FolkWorld #70 07/2019
© Michael Engstfeld

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Tønder Festival 2019

Nahezu perfekt

Tønder Festival 2019: Alles war nahezu perfekt – die Vorbereitung, das Line-Up, das Wetter, die Stimmung und nicht zuletzt die vielen fantastischen Auftritte.

Max Gomez @ Tønder Festival 2019

Tønder Festival
22.-25. August 2019


Artist Video Tønder @ FROG

www.tf.dk

Artist Video Max Gomez @ FROG

www.maxgomezmusic.com

“Nahezu perfekt” bedeutet, dass unglücklicherweise John Moreland seine Reise nach Tonder absagen musste. Sein Platz wurde vom dänischen Singer/Songwriter Claus Hempler eingenommen. Ein paar Tage vor Festivalbeginn war auch noch John Prine gezwungen, aufgrund seines aktuellen Gesundheitszustands zu Hause zu bleiben. Die künstlerische Leiterin Maria Theessink machte das Beste aus dieser Situation und stellte eine Gruppe hochinspirierter Musiker zusammen, die ein „All the Best“ John Prine Tribute als finalen Höhepunkt des diesjährigen Festivals spielten.

Das Festival wurde eröffnet von den lokalen und internationalen Helden Savage Rose, die ihr erstes Album bereits 1968 veröffentlichten und immer noch stark unterwegs sind.

Meine erste persönliche Entdeckung waren die Birds of Chicago, die einen wundervollen Auftritt im bildschönen Bolero-Spiegelzelt hinlegten. Ihr aktuelles Album „Love in Wartimes“ musste ich mir danach sofort im benachbarten CD/LP Shop zulegen.

Die drei Delgres (Pascal Danae : Gesang, Gitarre, Baptiste Brondy: Schlagzeug und Rafgee: Sousaphone), alle geboren in Frankreich mit Wurzeln in Guatemala, spielten einen feinen Southern Blues. Ihre Inspirationen reichen von John Lee Hooker bis zu Daniel Lanoir.

Delgres Delgres Delgres

Artist Video Delgres @ FROG

www.delgresmusic.com

Nächster Halt Visemøllen, die Location, an der vor 45 Jahren alles begann. Max Gomez, ursprünglich aus New Mexico und noch in seinen Zwanzigern, hat die Musik der alten Meister wie Johnny Cash und Kris Kristofferson inhaliert. Inzwischen hat er allerdings seinen eigenen Weg gefunden. Seine einnehmende Stimme wird noch von seinem gewinnenden Lächeln gekrönt, das jedes Schwiegermutter-Herz zum Schmelzen bringen dürfte.

Wir hatten bereits letztes Jahr das Vergnügen, Irish Mythen erleben zu dürfen. Aber man kann nie genug bekommen von dieser energiegeladenen und resoluten Powerfrau. In kürzester Zeit wurde Irish zur lokalen (und hoffentlich auch internationalen) Heldin. Diese Dame hat eine Menge zu sagen, und sie sagt es mit der stärksten aller Stimmen.

John Smith, Folk Singer und Songwriter aus England, gab uns einen guten Eindruck ausgesuchter Folk Covers und eigenen Stücken. Optimal dargeboten auf der Bolero Bühne.

Der amerikanische Singer/Songwriter Ruston Kelly trat anschließend in Zelt 2 auf. Er und seine hochmotivierte Band spielten ein frisches, knackiges Set, durchweht vom Geist des Carter/Clash Erbes.

In Zelt 1 dann der Auftritt des zweiten Kandidaten auf meiner „must see“ Liste: der kanadische Sänger und Songschreiber James Keelaghan mit seinem kongenialen Partner Hugh McMillan. Vor Tønder war mir nur eines seiner Lieder bekannt – Cold Missouri Waters, auf meiner CD der kurzlebigen Band Cry Cry Cry. Wundervolles Songwriting, großartige warme Stimme und kunstvolle Instrumentierung machten mich umgehend zum Fan. Wenn ich sagen würde, dass John Denvers Stimme eine gewisse Ähnlichkeit mit der von James hatte, dann würde ich das als großes Kompliment an den bereits vor 22 Jahren verstorbenen Denver verstanden wissen wollen.




Der Freitag begann mit einem erfrischenden Déjà Vù mit Kate Rusby. Ich hatte Kate seit ungefähr zwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Das letzte Mal muss Ende der 90er auf dem Cambridge Folk Festival gewesen sein. Nach wie vor ausgestattet mit ihrem charmanten Yorkshire Akzent, ließen Kate und ihre Band diese lange Zeitspanne schnell vergessen.

Bei Blair Dunlop, Sohn von ex-Fairporter, ex-Steeleye Span, ex-Albion Band Ashley Hutchings und Judy Dunlop, konnten wir leider nur kurz mal reinhören. Obwohl er die Albion Band seines Vaters auch für einige Jahre geleitet hatte, entwickelte Blair in der Zwischenzeit seinen eigenen Gesangs- und Schreibstil, wovon wir uns im Bolero überzeugen konnten.

Nach einem erfrischenden Auftritt von Adam Holmes & The Embers im Visemøllen, zog es uns zurück in Zelt 1, um Chris Smither, dem großartigen Singer/Songwriter/Gitaristen aus New Orleans, zuzuhören. Smither stand ebenfalls auf meiner Prioritätenliste, und er übererfüllte meine Erwartungen. Seinen Kick ins Musikgeschäft holte er sich in den Sechzigern von Eric von Schmitt und seitdem überzeugt Smither mit seiner warmen Stimme (mit der er sehr böse Lieder, wie das „don’t call me stranger“ singen kann) und seinem wunderbaren Gitarrenspiel. Wie er in einem Interview offenbarte, wundert er sich heute, dass die Musik bereits seit fünfzig Jahren sein Broterwerb ist. Ich denke, dass er gut damit zurechtkommen sollte, wenn man bedenkt, dass Musiker wie Bonnie Raitt, Randy Newman, Joe Cocker, Diana Krall, Josh Ritter, um nur einige zu nennen, seine Songs gecovert haben.

Der nächste Auftritt war für einige wie ein Erdbeben. Verortet im romantischen Visemøllen, schockten William Crighton und Band nicht wenige, eher traditionell ausgerichtete Zuhörer mit ihrem dunklen, lauten und heftigen Intro. Nachdem Crighton das Publikum aufforderte, die Stühle im Saal an die Seite zu räumen, um mehr Raum für Bewegung zu schaffen, flohen einige Besucher an ruhigere Orte, nur um Platz zu machen für mehr inspirierte Neuankömmlinge. Was für ein Kerl, welch eine Stimme!




Den Samstag eröffnete die Bretonische Folk Band Startijenn sehr stimmungsvoll. Wir wurden zurückversetzt in die Zeit unserer Besuche der Bretagne in den 80gern; an Auftritte von An Triskell, Malicorne, und Gwendal.

Auserkorener Höhepunkt des Tages war der Women’s Circle, ein schon traditionelles Zusammentreffen von sechs Musikerinnen. Dieses Jahr bestand dieser Zirkel aus Irish Mythen, Caitlin Canty, Signe Svendsen, Heidi Talbot, Jenn Grant und Leslie Stevens. In zwei Stunden sang jede der sechs Damen drei Lieder, überbrückt von einer Menge Geschichten und Gelächter. Als Höhepunkt hatten die Sängerinnen eine gemeinsame Interpretation von Amazing Grace eingeübt. Wunderbar!

Anschließend trat der Irische Großmeister Finbar Furey in Zelt 1 auf. Der Mann hat eine Menge zu erzählen und zu spielen. Es war eine Freude seinen Geschichten und der Musik von Furey und seiner formidablen Band zuzuhören.

Die kanadische Sängerin und Songschreiberin Jenn Grant und ihr Lebens- und musikalischer Partner Daniel Ledwell spielten am Abend im Visemøllen ein herzerwärmendes und sehr persönliches Set.

Der Samstag wurde abgerundet (zumindest für uns) von der schottischen Band Breabach im Klubscenen Zelt. Breabach bietet traditionellen Folk im zeitgenössischen Gewand.




Den Sonntagmorgen Weckdienst gab es von Calum Stewart, einem der besten Uilleann Pipe Spieler aus Schottland. Wer nicht wach ist, nach dem er Uilleann Pipes, garniert von entzückendem Tap Dance, ausgesetzt war, ist wahrscheinlich schon tot.

Der Gentlemen’s Circle startete um 14.00 Uhr in Zelt 1. Jeweils drei Lieder, dargeboten von Chris Smither, Dan Sultan, William Crighton, James Keelaghan, Poul Krebs und Ian Noe beendeten die Herren eine halbe Stunde früher als die Damen am Tag zuvor. Ich würde nicht sagen, dass die Lieder kürzer waren, wahrscheinlicher ist es, dass nicht soviel Kommunikation untereinander sowie mit dem Publikum stattfand. Anders herum formuliert, waren die Damen am Tag zuvor viel gesprächiger.

Ein weiterer großer Name auf meiner Liste war Patty Griffin. Bisher hatte ich Patty nur live als Mitglied von Robert Plants ehemaliger Band Of Joy erlebt. Ihr Auftritt war sehr Soul und Gospel geprägt, was Griffin und ihrer formidablen Band sehr gut zu Gesicht stand. Ich hätte noch Stunden weiter zuhören können.

Der letzte Höhepunkt sollte eigentlich John Prine sein. Aber wie bereits angemerkt, musste der Gute wegen seines aktuellen Gesundheitszustandes zu Hause bleiben. Dennoch wurde es ein großes Highlight! Maria Theessink hatte es geschafft, eine Gruppe von höchst motivierten und inspirierten Künstlern auf die Bühne von Zelt 1 zu bringen, die John Prine mit wunderbaren Interpretationen seiner Songs ehrten. John Prine hat sich übrigens fest vorgenommen, im nächsten Jahr seinen Auftritt nachzuholen.




Zusammenfassend würde ich sagen, dass die allermeisten individuellen und gemeinsamen Auftritte, sowie der Mix aus den verschiedenen Stilen, fantastisch waren. Der beste Grund allerdings, die Reise nach Tønder anzutreten, ist der allumfassend Geist, der die Organisatoren, die vielen freiwilligen Helfer von nah und fern, die Bevölkerung von Tønder, die Caterer, Musiker und das Publikum verbindet.

Das 46. Tønder Music Festival of Folk, Roots, Traditional Music and Americana wird vom 27. bis 30 August 2020 an gewohnter Stelle stattfinden.


Nach der 45. Tønder-Ausgabe ziehen die Veranstalter eine höchst positive Bilanz: 7.983 Viertages- und 2.329 Tagestickets wurden in diesem Jahr verkauft, dazu kommen 3.731 Camper. Damit wurde das Rekordergebnis vom Vorjahr gesteigert. Neben der mehr als zufriedenstellenden Besucherzahl bleibt Tønder 2019 vor allem als ein Festival wie aus dem Bilderbuch in Erinnerung: großartiges Wetter, Acts die vor Spielfreude nur so strotzten und gut gelaunte, entspannte Gäste.

Nach dem Festival ist vor dem Festival. Der Ticketverkauf für Tønder 2020 hat bereits begonnen, erste Acts sind bestätigt: Amythyst Kiah (USA), Blue Rose Code (SCO), Sean Rowe (USA), The Once (CAN), Mike Elrington (AUS), Mo Kenney (CAN), Friel Sisters (SCO).



Photo Credits: (1) Tønder Festival 2019 (by Helle Arensbak); (2) Max Gomez, (3)-(5) Delgres, (6) Birds of Chicago, (7) Irish Mythen, (8) John Smith, (9) Ruston Kelly, (10) Kate Rusby, (11) Blair Dunlop, (12) James Keelaghan, (13) Savage Rose, (14) Chris Smither, (15) Julieanne & William Crighton, (16) Heidi Talbot, (17) Caitlin Canty, (18) Calum Stewart, (19) Patty Griffin, (20) Finbar Furey, (21) Poul Krebs (by Michael Engstfeld).


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