FolkWorld #74 03/2021
© Walkin' T😊M

Elke Rogge, Hölderlin Express Matthias Loibner Ulrich Joosten Grégory Jolivet, Blowzabella Germán Díaz Stephen Pajer, Feitel Simon Wascher Valentin Clastrier

Viva La Drehvolution!

Ich erinnere mich noch daran, vor mehr als zehn Jahren die Dresdner Mittelalterband Liederlicher Unfug als Straßenmusiker in Rudolstadt gesehen zu haben. Mittlerweile ist deren Drehleierspieler Stephan Groth wesentlicher Bestandteil der erfolgreichen Pagan-Folk-Band Faun. Daneben zelebriert Stephan mit dem Quartett ZiRP alle machbaren traditionellen und experimentellen Drehleier-Sounds.


Stephan Groth: Ja, genau! Ich habe bereits mit Liederlicher Unfug und ZiRP in Rudolstadt gespielt und sehr gute Erinnerungen an diese Auftritte. Mit Liederlicher Unfug (ursprünglich eine Schülerband) hatte ich meine ersten Gehversuche im Bereich der Folk- und Mittelaltermusik unternommen und wir haben es immerhin auf zwei Alben geschafft. Seit ich 2012 „hauptberuflich“ bei der Band Faun eingestiegen bin, liegt Unfug allerdings auf Eis, auch weil die anderen Mitglieder mittlerweile bürgerlichen Berufen nachgehen und in alle Winde zerstreut sind.

ZiRP

ZiRP


Artist Video ZiRP @ FROG

www.zirpmusic.de



Wie ist es zu dem Sound gekommen, der ZiRP ausmacht?

Generell hatte ich immer schon ein sehr breites Musikinteresse von Jodeln bis Prog-Metal. Mein erster musikalischer Input kam aus der Plattensammlung meiner Eltern, die vor allem aus Ost-Rock (Lift, Stern Meissen usw.), klassischem Prog-Rock (Yes, Genesis, Gentle Giant usw.) und Liedermacher-/Folkmusik (z.B. Wacholder) bestand. Eine gute Mischung , aus der sich dann ein jugendliches Interesse an Mittelalter- und Folkrock entwickelt hat, mit Bands wie Subway to Sally oder The Inchtabokatables. Nach einer schulischen Keyboard- und Klavierausbildung folgten zahlreiche autodidaktische Ausflüge in die Welt der akustischen und historischen Instrumente. Über die Drehleier und diverse Workshops und Jam-Sessions mit Folkmusikern aus ganz Europa bin ich schließlich in die traditionelle Tanz- und Bordunmusik hineingerutscht.

Was fasziniert dich gerade an der Drehleier?

ZiRP

Seit ich das erste Mal eine Drehleier gehört und gesehen habe, bin ich fasziniert von diesem „Schoß-Orchester“. Irgendetwas resoniert in mir mit dem ursprünglichen Klang der Drehleier und ich liebe die Möglichkeit, gleichzeitig Rhythmus, Melodie und Harmonien (zum Bordun) spielen zu können. Die Begeisterung hat sich noch verstärkt, seit ich festgestellt habe, dass man die Leier auch an ein Effektgerät anschließen und in eine E-Gitarre oder einen Analog-Synthesizer verwandeln kann. Ich spiele schon seit vielen Jahren eine Viola Drehleier von Wolfgang Weichselbaumer und bin sehr glücklich über dieses großartige Instrument und die spielerischen Möglichkeiten, die es mir bietet.

Was heißt das konkret für das Projekt ZiRP?

Ich finde es am spannendsten, wenn Musik genreübergreifend funktioniert. Nach meinen ersten Ausflügen in die traditionelle Musik hatte ich das Bedürfnis, einen frischen musikalischen Ansatz nach dem Vorbild der jungen, wilden Balfolk-Szene auszuprobieren, eigene Stücke zu schreiben und die Möglichkeiten der Drehleier auszutesten. Über eine Anzeige in einer Dresdner Studentenzeitung lernte ich Olaf Peters kennen, einen großartigen Fingerpicking-Gitarristen. Wir harmonierten sofort sehr gut und schrieben schnell unsere ersten eigenen Tunes. Über einige Zufälle kamen dann Florian Manuel Fügemann am Schlagzeug und Florian Kolditz am Bass dazu und haben ZiRP ab 2012 vervollständigt. Die beiden Florians haben einen völlig anderen musikalischen Background und haben die „Fusion“ in den „Fusion Folk“ gebracht. Seitdem lassen wir unseren unterschiedlichen musikalischen Ideen einfach ungezwungen freien Lauf und haben nach und nach eine ganz eigene Handschrift entwickelt.

Wie würdet ihr denn selbst euren Stil beschreiben?

Wir sitzen, wie so viele andere Bands auch, zwischen allen Stühlen und haben unseren Stil daher irgendwann „Fusion Folk“ genannt. Im Kern sind wir von traditioneller Tanz- und Bordun-Musik (Bordun = gleichbleibender Basston bei z.B. Dudelsack und Drehleier) beeinflusst. Diese Strukturen lassen wir aber mit allen möglichen modernen Spielarten von (Prog-)Rock bis Jazz fusionieren und versuchen, über die Arrangements für eine größtmögliche Abwechslung zu sorgen. Da wir reine Instrumentalmusik spielen, übernimmt die Drehleier in gewissem Sinne den „Lead-Gesang“. Wir sehen in unseren Stücken aber generell alle Instrumente als gleichberechtigt an und jeder kommt zum Zug, um zu glänzen oder zu solieren. Für die Drehleier als Instrument gilt der Fusion-Gedanke übrigens auch. Obwohl sie zumeist oft nur mit Mittelalter assoziiert wird, gibt es mittlerweile viele Entwicklungen und tolle Spieler*innen, welche die Drehleier in die Moderne geholt haben. Daran möchte ich anknüpfen und nutze z.B. moderne Spieltechniken sowie diverse elektronische Effekte.

Wie kommen dabei Tunes und Arrangements zustande?

Die Tunes sind zum größten Teil Eigenkompositionen von Olaf und mir. Ab und zu bearbeiten wir aber auch traditionelle Stücke. Die Arrangements erarbeiten wir dann gemeinsam im Proberaum. Dabei kommen uns die unterschiedlichen musikalischen Hintergründe sehr zu Gute. In gewissem Sinne nutzen wir ZiRP als kreatives Ventil, um all unsere musikalischen Ideen ganz ungezwungen auszuleben. Gerade, weil wir uns keine Genregrenzen auferlegen und einfach alles herauslassen, was uns gerade musikalisch Spaß macht, ist aus ZiRP ein echtes Liebhaber-Projekt geworden.

Erzähl mir doch bitte ein klein wenig über den musikalischen Background deiner Mitstreiter!

Olaf hat ebenfalls einen durch Folk-Musik geprägten Background und kommt ursprünglich aus der Schweriner Akustikgitarren-Szene. Er hat sich insbesondere auf das Picking-Spiel und die Gitarrenstimmung DADGAD spezialisiert, die durch ihren offenen Charakter sehr gut mit Bordunmusik harmoniert. Florian Manuel Fügemann hat an der Musikhochschule Carl Maria von Weber Dresden Schlagzeug im Hauptfach studiert und ist eher im Rock-, Fusion- und Jazz-Bereich verwurzelt. Außerdem unterrichtet er Schlagzeug an einer Dresdner Musikschule. Mit Folkmusik und der Drehleier im Speziellen kam er erst durch ZiRP in Berührung. Florian Kolditz kommt ursprünglich auch aus Schwerin und hat als Bassist schon in mehreren Schweriner und Berliner Bandprojekten Erfahrung zwischen Bluegrass, Jazz und Fusion gesammelt. Die beiden Florians haben sich derartig gut an der Rhythmus-Gruppe eingespielt, dass es eine wahre Freude ist. Dieses groovende Duo ist ein wichtiges Fundament für den unverwechselbaren ZiRP-Sound.

Das zweite Album „Circle Divine“ ist nun erschienen. Gibt es einen Unterschied zum Erstlingswerk?

Hurdy Gurdy

Unserer musikalischen Grundidee sind wir zwar prinzipiell treu geblieben, dennoch gibt es erhebliche Unterschiede zum Debütalbum „Drehvolution“. Während das erste Album noch weitestgehend akustisch gehalten war (wenige Effekte, reduziertes Schlagzeug mit Besen etc.), sind wir nun bei einer regelrechten Folk-Rock Besetzung angekommen. Es gibt insgesamt mehr Effekt-Spielereien, ein großes Drumset und die gesamte Produktion ist im Sound viel druckvoller angelegt. Florian Kolditz, der beim ersten Album nur bei zwei Titeln als Gast am Kontrabass dabei war, spielt nun durchweg den E-Bass. Wir sind insgesamt in den Arrangements und musikalischen Ideen auch wesentlich abwechslungsreicher geworden und ich glaube, dass wir mit „Circle Divine“ wirklich etwas einzigartiges geschaffen haben. Nicht nur, dass man eine Drehleier in einem solchen Kontext bisher selten gehört hat, wir haben auch eine ganz eigene musikalische Handschrift entwickelt. Das Album deckt eine Bandbreite von intimen akustischen Stücken bis hin zu progressiven Folk-Rock-Epen ab und bleibt dabei immer eingängig und tanzbar.

Livemusik ist ja leider gerade nicht möglich. Was wäre aber euer erhofftes Zielpublikum?

Wir sitzen auch hier ein bisschen zwischen allen Stühlen aber letztlich sind wir sowohl auf den Tanzböden der Balfolk-Szene, als auch auf diversen Festivalbühnen gerne zu Hause und freuen uns generell über jedes Publikum, das von unserer Musik in irgendeiner Form berührt wird.

Hier soll es um ZiRP gehen, aber das ist natürlich nicht dein einziges Betätigungsfeld ...

Mein persönlicher Fokus hat sich mit dem Einstieg bei Faun 2012 und dem (nicht zwingend kausal) folgenden medialen Erfolg der Band etwas verschoben. Als freischaffender Musiker lebe ich von Faun und bin damit sehr glücklich. Im Gegensatz zu ZiRP geht es bei Faun aber mehr darum, eine gewisse Atmosphäre zu erzeugen und eine Geschichte zu erzählen. Dementsprechend halte ich mich spielerisch etwas mehr zurück und versuche eher song-dienlich zu spielen. ZiRP ist dann das Ventil, bei dem ich alle überschüssigen Ideen herauslassen kann. Das neue Album war ein großer Schritt für uns und es ist viel Herzblut hinein geflossen. So absurd es klingt, aber der Lockdown hat es uns ermöglicht, dieses Album endlich fertigzustellen und wir könnten mit dem Ergebnis nicht zufriedener sein. Natürlich möchten wir die neuen Stücke auch unbedingt auf die Bühne bringen. Wir möchten uns damit gerne bei ein paar schönen Festivals bewerben und wenn es die Situation wieder zulässt, ein Record-Release-Konzert oder vielleicht sogar eine kleine Promo-Tour spielen.

Dann bedanke ich mich für den kleinen Einblick in euer Schaffen...

Wir bedanken uns für euer Interesse und freuen uns über die Plattform, die ihr der Folkmusik hier bietet! Ansonsten freuen wir uns gerade natürlich besonders über direkte Unterstützung. Das neue ZiRP-Album lässt sich z.B. direkt vom Erzeuger über unseren neuen Webshop beziehen! Schaut da doch gerne mal vorbei! In diesem Sinne: Viva La Drehvolution!





Photo Credits: (1) Elke Rogge (Hölderlin Express) (by The Mollis); (2) Matthias Loibner, (3) Ulrich Joosten (Gambrinus), (4) Grégory Jolivet (Blowzabella), (5) Germán Díaz, (6) Stephen Pajer (Feitel), (7) Simon Wascher, (8) Valentin Clastrier, (9ff) ZiRP, (12) Drehleier, (13) Faun, (14) Liederlicher Unfug, (15) Folk Noir (unknown/website).


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