FolkWorld Ausgabe 32 12/2006; Kolumne von Walkin' T:-)M
Das passt ja wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge: vier Bücher zum rezensieren und eine Verbindung zu ziehen fällt nicht schwer. Auf der Burg Waldeck begann die Ranaissance des deutschsprachigen Liedes (West) nach dem 2. Weltkrieg. Peter Rohland und Hannes Wader taten hier erste Schritte. Wolfgang Steinitz war zwar niemals auf der Burg, aber er hat in Ostdeutschland ähnliches für das deutsche Volkslied geleistet.
Ort des Geschehens: der Hunsrück, im Dreieck von Mosel und Rhein, am Ende des Baybachtals. Dort liegt die Burg Waldeck, lebendes Denkmal des spezifisch deutschen Phänomens namens "Jugendbewegung" (-> FW#25). Jugend verstanden als: weniger ein bestimmtes Lebensalter als ein Lebensideal. Die bündische Jugend, die Wandervögel und Zupfgeigenhansels trugen positive Züge: raus aus der Stadt, rein in die Natur, Fernreisen (vor Neckermann) und Liedkultur. Aber auch negative: ein neoromantischer, antimoderner und elitärer Männerbund, eingeschworen auf Führer und Gefolgschaft. Gibt es da einen Zusammenhang zwischen der 1919 im Wahlrecht kulminierenden Frauenemanzipation und der damals aufblühenden Männerbund-Ideologie? Das ist ein weites Feld.
Hotte Schneider und 15 weitere Gastautoren (Eckhard Holler s.u., usw.)
erzählen in Die Waldeck: Lieder, Fahrten, Abenteuer die
Geschichte der Burg Waldeck von 1911 an.
Die Entwicklung der Jugendbewegung,
die Festivals der 60er, sowie die jüngsten Aktivitäten.
Die Wandervögel zogen auf Kreuz- und Querzügen mit Gesängen und
Theater durch die Welt. Auf dem Gelände der alten Ruine Burg Waldeck
wollten sie eine riesige Jugendburg bauen:
ein Zentrum, wo die Jugend sich treffen und austauschen kann, ein geistiger Sammelplatz, eine Akademie im platonischen Sinne.
Es kam zur Besetzung der Ruine, erste Landkäufe, die Grundsteinlegung.
Die Bücherverbrennung vernichtet auch in der Jugendbewegung gern gelesene Werke.
Die Hitlerjugend ruft dazu auf, die Jugend-Bünde zu vernichten.
In die HJ wollen sich viele aber nicht einbinden lassen. Sie wurden verfolgt, manche starben im KZ.
Nach dem Krieg trudeln nach und nach versprengte Wandervögel wieder ein.
Hein und Oss Kröher (-> FW#21) zieht es Pfingsten 1948 erstmals auf die Burg.
Eine neue Satzung spiegelt neue Ziele wider. Nicht mehr der Aufbau einer
monumentalen Jugendburg ist oberstes Ziel. Elitedenken und Führerhierarchie
weichen demokratischen und weltoffenen Strukturen. Die Burg soll fürderhin
der Jugend in ihren vielfältigen Erscheinungsformen dienen und eine offene
Heimstatt werden, musische Aktivitäten und Völkerverständigung sollen gefördert
werden.
Stefan Krolle untersucht in einem Beitrag die "Die Lieder der Burg Waldeck":
Beim "Chanson Folklore International" werden die Künstler dazu ermutigt,
ohne Honorar für Kost und Logis teilzunehmen.
Auch ein gewisser Udo Jürgens bewirbt sich. Seine mit Dschubidbi-Chören hinterlegten
Lieder wirken auf die Waldecker eher komisch; er bekommt einen freundlichen
Absagebrief.
Vorliebe der Veranstalter ist das Chanson, das Lied, der Bänkel-Song, die unverkitschte Volksmusik.
Oss Kröher (-> FW#21)
ist mit Vagantenliedern, jurassischer, elsässischer, jenischer und steirischer
Folklore dabei. Reinhard Mey
(-> FW#27)
singt einmal ein französisches Chanson über
Zärtlichkeit und dann ein Lied mit Graßhoff-Text.
Franz Josef Degenhardt
(-> FW#23)
bringt den Zustand der deutschen Singekultur auf den Punkt, wenn er singt:
Diese Zeiten sind längst vorbei. Heute ist die Burg Waldeck ein offener Ort
mit Häusern, Hütten und einer Bühne. Ein musisch-kulturelles Zentrum, das
über 10.000 Übernachtungen im Jahr zählt. Was bleibt sonst?
Die Waldeck-Festivals haben die deutsche Lied-Renaissance ausgelöst.
Anfang der siebziger Jahre entwickelt sich in der Bundesrepublik eine Folk- und
Liedermacherszene. Festivals -
für 1977 wird eine Zahl von 46 größeren Folkfestivals genannt -
machen die Folkmusik einer größeren Öffentlichkeit
bekant und ermöglichen professionelle Musikerkarrieren, die in den sechziger
Jahren noch die Ausnahme gewesen sind.
Das Autorenteam um Hotte Schneider rückt in dem reichlich illustrierten Band
einige Mythen zurecht und dokumentiert nebenbei auch noch die deutsche Geschichte
des 20. Jhds. Dabei werden auch so interessante Fragen beantwortet wie:
Was zog Rabindranath Tagore auf die Waldeck?
Warum hätte ein Papst fast den Karrierestart von
Karl Dall verhindert?
Zum engeren Veranstalterteam der Waldeck-Festivals gehörte auch
Peter Rohland
(1933-1966 -> FW#26):
Der Sänger wird 1933 in Berlin geboren, wächst aber in Breslau auf.
Der Vater hatte an der Mailänder Scala eine Opernausbildung erhalten,
war aber Jurist geworden. Als kleines Kind macht Peter Rohland
für Schokoladestückchen bettelnde Hofsänger nach. 1952 kommt 'Pitter'
zuerst auf die waldeck. 1954 fährt er Richtung Orient.
In Wien sieht er das Konzert einer Zigeunerkapelle in
einer ungarischen Kellerkneipe, in Kärtnten beschäftigt er sich mit
alpinen Volksliedern, in Griechenland lässt er sich von einem
Schafhirten dessen Flöte schenken und lernt Busuki spielen (->
FW#27).
Er tanzte sich oft rauschhaft in Trance, sang rezinatrunken zur Busuki
schwermütige und sentimentale Weisen, sprach mehrere Dialekte, rezitierte
auswendig und mit geschlossenen Augen den 6. Gesang der Odyssee.
Pitter kommt bis Basra. Die Lieder aus Vorderasien und dem Nahen Osten
findet er aber nicht überzeugend.
Peter Rohland beginnt ein Jura-Studium, bricht es aber ab mit der Begründung:
Ich kann nicht vom Streit anderer Leute leben.
Gleichzeitig absolviert er als Sänger mit Gitarre erste Auftritte.
Mit einem verbeulten Wehrmachtskübelwagen geht er auf Tournee und
schläft in einen Schaffellmantel gehüllt irgendwo auf dem Fußboden.
1962 erarbeitet er ein erfolgreiches Programm mit jiddischen Liedern:
sowohl traditionelle jüdische Volkslieder,
als auch neuere aus dem Widerstand gegen die Nazis stammende Partisanenlieder.
Sein nächstes Programm "Landstreicherballaden" findet nur geringe Nachfrage.
Bei der Werbung verfällt Rohland deshalb darauf, die Lieder der Rotwelschen
als heiteren Abend für die Karnevalszeit zu emfehlen,
was allerdings kaum seiner Überzeugung entsprochen hat.
Das 1. Waldeck-Festival veranlasst ihn, verstärkt nach Liedern und Texten
zu suchen, die dem neuen Interesse für das politische Chanson entgegenkommen.
Es entsteht das Programm "Songs deutscher Demokraten von 1848".
Peter Rohlands These lautet:
Er kündigt an, dass er an einem Programm "Deutsche Volkslieder - enststaubt"
arbeitet. Dazu kommt es allerdings nicht mehr.
Kurz vor dem dritten Waldeck-Festival erleidet er eine Gehirnblutung, die nach
kurzem Klinikaufenthalt zum Tod führt.
Sein Erbe ist noch lebendig, jedenfalls auf der Burg Waldeck.
Sowohl der alljährliche Singewettstreit als auch eine Stiftung, die sich
die Förderung jugendlichen Singens zum Ziel gesetzt hat,
sind nach Peter Rohland benannt.
In der Reihe "puls" aus dem
Verlag der Jugendbewegung
widmen sich Monografien zentralen Themen und Personen der Jugendbewegung.
Die Nummer 24 -
Peter Rohland - Volksliedsänger zwischen bündischer Jugend und deutschem Folkrevival
- ist dem Manne gewidmet,
von dem Don Paulin sagt: Ich habe seinen frühen Tod als großen Verlust für das deutsche
Folk-Revival empfunden, denn er war auf dem Weg, deutsche Volkslieder wieder
sing- und spielbar zu machen.
Autor Eckhard Holler meint:
Peter Rohland starb zu jung, um berühmt zu werden,
Kollege Wader
(-> FW#22)
hingegen ging seinen Weg,
nachdem er auf der Waldeck Mitte der 1960er Jahre genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.
Denn, so Holler:
Das Interesse des Publikums und der Medien war vor allem auf das deutsche Chanson
gerichtet, worunter man ein Lied verstand, dass nicht im Chor gesungen werden
konnte, so dass nicht Volksliedsänger wie das Peter Rohland-Ensemble im
Mittelpunkt des Interesses standen, sondern die Sänger von selbstgeschriebenen
deutschen Liedern.
Eine musikalische Grundbildung, die Schule zu keiner Zeit zwischen 1919 und 1964
intensiv vermittelte, wurde auf der Burg Waldeck praktiziert.
Der erzieherische Wert auf dem Wege zu einer eigenen Identität war gekennzeichnet
durch eine Gruppenerfahrung, die durch das gemeinsame Singen, die Liedtradierung,
ihren unverwechselbaren Ausdruck fand.
Die musikalische Grundbildung beinhaltete ebenso häufig das Interesse, ein
Musikinstrument wie Z.B. Gitarre zu erlernen oder öffneten den musikalischen
Horizont, indem Instrumente, die in der musikalischen Öffentlichkeit eher selten
zu sehen waren, wie z.B. Bano, Balalaika erlernt wurden. Ein Repertoire von ca.
100-150 Liedern, die auswendig gelernt jederzeit abrufbar waren,
das kontinuierliche handschriftliche Aufzeichnen der Lieder von
den Jungen und eine langjährige Tradierung führten letztendlich zum Eingang dieses
Liedgutes in den Liedpool des deutschen Volkes und wurden für eine zeitlich
begrenzte Phase Allgemeingut. Die Tradierung der Lieder aus dem Spanischen
Bürgerkrieg, der russischen Lieder der Roten Armee und der Kosaken belegen die
tradierte Disparität des Liedpools, unabhängig vom Zeitgeist des Kalten Krieges.
Insbesondere das ausländische Liedgut bzw. dessen
Ausstrahlung auf die Folklore-Welle der 60er Jahre in Deutschland hatte ihren
Ausgangspunkt auf der Burg Waldeck. Die Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck band
Musik in Deutschland erstmalig in eine völlig neue Vorstellungsform ein: das
Festival.
Die Waldecker Buben
hören und lesen von einer Studentenbewegung in den USA, die
freies Rederecht und Demokratie an Hochschulen fordert und sich dadurch
auszeichnet, dass die aufsässigen Studenten, wenn sie nicht gerade streiten,
draußen auf den Wiesen sitzen, Gitarre spielen und Volkslieder singen. Das
kommt den Waldecker Studenten nicht gerade unbekannt vor.
Das wollten wir auch gerne; dieser Streit mit der Staatsmacht, das hat uns
gereizt. Uns saß ja noch die abgrundtiefe Spießigkeit der fünfziger Jahre
in den Knochen. Wir sagten, warum versuchen wir nicht, ein Treffen, ein Festival,
einen Workshop, eine große Werkstatt zu machen für Folklore, Folksong, Chanson
und politische Lieder in Deutschland.
Wo sind sie geblieben, unsere alten Lieder?
Man gab sich nicht nur leger und zivil, man war es auch. Man trank Wein,
Bier und Schnaps, lag auf großen Wiesen, unterhielt sich, hörte irgendjemanden
singen und Gitarre spielen, und das überall.
6 x gab es das Festival und der Rheinische Merkur titelt: Gammler auf
Burg Waldeck - Nihilistische Pfingstfeier.
Nicht nur dem Boulevard-Journaille schmeckt das nicht.
Eine Gruppe militanter Wandervögel zersticht Autoreifen, zerstört
Hinweisschilder, zerschneidet Stromleitungen, lässt den Trinkwasserbehälter
leer laufen und schüttet Zucker in Autotanks. 1969 sprengen Kurzbehoste die
Bühne mit einer Zeitzünderbombe in die Luft.
Linke Waldecker versuchen hingegen, das Festival zu einem großen Teach-in umzuwandeln. Als Schandtat gilt, dass man mit dem Commander der nahe
gelegenen Air-Base, einem dudelsackspielenden Schotten, bei einem Glas Whisky vereinbart hatte, dass dieser seine Düsenjäger für die Zeit
des Festivals in eine andere Richtung fliegen lässt.
1968 werden rote Fahnen geschwenkt und gefordert: Stellt die Gitarre in die Ecke
und diskutiert!
Lehrer haben sie zerbissen,
Kurzbehoste sie verklampft,
Braune Horden totgeschrien,
Stiefel in den Dreck gestampft.
Das Misslingen der ersten demokratischen Bewegung in Deutschland, ihre
Unterdrückung und Ächtung zeitigte schwere Folgen für die weitere
Entwicklung. Das Deutschland, welches nicht auf den Schlachtfeldern
Frankreichs unter preußischen Vorzeichen, sondern kraft einer Revolution
von Volksvertretern geschaffen worde wäre, hätte eine andere Ausprägung
gewonnen.
Peter Rohland mit Schobert Schulz (links) und Hanno Botsch (rechts)
Eine wichtige und folgenreiche Erkenntnis von Peter Rohland war, dass das
deutsche Volkslied nicht nur von Blümlein rot und Blümlein blau, sondern
von den realen Situationen der einfachen Menschen handelt, und das
Volsklieder reflektiert gesungen und in ihren historischen Kontext gestellt
werden müssen. Peter Rohland geht in die Geschichte des deutschen Folkrevivals
als Pionier, Anreger und Wegbereiter ein. Sein Vermächtnis ist nicht zuletzt
ein realistischer Volksliedbegriff, den er folgendermaßen formulierte:
Volkslieder haben mit dem Leben zu tun. Es ist an der Zeit, den Nebel
auseinander zu blasen, mit dem die Romantiker und die völkischen Ideologen
unsere Volkslieder umgeben haben. Deutsche Volkslieder haben weder mit
'Volksseele' noch mit 'ewigen Werten' etwas zu tun. Es sind einfach Lieder,
die den ganzen Aspekt menschlichen Lebens umfassen, von der äußersten
Sentimentalität bis zur harten oder derben Darstellung. Geschieht die
Aussage in den Klischees der Zeit, ist sie auch in der Melodie oberflächlich
und gefühlsbetont, dann handelt es sich um Schlager oder Schnulzen. Andere
Lieder sind präziser. Sie schildern eine genau erkennbare Situation oder den
Ablauf eines Geschehens. Und diesen Liedern gilt mein Interesse.
Sein erster Waldeck-Auftritt, Pfingsten 1966, wird für ihn eine Art Durchbruch.
1964/65 schwappte die Folk- und Songwriter-Welle aus den USA herüber, es kamen
viele Amerikaner nach Berlin und spielten auf der Straße: Picking! Wir haben uns
dann einiges abgeguckt und es ihnen nachgemacht. Irgendwann habe ich angefangen,
das erste eigene Lied zuschreiben. Mein Traum war, wie Brassens zu singen: Was
ich mir so denke, wie mir so ist - und das den Leuten aufs Auge zu drücken.
1968 nimmt Hannes Wader seine erste LP
auf und wird zu einem der führenden zeitkritischen Liedermacher Deutschlands. Er singt eigene Texte und Eindeutschungen, begleitet mit anglo-amerikanischem Folk-Picking-Style.
In den 1970er beschäftigt er sich mit Volks- und Arbeiterliedern,
Plattdeutschem und Carl Michal Bellman.
Unter dem Titel "Folk Friends" spielt er zwei Alben mit Folkstars wie Derroll Adams, Finbar Furey und Dolores Keane ein.
Am Sonntagnachmittag meldet sich ein junger Mann mit Schnauzbärtchen, Hornbrille,
Baskenmütze und Gitarre schüchtern bei der Regie, wann er denn singen könne.
Feucht war's, ich hatte klamme Finger und bin mit meiner Gitarre auf das
Podium geklettert. Ich hatte doch noch nie auf so einem Ding gestanden. Vor
allem nicht vor dreitausend Leuten! Ich fange an, die Gitarre ist total verstimmt.
Überall grinsende Gesichter. Dann reißt mir auch noch eine Saite. Ich habe also auf
fünf Saiten weitergespielt, danebengegriffen und so meine Lieder durchgesungen.
Dann bin ich wie aus dem Wasser gezogen und weich in den Knien die Treppe runter.
Da kamen welche auf mich zu, und ich dachte, die wollen mir was tun. Sie packten
mich am Arm, ich habe mich losgerissen und bin abgehauen.
Ich habe mich an einen Baum gesetzt, weil ich nicht mehr stehen konnte, und habe
erstmal geheult, weil ich dachte, jetzt kannst du dich dort nicht mehr sehen lassen,
die schlagen dich tot. Es stellte sich aber heraus: Es war mein Durchbruch! Als ich
zurückkam, erntete ich freundliche, anerkennende Blicke und Schulterklopfen.
Hannes Wader - Lieder 2000-2005 versammelt in Text und Noten alle in diesem Jahrtausend entstandenen Lieder. Sprich: die beiden Alben "Wünsche" (2001 -> FW#20) sowie "... und es wechseln die Zeiten" (2004). Denn:
Gestresst und geschwächt, die Geschäfte laufen schlechtEine Reise durch die Jahreszeiten, Übertragungen ins Deutsche wie "Kleine Stadt" ("Town I Loved So Well" von Phil Coulter -> FW#17). "Vanitas! Vanitatum! Vanitas!" stammt von Andreas Gryphius, "Wandern lieb ich für mein Leben" von Joseph von Eichendorff, "Vergänglichkeit der Schönheit" von Hofmann von Hofmannswaldau, "Vereinsamt" von Friedrich Nietzsche. Dazu noch die traditionellen Lieder "O käm das Morgenrot herauf" und "Ade nun zur guten Nacht".
Urlaub täte mir gut. Doch mein Kredtinstitut
Sperrt den Geldautomaten und zieht die Karte ein
Der Fernseher streikt, die HiFi-Anlage schweigt
Kommt, lasst uns selbst was singen.
Eine Stimme singt vor. Dann alle im Chor.
Jeder Ton eine Freude. Ein Fest für jedes Ohr.
Aber auch Politisches kommt nicht zu kurz. "Victor Jara" (-> FW#27): Schon am Tage deines Todes habe ich mir geschworen, irgendwann ein Lied für dich zu singen. Endlich ist es soweit. Mit dem neuen Patriotismus (Fußball gucken, Fahne schwenken, Hymne singen) kann sich Wader allerdings nicht anfreunden.
Vaterland, Vaterland,Ja, pfui aber auch. Das wird nicht den Umsatz ankurbeln. Das Notenheft enthält insgesamt 21 Titel. Zeitgleich ist auch eine Kompilation "Jahr für Jahr" erschienen (siehe CD-Rezensionen).
Bist mir gänzlich unbekannt.
Wenn Vater Land besessen hätte
Nebst seiner letzten Ruhestätte,
Wüsste ich etwas davon.
Wohl kein Schwein, wohl kein Schwein
Könnte jemals deutscher sein
Als ich, ich hab in meinem Leben
Deutschland immer mehr gegeben
Als ich zurück bekommen hab.
Peter Rohland hat in den 1950ern in (West)Berlin gelebt und soll auch Wolfgang Steinitz in (Ost)Berlin begegnet sein. Das "Bürgerlied" und "O König von Preußen" für das 1848er-Programm sollen aus der berühmten Steinitz-Sammlung "Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten" stammen. Aber Rohland zog nur teilweise authentische Lieder ein und vertonte vielfach Gedichte.
Die Gruppen des 1970er-Folk-Revivals allerdings stürzten sich auf den 'Steinitz'. Sowohl Walter Moßmann (West) als auch Jürgen B. Wolff (Ost) bezeichnen die Liedsammlung als ihr Evangelium. Zum 100. Geburtstag von Steinitz frug ein Symposium auf dem TFF Rudolstadt (-> FW#31): Hätte es ohne Wolfgang Steinitz das Folkrevival in den beiden deutschen Staaten so gegeben, wie wir es in den 70er Jahren erlebt haben? Vermutlich nicht!
Wolfgang Steinitz?, der Mann mir gegenüber horcht auf, das ist doch der Volksliedsammler! Hartmut Brauer stammt aus Süddeutschland und hat als junger Mann in einer Gruppe mit dem seltsamen Namen Dampfhobel Akkordeon gespielt und gesungen. Sie trugen Songs von Bob Dylan und Pete Seeger vor, aber sie sangen auch die alten deutschen, längst vergessenen Lieder aus der 1848er-Revolution und aus den Kämpfen der Arbeiter. Die Handwerkerlieder, die Bettler- und Weberlieder fanden sie im Großen Steinitz, wie das Buch mit dem etwas umständlichen Titel: Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten der Einfachheit halber genannt wurde. Mit leuchtenden Augen erzählt Hartmut von den internationalen Lied-Festivals auf Burg Waldeck, wo sie die wieder entdeckten alten Lieder und ihre selbst gemachten neuen Songs vortrugen.Doch piano! Worum geht's? - Annette Leo zeichnet in Leben als Balance-Akt - Wolfgang Steinitz das Leben des Wissenschaftlers, Wissenschaftspolitikers, Widersacher Ulbrichts, Pädagogen, SED-Funktionärs, Widerstandskämpfers, Remigranten, Juden und Sowjetaganten nach. Eine wahrhaftige Biografie ohne Schönfärbereien, nachdem in den 1970ern eine solche schon einmal gescheitert war.
Fast zur gleichen Zeit fanden sich in Ostberlin ebenfalls Studenten, Schüler und junge Arbeiter spontan zusammen. Angeregt von der amerikanischen Protestsongbewegung dichteten sie ihre eigenen Lieder und erweckten - ebenfalls aus dem Großen Steinitz - die frechen Spottverse, die Soldatenklagen, die Revolutionslieder zu neuem Leben. Bereits nach wenigen Monaten galten die wöchentlichen Treffs des Berliner Hootenany-Clubs als Geheimtipp unter den Jugendlichen der gesamten DDR.
Wolfgang Steinitz (1905-67) ist in Breslau geboren (nicht die einzige Analogie zu Peter Rohland). Schon als 14-Jähriger schreibt er Abzählreime und Lieder, Märchen, Redensarten und im Volksmund gebräuchliche Reime auf. 1919 schickt er der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde seine gesammelten Kinderspiele, Kinder- und Volkslieder. Anstatt die väterliche Anwaltskanzlei zu übernehmen, beginnt Steinitz Finnougristik zu studieren: Die primitiven Völker und Sprachen sind in 100 Jahren völlig ausgerottet oder der Kultur assimiliert. Wir müssen jetzt noch retten und sammeln, was wir können.
In Berlin trifft man sich zum gemeinsamen Wandern, Musizieren und Singen. Auch Wolfgang Steinitz wird on der Jugendbewegung geprägt. Er verliebt sich und heiratet Inge Kasten, die in Schlosshotel Waldeck (!) in Hessen (!) ihrem Onkel die Bücher führt, und tritt in die KPD ein. 1935 reist er nach Sibirien. Steinitz sucht bei den Ostjaken nach traditionellen Volksliedern und Mythen und zeichnet mit einem phonographischen Apparat Lieder und epische Heldengesänge auf. Die Sippenverbände werden gerade in Kolchosen gesteckt und russifiziert. Steinitz verschließt nicht die Augen vor Krankheiten, Unterernährung und Alkoholismus.
1937 wird er aus der Sowjetunion abgeschoben und findet zunächst Zuflucht in Schweden. In der DDR gelingt ihm nach dem Krieg mit einem Russisch-Lehrbuch der große Wurf. In den 1950er und 1960ern versucht Steinitz sich noch einmal an volkskundlichen Forschungen und stellt die Volkskunde - ein Tummelplatz der nazistischen Blut- und Bodenmystik und Rassenlehre, der Überheblichkeit und der aggressiven Hetze gegen unsere Nachbarvölker - auf eine marxistischer Grundlage. D.h.: Orientierung auf die werktätigen Klassen und ihre materielle und geistige Kultur. Dabei kommt es durchaus zu einer Volkstümelei unter sozialistischen und antiamerikanischen Vorzeichen. So ist nach Steinitz Meinung eine kapitalistische Kulturindustrie tätig, um Schundliteratur, Verbrecherfilm, Boogie-Woogie-Musik usw. als leicht eingehende Pseudokultur zu verbreiten.
Wolfgang Steinitz' originärer Beitrag zur Volkskunst ist weit entfernt von Heimatkitsch oder gar nationaler Verherrlichung. In zwei Bänden erscheinen 1954 und 1962 die "Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten". Lieder, die in bisherigen Sammlungen kaum oder gar nicht vorkamen, solche, die Klage, Protest und Aufbegehren ausdrückten, Antikriegslieder, Gesänge aus dem Bauernkrieg und aus der Revolution.
Er liegt begraben in Berlin, nicht weit von Bert Brecht. Sein Institiut für Volkskunde gibt es nicht mehr, es wurde 1991 zusammen mit der DDR-Wissenschaftsakademie abgewickelt. In der DDR wurden die beiden Bände nie wieder aufgelegt, ab 1972 gab es nur gekürzte Auflagen (ohne die anti-militaristischen Lieder). 1979 gab es im Westen ein Reprint in einem Band. Aber Wolfgang Steinitz hat Spuren hinterlassen, die bis in die Gegenwart reichen:
Die Gruppe Dampfhobel existiert längst nicht mehr. Hartmut Brauer spielt nur noch manchmal im engen Freundeskreis Akkordeon. Die Liedersammlung von Wolfgang Steinitz aber hat für ihn bis heute Bedeutung. Sie ist für ihn verknüpft mit der Zeit seiner Jugend, als er gemeinsam mit Gleichgesinnten von der Veränderung der Welt träumte.Zupfgeigenhansel Thomas Friz und Erich Schmeckenbecher (-> FW#21, FW#24, FW#29) haben einmal gesagt: Volkslied hat sehr viel mit Volksleid zu tun. Volksleid, Geschichte, Tradition. Wir haben mehr mit Wolfgang Steinitz zu tun als mit dem Zupfgeigenhansl. Wolfgang Leyn schreibt im Folker!:
Bisher gab es zwei entscheidende Momente in der jüngeren Geschichte der deutschen demokratischen Volkslieder. Mitte der 1950er Jahre machte Steinitz sie erstmals allgemein zugänglich. Mitte der 1970er Jahre wurden sie dann wieder gesungen. Ob es einen dritten historischen Moment gibt, bleibt abzuwarten. Apropos: Welche Lieder singen eigentlich deutsche Globalisierungsgegner beim Weltsozialforum am Lagerfeuer?Keine deutschen Volkslieder, denke ich. Es grüßt, T:-)M.
T:-)M's Nachtwache FW#31
Englische Titel
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