, die sich in der Musik der Kapverdianer ausdrückt. Maria de Barros gibt mit dem Album "Morabeza" einen wunderbaren Eindruck der Musikalität der Inselbewohner wieder. Verträumt, melancholisch aber von freundlich Sentimentalität sind die Mornas, die sie singt, von ausgelassener Fröhlichkeit die Afropop-Tanznummern. Von leiser Sehnsucht beseelt die Lieder, die deutlich brasilianischen Einflüssen unterliegen. Fast ein bisschen klischeebehaftet klingt die CD, denn irgendwie mogeln sich beim Hören immer wieder Bilder von Sandstränden, Feuerstellen mit Barbeque und romantischen Sonnenuntergänge ins Gemüt.
Die CD "Morabeza" birgt die entspannteste Musik dieses Archipels seit Jahren und erinnert an Simentera und Boy Gé Mendes.
www.mariadebarros.com
Karsten Rube


The Shin "Black Sea Fire"
Label:
Jaro-Medien; 12 Tracks; 51:42 min; 2009
So wie die Ostsee, die Anrainerstaaten seit Jahrhunderten verbindet, so erleben auch die Länder rund um das Schwarze Meer, dass sie über das Meer hinweg viele kulturelle Gemeinsamkeiten besitzen. Von Burgas bis Batumi, von Trabzon bis Odessa finden sich immer wieder Melodien die sich seelenverwandt sind. Die CD "Black Sea Fire" ist voller schöner kleiner Geschichten aus dem Leben rund um das Schwarze Meer. Musiker aus vielen Ländern der Region haben sich zu diesem Projekt zusammengefunden. Da hört man mal ein wunderschönes ukrainisches Akkordeon, träumt zum traurigen Klang der georgischen Duduk und lauscht den wunderschönen Satzgesängen multikultureller Chöre.
Man erlebt eine türkische Hochzeit in Trabzon und wird anschließend mit einem lasischen Abschiedslied in eine traurige Stimmung gezogen. Ein anderes Lied erzählt von der Verteidigung des heimatlichen Kartoffelackers im gebirgigen Georgien. Eine Hymne auf Odessa und ein Lied über die Verlorenheit, die ein Schwarzmeerprovinzler in New York erleben musste, lassen die Stimmung großer Städte am Meer nachempfinden.
The Shin hat im Projekt "Black Sea Fire" zwölf Schwarzmeerperlen gesammelt, die es zu entdecken lohnt.
www.theshin-music.com
Karsten Rube


Kalio Gayo "Mei Ti Sera Foun"
Label: Eigenverlag; 13 Tracks; 47:17 min; 2008
Authentisch klingende Musik muss nicht immer von Eingeborenen stammen. Wenn man osteuropäische Musik sucht kommt man ohnehin nicht drum herum auch oder gerade außerhalb Osteuropas herumzuhorchen. Der Fluss der Kultur kennt keine Grenzen mehr, jedenfalls nicht westwärts.
Kalio Gayo ist eine niederländische Kapelle, die sich der osteuropäischen Musik verschrieben hat, russische Gipsymusik, Balkanklänge, Tanzmusik zu Festlichkeiten aufführt. Dass sie nicht aus Osteuropa stammen mag man ihnen ansehen, hören lässt sich der Unterschied kaum, es sei denn man ist mit den slawischen Sprachen so vertraut, wie es Muttersprachler sind. Und das sind Kalio Gayo sicher nicht, denn allzu oft klingt ihr slawischer Sprachschatz nach Urlaub in Fantasien. Was der Fröhlichkeit der Lieder keinen Abbruch tut.
Mit Akkordeon, Banjo, Geige und Gitarre spielen sie sich quer durchs slawische Leben und lassen frohgelaunt Geschichten von streitsüchtigen Nachbarn, braven Vögeln und Heimkünften nach langer Abwesenheit erklingen. Ob man das nun wörtlich versteht oder sich nur einbildet, spielt dabei keine Rolle. Die Hauptbotschaft lautet ohnehin: "Seit fröhlich und tanzt".
www.kaliogayo.nl
Karsten Rube


Madredeus & A Banda Cosmica "Metafonia"
Label: Farol Musica; 19 Tracks; 73:03 + 52:54 min; 2008
Gefragt, welche musikalischen Eindrücke man mit Portugal verbinde, antworten die, die überhaupt musikalische Eindrücke mit Portugal verbinden: "Madredeus". Tatsächlich ist Madredeus die in Europa populärste Band des Landes, sicher nicht zuletzt durch den Wim Wenders Film "Lisbon Story" von 1994.
Madredeus haben in den inzwischen 23 Jahren ihres Bestehens zahlreiche Platten veröffentlicht. Das sich dabei ihre stilistische Bandbreite über die Jahre nicht sonderlich auffächerte, tat der Popularität der Band keinen Abbruch.
Nun ließ sich eine Stagnation in der musikalischen Entwicklung der Band nicht überhören. Die Sängerin Teresa Salgueiro mit ihrer glockenhellen, schönen aber modulationsarmen Stimme war jahrelang das Aushängeschild von Madredeus. Sie begriff als erste, dass sich etwas ändern musste und verließ 2007 die Band, um sich anderen Projekten zu widmen. Für Madredeus hätte dies ein guter Augenblick sein können, sich musikalisch zu erneuern, sich ein wenig frisch zu machen. Die Erwartungen an das erste Album ohne Teresa Salgueiro waren hoch und wurden mit Erscheinen von "Metafonia" enttäuscht. Trotz Austausch der Stimmen, Experimenten mit Harfe und E-Gitarre und einem ganz vorsichtigem, zögerlichen Öffnen zu Rhythmen aus den portugiesisch sprachigen Überseeländern bleibt die Musik auf "Metafonia" lahm und schwerfällig. Die neuen Stimmen, als Erfrischung im Klangbild gepriesen, werden wohl bewusst genauso wenig gefordert, wie die von Teresa Salgueiro in der Vergangenheit. An einigen Stellen auf der zweiten CD hört man das deutlich. Gerade in der Neueinspielung von "O Paraiso" zeigt sich, das die Band hörbar an Kraft verloren haben. So schleppen sich Madredeus über zwei Stunden lang durch den CD- Player in der Hoffnung den Hörer in Trance zu versetzen. "Bleiben Sie entspannt" würde ein bekannter Sender für seicht-klassische Musik säuseln. Doch 12 Minuten "O Eclipse" als kompositorisch arme und abwechslungsfreie Dauerschleife oder 18 Minuten "O Mar" entspannen nur den, der dabei entschläft.
"Metafonia" übersetzt sich aus dem Portugiesischen als "Umlaut" oder Lautänderung. Vielleicht hätte Madredeus das Album doch besser "Uníssono" (Gleichklang) nennen sollen. Schade. Wirklich Schade.
www.madredeus.com
Karsten Rube


Luz Casal "La Pasión"
Label: EMI; 11 Tracks; 37:59 min; 2009
Siehe auch das Luz-Casal-
Interview in dieser Ausgabe
Luz Casal zählt zu den großen Stimmen ihres Heimatlandes Spanien und das seit gut zwanzig Jahren, was hierzulande jedoch kaum einer bemerkt. Bedauerlich, wie sich zeigt, wenn man sich dieses beeindruckende, aber viel zu kurze Album "La Pasión" anhört.
In Elf Song träumt sie sich durch die große Zeit der Ballsäle Lateinamerikas des letzten Jahrhunderts. Mit großem Orchester, weit ausholenden Arrangements und einer großen Stimme, die keinen Zweifel daran lässt, wie sehr ihr diese Musik am Herzen liegt. Zwischen den vierziger und späten sechziger Jahren tanzen ihre Lieder hin und her. In "Alma Mia" zitiert sie den staubigen Chic der frühen Orchesterlegende Montovani. Bei "A dónde va nuestro amor" wird fett mit Streichern und Bläsern aufgewartet. Der Bolero- Cha "No,No Y No" bringt einem die Vorstellung eines vom Tanzen stumpfgebohnerten Parketts nahe, Wer an den zerbröselnden Kolonialbauten Havanas vorbei geht kann sich kaum vorstellen, mit wie viel Stil hier einst Herren in adretten Anzügen ihren schmucken, filigranen Schönheiten mit Zigarrenatem Zärtlichkeiten ins Haar hauchten. Luz Casal widerstand dem Drang, modernes Crossover zu betreiben. Das ist um so erstaunlicher, da der Produzent Renaud Letang mit Manu Chao schon manche stilistische Holperstrecke konstruiert hat. Bei Luz Casal setzte er jedoch ganz auf Nostalgie. "La Pasión" ist ein Traum in Sepiafarben - verklärend vielleicht, doch stilvoll, exzellent und von ausnahmsloser Grandeza.
Wer sich auf die Öffnung des auf der CD gespeicherten Programmes einlässt, gelangt übrigens auf eine separate Website der Künstlerin und wird mit ein paar wunderschönen Fotos, einem Bonus-Track und einigen Videos der Künstlerin belohnt.
www.luzcasal.es
Karsten Rube


Puntilla y el Conjunto Toto Rumbero "A Tribute to Gonzalo Asencio"
Label:
Smithsonian Folkways; 9 Tracks; 60:29 min; 2008
Gonzalo Asencio alias Tio Tom war einer der legendären Straßenmusiker Havannas. Hier saß er, trommelte und sang Lieder die in einer Verschmelzung afro-kubanischer Rhythmen mit der gesungenen urbanen Problemwälzung eines Jahrhunderts zwischen Kolonialismus und kommunistischer Diktatur zu dem führte, was kubanische Rumba genannt wird. Nicht die Rumba, die als Tanzschritt domestiziert auf glatten Parketts zelebriert wird, sondern der Rumba der Straße. Tio Tom, der 1991 betagt starb, bekommt durch Orlando Rios eine Homage verpasst, die so sparsam, wie sie eingespielt ist, tatsächlich nur etwas für intime Kenner der kubanischen Musik ist.
www.folkways.si.edu
Karsten Rube


V/A "Polska Rootz"
Label:
Eastblok Music; 16 Tracks; 68:17 min; 2009
Die polnische Musikszene war schon lange vor dem Mauerfall sehr progressiv. Während sich international beachtet Czeslaw Niemen als Botschafter der unabhängigen polnischen Musikszene verstand, formierten sich im Underground aufsässige Punkbands. Dubmixes und Reggae kannte man bereits eine ganze Weile und Fusionen aus Rock und Beskidenfolk ließen sich sogar in Fernsehserien ausmachen, die in den Ostblock exportiert wurden. Nach dem Untergang des Kommunismus konnte man auch hierzulande einiges aus dem Nachbarland Polen hören, das beachtenswert war. Nicht zuletzt ließ das Terra Polska Festival im Jahr 2004 in der Berliner Kulturbrauerei aufhorchen.
Eastblok-Music veröffentlicht nun einen Sampler mit 16 zum Teil ordentlich lauten Beispielen polnischer Gegenwartsmusik. Darunter finden sich bekannte Größen der Folkmusic wie die Warshaw Village Band und die Trebune-Tutki, die vor Jahren mit den Twinkle Brothers eine gelungene Fusion aus Dub, Reggae und Beskidenfolk auftischten, an die man sich erst gewöhnen musste, dann aber sogar beim Folkfest in Rudolstadt 2002 für Furore sorgte. Die urbane Raagamuffin-Szene Warschaus unterscheidet sich nicht so sehr von der jungen Musikszene Berlins. Vavamuffin klingt ähnlich wie Culcha Candela oder Rotfront. Zwischen den polnischen Mesajah und Habakuk und den Berliner Lokalmatadoren von Seeed liegen auch nicht so viele Welten.
Diese schöne Mischung zeigt, wie ähnlich sich die Musikszene Deutschlands und Polens und damit auch das allgemeine Lebensgefühl in vielen Ebenen der beiden Nachbarn ist.
www.eastblokmusic.com
Karsten Rube


Mi Loco Tango "Il Cinema: Il Paradiso!"
Label: Zama Recordings; 13 Tracks; 63:59 min; 2010
Italienische Filmmusik ist vor allem eins: Emotional. Ob Nino Rotas Thema zu "Der Pate" oder Ennio Morricones Westernmelodien, oder man denke an "Il Postino". Mindestens Hundert Filme lassen sich ohne lange nachzudenken aufzählen, deren Musik sich intensiv in das musikalische Gedächtnis eingebrannt haben dürften und deren Schöpfer Italiener sind. Mi Loco Tango, eine kleine feine Kapelle, die sich eigentlich zusammengefunden hatte, um das Werk Astor Piazollas zu interpretieren hat sich nun auf einen Seitenpfad begeben und sich ein paar Perlen der italienischen Filmmusik heraus gefischt. Nicht mit der Wucht eines großen Orchesters sondern der dezenten Instrumentierung eines kleinen Ensembles von gerade mal vier Musikern - die jedoch an einigen Stellen von Gastmusikern ergänzt werden.
Da ist die Violine von Irina Brunn - deren Klang einer Geige in einem Salonorchester entspricht, dick bestrichen mit der Patina vergangener Zeit. Judith Herrmanns Finger wandeln beinahe tänzerisch über die Tasten ihres Klaviers. Das Akkordeon von Vassily Dück tritt besonders an den melancholischsten Stellen hervor und nimmt einem schier die Luft zum Atmen. Wer wissen will, was ich damit meine höre sich doch mal die Interpretation von "Cinema Paradiso" auf der CD an. Der schwere Teppich, auf denen sich dieses musikalische Bauwerk stellt ist der Kontrabass von Gregor Praml.
Als Gastmusiker haben sie das Glück auf Franco de Gemini zu bauen, dem Musiker, der einst in "Once upon a time in the West" die Mundharmonika spielte.
Mit einer hinreißenden Leidenschaft stürzen sie sich auf so bekannte Stücke wie "Amarcord" "The Godfather" dem ewigen Tränendrücker "Cinema Paradiso" und natürlich "Das Leben ist schön" jenem Film von Roberto Benigni, der auf herzzerreißende und komische Weise den Versuch des Überlebens im KZ darstellt und 1999 mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Man kann sich beim Hören der CD "Il Cinema: Il Paradiso!" als Filmliebhaber jede einzelne Sekunde fallen lassen, beim Klang dieser wunderschönen Interpretationen Filmszene um Filmszene im Kopf abspulen und dabei träumen, verzückt grinsen oder verschämt ein paar Tränen zerdrücken.
www.milocotango.de
Karsten Rube


Tamikrest "Adagh"
Label:
Glitterhouse; 11 Tracks, 42:40 min; 2010
Der Nordosten des Mali bringt seit einiger Zeit ein paar sehr interessante Bands hervor. Dort im unwirtlichen Wüstengebiet ist es vor allem die E-Gitarre, die die Musiker der Touareg fasziniert. Mittlerweile zum einem der weit verbreitetsten Instrumente aufgestiegen, gehören E-Gitarren zu Volksfesten so selbstverständlich dazu, wie Trommeln und Tanz. Die wohl bekannteste Touareg-Band des Landes ist Tinariwen. Die "Rolling Stones" der Sahara haben mittlerweile zahlreiche Jünger, die ähnlich hervorragende Musik produzieren. Terrakraft sei erwähnt und das jüngste Beispiel Tamikrest.
Tamikrest besteht aus sieben jungen Musikern knapp über Zwanzig. "Adagh" ist ihr Debütalbum und es kann sich hören lassen. Ihre Themen sind ähnlich, wie die anderer Touareg-Bands, aber das ist nur logisch, denn sie haben die selben Probleme. So geben sich Tamikrest recht rebellisch. Die anhaltenden Unruhen im Nordosten Malis, die vor allem ihren Grund in der Ausgrenzung der Touareg durch die Regierung finden, aber auch mit Problemen zwischen den einzelnen im Land vertretenen Volksgruppen zu tun haben, sind wichtige Themen der Lieder der jungen Gruppe. Daneben findet sich ihr musikalisches Anliegen aber vor allem in der Liebe zur Wüste, die für sie nicht lebensfeindlich ist, sondern Heimat. Die langsamen verspielten Gitarrenstücke und der leicht taumelnde Gesang zaubern eine faszinierende Stimmung hervor und lassen den Hörer in einem beruhigenden tranceähnlichen Zustand zurück.
www.myspace.com/tamikrest
Karsten Rube


Carlos Moscardini "Horizonte Infinito"
Label:
Winter & Winter; Nr. 910 157-2; 20 Tracks; 61:28 min; 2009
Argentinien kennt viele musikalische Facetten. Vom Tango in Buenos Aires, über den populären Cuarteto, zur schnellen Chacarera bis hin zur Milonga. Und das sind nur grobe Eckpfeiler in einem Land, das von Ureinwohnern und Einwanderern aus aller Welt gleichermaßen geprägt ist. Jeder verbindet sein ureigenes Heimatgefühl mit einem eigenen rhythmischen Empfinden. Einen generellen Überblick kann man sich kaum verschaffen. Carlos Moscardini zeichnet sein eigenes Heimatbild, gespielt auf den Saiten seiner Gitarre. "Horizonte Infinito" - "Unendlicher Horizont" heißt seine CD. Der Musiker sammelte zahlreiche Tänze aus dem ganzen Land, spielt mal Tango, mal Milonga und durchquert dabei seine Heimat von Nordwesten bis in den Süden. Dies alles reduziert auf sein einzigartiges warmes, streichelndes Gitarrenspiel. Luciana Jury ergänzt ihn in wenigen Liedern mit ihrer Stimme. Doch ist es die hingebungsvolle Spielweise Moscardinis, die dem Hörer das weite Land und seine Einwohner auf einfühlsame Weise näher bringt.
Carlos Moscardini kann sich auf minimale Bedingungen beschränken, reduziert auf seine Gitarre und zwei Mikrofonen die seine Musik aufnehmen. Keine übertriebenen und doch einengende technische Spielereien, sondern das unverbaute musikalische Erleben. Das Ergebnis ist ein großartiges Album.
www.winterandwinter.com
Karsten Rube


Hindi Zahra "Handmade"
Label: Blue Note; 11 Tracks; 41:17 min; 2009
Bei aus den Magrebstaaten ausgewanderten Musikern, die sich, wenn auch nur zeitweilig in Paris niedergelassen haben, stellt sich sofort ein ziemlich festgelegtes Hörmuster ein. Energiegeladene Musik zwischen Raï und Rap, aufgeregt und voller Protestlaune.
Ganz anders zeigt sich die in Marokko aufgewachsene Musikerin Hindi Zahra. Ihr spannendes Debütalbum "Hand Made" präsentiert sie in einer Art Global- Smart-Pop-Laune, die an Feist und Madeleine Peyroux erinnert, dabei eine Genre übergreifende laszive Gefälligkeit entwickelt, wie sie bestenfalls noch Manu Chao bekannt ist. Da Hindi Zahra sich bereits eine ganze Weile in London aufhält, sind die Pariser Einflüsse zwischen Banlieue und Berbes bei ihrer Musik nur wage am Rand zu erkennen. Stattdessen bedient sie sich afro- amerikanischer Elemente, zwischen Jazz, HipHop und Soul und hat auch sonst keine Berührungsängste, was das Mischen von musikalischen Stilen betrifft.
"Beautiful Tango" eröffnet dieses Album der dezenten Schwingungen mit einem schaukligen schweren Rhythmus irgendwo zwischen Reggae und Blues. "Oursoul", ein Lied in der Berbersprache klingt verkratzt wie ein Garagenblues aus den Vierzigern. "Kiss and Thrill" besitzt die treibenden Gitarren des Desert-Rocks gewürzt mit souligem Gesang. Und "Imik Si Mik" erinnert an Gipsy-Swing-Nummern eines Django Reinhardt.
Hindi Zahra ist mit ihren Berberwurzeln, der Lust am Geschichten erzählen und dem Gespür für eingängige Rhythmen Weltmusikerin, Liedermacherin und Popsternchen in einem. Für ein Debütalbum ist "Handmade" ein erstaunlich ausgereiftes Produkt.
www.hindi-zahra.com
Karsten Rube


Mahsa Vahdat & Mighty Sam McClain "Scent of Reunion"
Label:
Kirkelig Kulturverksted Oslo; 10 Tracks; 55:13 min; 2009
Es gibt Musik, da fällt es schwer sie räumlich einzuordnen. Glücklicherweise ist das im Fall der CD "Scent of Reunion" nicht nur unmöglich, sondern gänzlich unnötig. "Love Duets across civilizations", wie die CD im Untertitel heißt ist gefüllt mit souligen Lovesongs des Amerikaners Mighty Sam McClain. Sein kräftige Soulstimme ergänzt die Iranische Sängerin Mahsa Vahdat. Wem das nicht genug Internationalität ist, dem sei gesagt, dass der Norweger Knut Reihersrud für die Arrangements der Lieder verantwortlich ist, die Mohammad Ebrahim Jafari und Erik Hillestad dichteten und deren Melodien meist alten persischen Folksongs entlehnt sind. Das ganze wird dann auch noch von der norwegischen Kirkeligen Kulturverksted herausgegeben.
Es ergibt sich eine eigenwillige Stimmung, getragen von den leidenschaftlichen Liebesliedern, die erklingen und den Hörer warm umfangen. Hin und her gerissen, zwischen der westlichen Soulstimme McClains und der weichen Stimme Mahsa Vahdats, die die Weite Asiens in sich trägt, wandeln die Lieder zwischen den Welten und lassen alles Starre, Bodenbindende weit hinter sich. "Scent of Reunion" ist Poesie auf höchstem Niveau.
www.kkv.no
Karsten Rube


Del Castillo "Del Castillo" [CD + DVD]
Label: Smilin' Castle Records; 13 Tracks; 56:47 min + DVD; 2009
Del Castillo ist die erklärte Lieblingsband von Robert Rodriguez. Der texanische Regisseur, der mit Brachial-Komödien wie "From Dusk till Down", "Sin City" und "Once Upon in Mexico" Aufsehen erregte, bedient sich gelegentlich der Musik seines Freundes Rick del Castillo, um seine Filme mit etwas Tex-Mex zu würzen. Die CD "Del Castillo" klingt allerdings viel wohlgefälliger, als die Filme, die sie untermalen. Del Castillo macht amerikanisch- mexikanischen Pop, der gelegentlich rasant zur Sache kommt, wie in "Cafe Sin Leche". Besonders die Akustikgitarre kommt hier zum Zug. Ein paar der schnulzigeren Songs erinnern an das Gesäusel von Juanes. Eine insgesamt unterhaltsame knappe Stunde mit Popmusik von beiden Seiten der amerikanisch-mexikanischen Grenze. Der CD beigelegt ist eine Live-DVD der Band die Robert Rodriguez produziert hat.
www.delcastillomusic.com
Karsten Rube


Lenga Lenga "L Teçtemunho"
Label: Miranda do Douro; 12 Tracks; 51:14 min; 2009
Lenga Lenga ist ein traditionelles Gaiteirosquartett aus Sendim am Douro in Nordportugal. Die Art mit Dudelsack und Trommel Geschichten aus dem Leben der Bauern, Hirten, Handwerker und Winzer zu erzählen ist in einigen der versteckten Gemeinden heute noch recht wach. Lenga Lenga spielen seit zehn Jahren zusammen und fehlen seit dem auf keinem der zahlreichen Festivals für traditionelle Musik im Norden Portugals. Die CD "L Teçtemunho" wirkt wie ein akustischer Spiegel der traditionellen Spiel- und Lebensweise von Pauliteiros und Gaiteiros (Trommlern und Dudelsackspielern) dieser europäischen Region.
www.lengalenga.net
Karsten Rube


V/A "Django's Spirit - A Tribute to Django Reinhardt"
Label:
Trikont; 20 Tracks; 70:41 min; 2010
Django Reinhardt ist einer der wenigen Musiker die Genre übergreifend gemocht, verehrt und zitiert werden. Der Gipsymusiker mit dem unverwechselbaren Gitarrenspiel bewegt die Herzen Finger und Füße aller Generationen, die das letzte Jahrhundert bevölkerten und seine Musik gibt auch im neuen Jahrtausend glücklicherweise keine Ruhe.
Susie Reinhardt sagt, dass sie weitläufig mit Django verwandt ist. Irgendwo über die Vaterseite, der aus der Volksgruppe der Sinti stammte. Da verlieren sich die Gemeinsamkeiten oberflächlich. Doch seelenverwandt sind sie allemal. So ließ sie sich inspirieren vom entfernt verwandten und widmete ihm eine Compilation. Zwanzig Song versammelte sie unter dem Geist Django Reinhardts, eingespielt von allerhand Musikern die aus den verschiedensten musikalischen Ecken und Zeiten stammen. So findet sich eine swingende Aufnahme des Quintette du Hot Club de France aus dem Jahre 1938. Eine Aufnahme die etwas staubig wirkt, bei aller flinken Spielweise aber den Staub nicht liegen lässt, sondern kräftig aufwirbelt. Gipsy.cz wiederum zeigt sehr eindrucksvoll, dass sich die Musik Reinhardts genauso gut ins 21. Jahrhunderts transportieren lässt. Ihr HipHop ist nicht gerade mager bestückt mit drastischen Ausdrücken, die Django vermutlich noch kaum gekannt, geschweige denn benutzt hat. Dabei gleiten sie jedoch immer wieder in den simplem Takt der Zigeunerkapellen ab wie man sie in Budapester Touristenkneipen erleben muss. Auf der CD wirkt es eigentümlicher Weise nicht aufdringlich.
Das Titi Winterstein Quintett darf natürlich nicht fehlen. Winterstein ist einer der wichtigsten musikalischen Erben Reinhardts. Dieser Beitrag zur Compilation ist einer der Höhepunkte der CD.
Ein sehr vielschichtiges und würdiges Sammelsurium im Reinhardtschen Geist, das auch nach einer Stunde nicht langweilig wird.
www.trikont.de
Karsten Rube


Snorre Schwarz "Petit Berlinois"
Label: Phonector; 11 Tracks; 40:00 min; 2009
"Petit Berlinois" ist Snorre Schwarz' Versuch sich vom ewigen Schlagzeugerdasein an der Peripherie der "Grinen Kuzine" zu lösen. Das tut er radikal. Seine CD ist frei von Schlagzeug, dafür voll von Poesie. Eine leicht unterkühlte Nachtmusik, die mal von Einsamkeit, mal von Hitzetaumel und mal von fehlendem Nachtschlaf singt. Dezent rhythmisch begleitet von Gitarre und einem Keyboard das so verboten elektronisch klingt, wie die musikalische Untermalung eines Fernsehkrimis aus den 70ern. Das verbreitet eine Atmosphäre, die verwirrt und wie in "Im Wald" auf eine paranoiden Stimmung zu taumelt. Die weiche, helle Stimme Snorre Schwarz' täuscht vordergründig eine Freundlichkeit vor, die beim vorsichtigen Ertasten der Texte wie eine Maske wirkt, hinter der sich dunkle Abgründe auftun. Der freundliche kleine Berlinois hat die Nächte der Stadt durchlebt. Entsprechend psychotisch fällt sein Resümee aus. "Petit Berlinois" wirkt wie ein sehr lyrischer, sehr sinnlicher... Albtraum.
www.snorreschwarz.de
Karsten Rube


Otto Groote Ensemble "De anner Steens an d' Heven"
Label: GMS; 14 Tracks; 53:05 min; 2009
Bei mancher Musik sollte sich der Rezensent still zurück lehnen und sich auf die eine wesentliche Aussage beschränken. In diesem Fall lautet sie: Otto Grootes Lieder sind zu Tränen rührend schön.
Da man dabei weder dem Musiker, noch denen gerecht wird, die etwas über die Musik erfahren wollen, müssen es manchmal mehr Worte sein, als nach dem Anhören der Musik nötig wären.
Otto Groote kultiviert seit Jahren das norddeutsche Liedgut, singt auf Plattdeutsch Lieder, die nach melancholischer, aber freundlicher Erinnerung klingen, versöhnlich und voller Wärme. "De anner Steens an d' Heven" ist Musik nördlicher Meeresanrainer, eine Melange aus amerikanischem Songwritermaterial, Liedern, die zwischen keltischem Klassikern und Shantischunklern hin und her gerissen sind und manchmal unverkennbar skandinavische Züge aufweisen. Die beste Musik für Meeresrauschen und Rollkragenpullover. Groote zitiert sentimentales Seemansgarn, wie Brels "Amsterdam" so schön, wie Brel es nur selten vermochte. Nicht so energisch, nicht so verloren, doch nachdenklich und mit mildem, versöhnlichen Klang. Goethes "König von Thule" in der musikalischen Form Carl Friedrich Zelters besitzt ins Plattdeutsche übersetzt eine beschwörend spätmittelalterliche Klangfarbe. Richard Thompsons "Waltzing for Dreamers" gehört zu den schönsten Interpretationen, die die CD aufweist.
Doch bei aller bewundernswerter Bearbeitung der Texte und Musiken anderer Künstler erweisen sich die eigenen Lieder Grootes als die zweifellos eindringlichsten Momente auf dieser Platte. "Ik stah van feern" ist ein wunderschönes Liebeslied, das man auch dann noch versteht, wenn einem alles Plattdeutsche wie Swahilli erscheint. Die wenigen Worte und die schwelgerische Musik sprechen für sich.
Das am Ende des Albums leise erwachende "Iesmeerwellen" ist musikalische Erholung von höchster Qualität. Ein knapp vierminütiger Nordseestrandurlaub, der ein ganzes Jahr Alltagsstress wie Schnee bei Tauwetter vom Dach rutschen lässt.
www.otto-groote.de
Karsten Rube


Värttinä "25"
Label:
Westpark Musik; 2009; 22 Tracks; 74:46 min
Ein 25jähriges Bandjubiläum kann man gern als Anlass nehmen, um eine Best Of- Sammlung herauszubringen, die das musikalische Werk des vergangenen Vierteljahrhunderts würdigt. Das ist im vorliegenden Falle mit der CD "25" auch ganz gut gelungen. Beginnend bei den Anfängen als Folklore-Gruppe mit kreischendem Kinderchor, bis zur nahen Vergangenheit, in der von den vielen Mitgliedern der Band noch ein paar recht lautstarke Rudimente vorhanden sind liefert die CD allerhand schönes und erinnungswürdiges Musikmaterial.
Värttinä waren über viele Jahre hinweg das populärste Aushängeschild der nordeuropäischen Folk- und Weltmusik. Auf Festivals rund um die Welt ließen sie zertanzte Rasenflächen zurück und bei zahlreichen Konzerten sangen Frauen wie Männer die Texte mit, selbst wenn sie kein Wort Finnisch verstanden. Die CD "25" lässt das alles noch einmal frisch werden. Eine schöne Erinnerung an Zeiten ausgelassenem Live-Folk-Enthusiasmus, als Weltpop eine erfolgreiche Alternative zum Mainstream darzustellen schien.
Aber 25 Jahre liefen auch an Värttinä nicht ohne Blessuren vorbei. Zahlreiche Veränderungen in der Band modifizierten das Klangbild. In den späten Jahren leider nicht nur zum Besseren. Die letzte reguläre CD "Miero" aus dem Jahr 2006 gehört schon zum experimentellen Folk.
Die vorliegende CD "25" erschien bereits 2007 und wurde von Westpark, dem führenden Label für nordeuropäische Musik 2009 herausgegeben. Auf der Website der Band bleiben aktuelle Nachrichten spärlich gesät und vermelden meist nur, dass wieder ein Musiker die Band verlassen hat. Auch Konzertankündigungen enden bisher im Jahr 2009.
Die Musiker und Sängerinnen sind mittlerweile gesetzteren Alters und in einigen Fällen auch familiär gebunden. Da bleibt das Bandleben ein wenig auf der Strecke. Ob von Värttinä noch mal etwas Neues erscheinen und wie es dann klingen wird, das zeigt die Zeit. In jedem Fall bleibt "25" ein runder und gelungener Rückblick, den man sich unbefangen und voller Freude immer wieder anhören kann.
www.varttina.com
Karsten Rube


Manuel Normal "De Wöd steht nimma laung"
Label: Manuel Normal Records/Broken Silence; CD 13123; 2010; 18 Tracks; 54:13 min
Wer beim Hören von Manuel Normals CD "De Wöd steht nimmer laung" nichts versteht, hört ein Album, das zwischen A-cappella- Hip-Hop, Funk und Austro-Rock hin und her pendelt. Durchaus fetzig.
Wer verstehen will, was da aus seinem Mundart beherrschten Texten auf der Musik balanciert, der sollte zunächst auf die Rückseite der Plattenhülle schauen und den Hinweis "Warnung! Deutliche Sprache!" beherzigen.
Manuel Normal blickt sich um, betrachtet seine Umwelt und legt los. Er benötigt gar keine poetische Ader, um in blumigen Worten die Dummheit der Welt zu umschreiben, die ihn offensichtlich umgibt, er geht den direkten Weg, den der direkten Beleidigung.
In "YesUs" betrachtet der den Obama-Rausch äußerst skeptisch. Er fragt sich, ob "Yes you can" wunderschön ist oder sich dahinter die selbe verlogene demokratisch getarnte Diktatur verbirgt, wie bei seinen Vorgängern.
"Marionetten" ist ein echter Aufwiegelsong, ein Lied, das zum eigenen Denken und Tun auffordert. "Schnei endlich die bandl durch" singt er und hofft auf selbstständig wachsende Barrikaden. In "Linz" erscheint die Kulturhauptstadt 2009 nicht sonderlich liebenswert. "Soiche Leit" ist heavy Austro-Rock, laut und direkt, Mainstream kompatibel und damit der hörbarste Titel, damit jedoch auch der unpassendste auf der CD.
Und dann gibt es da noch "Rosenkraunz". In ploppig gefälligen Synthierhythmus verpackt zelebriert Manuel Normal in diesem Lied seine Idee, durch unappetitliche Foltermethoden Leute ,die seinem Weltbild zuwider laufen auf Linie zu bringen. Hier ist Manuel Normal geschmacklos und vom Geist der von ihm Verachteten keinen Furz weit entfernt.
"Hirn und Arsch lüften hat noch keinem geschadet" bemerkt der Pressetext zur CD. Das mag richtig sein. Aber gemäß dem Satz der nicht verloren gehenden Energie, bleibt die ganze schlechte Luft am Hörer hängen.
Widersprüchlich in sich dürfte die CD in jedem Fall polarisieren. Es besteht allerdings auch die Gefahr, dass sie verstört. Was im Interesse des Künstlers sein dürfte.
www.manuelnormal.at
Karsten Rube


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 03/2010

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