FolkWorld Live Review 5/99:

Ungarische Volksmusik in herber Radikalität

Muzsikás in Freiburg


Von Christian Rath

Márta Sebestyén und Muzsikás präsentierten im Freiburger Jazzhaus ungarische "Bauernmusik".

Muzsikas; press pic Etwas steif wie ein junges Mädchen tänzelte sie auf der Bühne, im schwarz-braunen Kleid, kurze dunkelbraune Haare, scheue Blicke. Die Ungarin Márta Sebestyén ist zwar ein internationaler Star, hat aber rein gar nichts von einer Diva an sich. Mit ihrer Gruppe Muzsikás gastierte sie Mitte April im Freiburger Jazzhaus und stellte traditionelle ungarische Volksmusik vor. Musik, so wie sie Bela Bartók zu Beginn des Jahrhunderts gehört und aufgenommen hatte.

Bartók war nicht nur avantgardistischer Komponist und Klaviervirtuose, sondern auch einer der ersten modernen Volksmusiksammler. Im gut gefüllten Jazzhaus waren auch einige von seinen alten Phonographenaufnahmen zu hören - nicht ohne Augenzwinkern. Mal war die Nadel hängengeblieben, mal begannen Mädchen mitten in der Aufnahme zu kichern, und dann setzte jeweils Muzsikás auf der Bühne ein und nahm das Thema auf, so wie es Bartók bearbeitet hatte, dann in der bäuerlichen "Originalversion". Es hätte eine Art konzertanter Volkshochschulkurs werden können, doch die Erläuterungen beschränkten sich aufs nötigste. Dabei hätte Bartóks Verständnis von Volkskultur, wie er sie nannte, durchaus Anlaß zur Diskussion gegeben. Bartók sah sich selbst nämlich als "Naturwissenschaftler" und die "Bauernmusik", wie er sie nannte, als "Naturprodukt", das in Menschen zum Ausdruck komme, die noch nicht von der "Stadtkultur" beeinflußt sind.

Doch Muzsikás wollten eigentlich nur zeigen, daß das von Bartók gesammelte Repertoire nichts von seiner zeitlosen Schönheit verloren hat. Betont schlicht und traditionalistisch waren daher auch die Arrangements: zwei virtuose Geigen trugen die Melodie, während Bratsche und gestrichener Kontrabaß meist stur die Viertelnoten vor sich hinschrubbten. Ein archaischer Rhythmus, der bei osteuropäischer Volksmusik aber oft zu hören ist. Bei etwa jedem zweiten Stück kam auch Márta Sebestyén mit auf die Bühne. Faszinierend ist vor allem ihre Stimmbeherrschung, traumhaft sicher ornamentierte sie die alten Melodien. Mehrfach erhielt sie Szenenapplaus.

Muzsikas; press pic Weltbekannt wurde Márta Sebestyén eher durch Zufall. Der Produzent des Kino-Melodrams "Der Englische Patient" sah sie auf einer USA-Tournee und bat sie, "or I will kill myself", mit ihm am nächsten Tag einige Stücke für den Soundtrack des Filmes aufzunehmen. Ein ähnlicher Zufall verhalf Muzsikás in den 80er-Jahren in ihrer Heimat zum Durchbruch. Damals sang Sebestyén drei Nummern in einer Rockoper, die sich landesweit sensationell gut verkaufte. Zuvor war Muzsikas auch in Ungarn ein Geheim-Tip der städtischen Tanzhaus-Szene. Zeitweise saßen sogar Staats-Spitzel im Publikum. Sie fürchteten Verwicklungen, da die ungarische Dorfmusik ausgerechnet im heute rumänischen Transsylvanien (Siebenbürgen) am besten überlebt hatte. Doch die fünf Ungarn waren und sind keine politische Band, sondern vor allem verliebt in ihre alte Volksmusik.

Zu Muzsikás herber Radikalität wollte dann allerdings der Folklore-Schautanz nicht ganz passen, der im Jazzhaus zu manchen Stücken dargeboten wurde. Zumal Zoltán Farkas zwar ein fescher Tänzer ist, aber doch recht unsympathisch und leutnanthaft wirkte. Wenigstens hätte er seine Partnerin hin und wieder anschauen können. Allerdings bekam auch er im Jazzhaus viel Szenenapplaus und durfte am Ende sogar mit Márta Sebestyén tanzen. Eine Diva hätte das (zurecht) nicht zugelassen.


Dieser Bericht erschien als Originalabdruck in der Badischen Zeitung am 23. 4. 1999.

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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 5/99

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