FolkWorld Reisebericht 2/99:

Handharmonika auf den Fijis

oder Einzug der plattdeutschen Sprache in die Südsee

Ein musikalischer Reisebericht von Erhard Ohlhoff


Angeregt von der 'Drehleier auf Borneo' in der letzten Ausgabe hier ein kurzer Reisebericht über eine Reise zu den Fiji-Inseln im Juli / August 1998:

Drawing by German artist Annegret Haensel; for more info on the artist, look at the editorial page Am 26. Juli abends war es endlich soweit, mein Reisegefährte Martin und ich standen nach einem 30-Stunden-Flug auf dem Flughafen von Nadi. Winter auf der Südhalbkugel - 27 Grad - wunderbar, besonders nach unserem Sommer hier.
Zum erstenmal hatte ich mich unter die Rucksacktouristen begeben und irgendwie auch noch einen Platz für die Quetsche gefunden. Martin hatte vor sieben Jahren auf Fiji Einheimische kennengelernt, und so bewegten wir uns auf seinen alten Spuren. Er verordnete uns erstmal eine Busreise um die halbe Insel Viti Levu, und zwar ohne irgendeine Kokosmilchkanne auszulassen. Nach sechs Stunden für 180 Kilometer waren wir gerädert, hatten aber immerhin auf dem Weg in die Hauptstadt Suva schon viele Eindrücke sammeln können. Palmen, Zuckerrohr, einfache verstreute Hütten, türkisfarbenes Meer, Korallenriffe und viele Menschen indischer und fijianischer Abstammung, die etwa im Verhältnis 50:50 die Bevölkerung der 300 Inseln ausmachen.

Es herrschte große Trockenheit, ein großer Teil der Ernte war schon verloren. In Suva fanden wir schnell Unterkunft in einem einfachen Quartier und erkundeten die Stadt, die mit über 300.000 Einwohnern sicher eine der größten in der Südsee ist. Auf der Uni trifft man Studenten von Tahiti bis Neuseeland. Die Musik in den Kneipen war die gleiche wie bei uns, also internationaler Pop. Noch nichts mit Ukulele oder Gitarrenklängen ŕ la Südseeklischee.
Die Hauptbevölkerungsgruppe, die Fijianer, fallen durch dunkle Haut, oft stämmigen Wuchs und Haarpracht auf, die man am ehesten mit Afrolook umschreiben könnte. Soweit sie nicht europäisch / amerikanisch gekleidet sind, tragen Männer bei der Büroarbeit weißes Hemd mit Schlips und dazu den Pocketsulu, den knielangen Rock der Fijianer. Der gehört auch zu Uniformen aller Art und wird von Lehrern und Schülern getragen. Die Frauen tragen bunt geblümte Kleider oder einen Sulu, der als Stoffbahn um die Hüften geschlungen wird.

Unser Gastgeschenk für den Tauranga (Häuptling) von Martins Familie erstanden wir auf dem Markt: Die Wurzeln der Kavapflanze, aus denen das gleichnamige traditionelle Getränk gemacht wird. Nach zwei Tagen zitterten wir mit einer kleinen chinesischen Propellermaschine dem nächsten Ziel zu, der Insel Vanua Levu. Der Flug ging über das Korallenmeer, das wir bis jetzt immer nur aus der Ferne gesehen hatten. Beim Landeanflug biß sich Martin wie immer im Vordersitz fest, aber trotz großer Sprünge und Sturzflug auf die Piste zu ging alles gut.
Drawings by Annegret Haensel, more infos in the editorial Wir steuerten erstmal den Yachtclub an, wo uns der Hafenmeister John unter seine Fittiche nahm und mit guten Ratschlägen versorgte (zwei der Unterkünfte, die er uns empfahl, waren schon vor Jahren geschlossen worden ...). Never mind - ein kleiner indischer Mountainbikefahrer schleppte und zu David's Lodge, dem Haus des ehemaligen Bürgermeisters von Savu Savu, der uns für zwei Nächte unterbrachte. Unsere Biere (Fiji Bitter) faßten wir im Yachtclub, der von 30 Booten aus den USA, Neuseeland und Australien belagert war. Dort kam zum ersten Mal die Quetsche aus ihrem Versteck. In der Nähe badeten und schnorchelten wir auch zum ersten Mal und bekamen einen Vorgeschmack von der fantastischen Unterwasserwelt in den Korallen.

Weiter mit Bus und Schiff auf die grüne Insel Taveuni und dann per Taxi in das kleine Dorf Pagei, Heimatort von Martins Familie. Die Spannung wuchs: Kannten sie ihn noch? Hatten sie Briefe bekommen? Oder gar Faxe und eMails!? Langsam näherten wir uns mit den schweren Rucksäcken dem kleinen Dorf. Acht Hütten aus Holz oder Wellblech und eine kleine Dorfkirche waren auszumachen, Wäscheleinen umspannten den Dorfplatz, Hunde begrüßten uns, aber keine Menschenseele. "Du bist jetzt ganz ruhig!" erhöhte Martin die Spannung. Wir gingen auf eine kleine Gruppe Frauen zu, die im Gras lagerten. Martin: "Ich bin der Martin (hahaha)," auf englisch, nicht ohne vorher auf Fiji "Mbula" zur Begrüßung gesagt zu haben. Keine Reaktion. Pause ...
"Ah, Martin! Yes, we remember, well, just relax and feel at home. You're already part of the family." Ein Glück! Ich durfte auch bleiben, und schon wurden Anstalten gemacht, nach Eßbarem zu suchen. Das meiste wuchs in der Plantage um das Dorf herum. Vieles war für mich unbekannt, aber sehr schmackhaft.
Eine Tochter des Hauses outete sich als des Gitarrespielens kundig, und der Rest des Abends wurde mit Musizieren verbracht. Sie sang für uns Kirchenlieder auf Fiji, später packte ich die Quetsche aus, die großes Interesse hervorrief und durch alle Hände ging. Bald waren wir beim internationalen Folklore-Repertoire (siehe Folk-Gesang-Liederbuch auf Hof Akkerboom).
Spät kam der 78jährige Häuptling Moses Rova, Vater von 17 Kindern (mit drei Frauen), der sich erstmal in eine Ecke warf, denn er hatte bei einer dreitägigen Beerdigungsfeier in seinem Dorf ständig Kava trinken müssen, das er nun nicht mehr sehen konnte. Erst am nächsten Morgen hatte er sich von seinem Rausch erholt und erkannte Martin wieder. Problem nur: Was sollten wir mit unserem Gastgeschenk machen???

Verspätet kam nach zwei Tagen einer seiner Söhne, Pio, mit großem Motorboot, und mit ihm überreichten wir feierlich unser Gastgeschenk, welches angenommen, wie unsere Reise mit Segnungen bedacht und alsbald zermörsert wurde, während wir zum Strand bestellt wurden, wo die Kavazeremonie stattfand. Durch die Zeremonie der Gastgeschenkdarbietung etwas eingeschüchtert, warteten wir also in Pios Strandhütte mal wieder im Schneidersitz auf die traditionelle Zubereitung und den Ausschank des Trankes. Die Musikinstrumente hatten wir vorsichtshalber mitgenommen. Das Wurzelpuder landete in einem Tuch und wurde in einer Wasserschale mit dem Wasser vermischt, bis eine lehmige Brühe entstand. Nach mehrmaligem Abschmecken durch den Zeremonienmeister (ein Mitglied der Familie) wurde uns eine halbe Kokosnußschale mit Kava gereicht, einmal in die Hände geklatscht, auf ex getrunken, dreimal geklatscht, der nächste bitte!
Drawing by Annegret Haensel Es schmeckte unbeschreiblich und betäubte erst einmal Zunge und Lippen. Schon nach der ersten Runde wurde zur Gitarre gegriffen, und statt alten Fiji-Folksongs wechselten sich Pio, Martin und ich mit Beatles, Stones oder Schlagern wie Blame it on the Bossa Nova ab. Nach fünf Runden verflachte das strenge Zeremoniell, und es wurde einfach nur gesellig. Man versuchte sich an Witzen, und unsere Gastgeber lobten uns, da wir doch den Geist der Zeremonie verstanden hätten. (So etwa: Ein nettes betäubendes Getränk unter Freunden kann nicht schaden.)

Martin war am nächsten Tag zu nichts zu gebrauchen. Ich zeigte keine Wirkung. Die Fijianer, die bis in den Morgen weitermachten, hatten mittags rotunterlaufene Augen. Trotzdem ging es dann mit dem Boot in zwei Stunden Fahrt hinaus zur Insel Yanutha, wo die Sippe von Pios Frau zu Hause war. Das Dorf war angetreten, um die Palangi (Weißen) zu begrüßen. Es lebten dort ca. 100 Menschen, kein Wasser, kein Strom. Wir schliefen in den einzigen Betten im Haus von Pios Schwiegermutter Alice, alle anderen schliefen auf Matten auf der Erde. Abends setzte ich mich mit der Gitarre auf ein altes Boot und fing an zu spielen. Plötzlich schlichen sich aus dem Dunkel die Kinder des Dorfes an und quetschten sich alle neben mich. "Palangi, palangi", strahlten sie - ein Weißer in ihrer Mitte! Sie warteten auf die Musik, und so spielte ich. Dann gab ich ihnen zu verstehen, daß ich etwas von ihnen hören wollte, und sie legten los. Endlich authentische Musik! Deutlich geschult sangen sie begeistert aus dem Repertoire des Meke, ihres traditionellen Tanz- und Liederabends. Dann versuchte ich es mit Kumbaya; siehe da, in kürzester Zeit hatten alle den Text drauf, und wir wurden jeden Morgen mit einem kräftigen Kumbaya begrüßt. Auch Sananina klappte - ja, und dann dachten wir, eigentlich müßten wir doch auch etwas Deutsches versuchen, und haben ihnen die Strophen von Herrn Pastor sien Koh vorgesungen, bis der Refrain klappte. Besonders das Jau! klang gut.

Drawings by Annegret Haensel, more infos in the editorial Irgendwann kamen die Mütter mit Taschenlampen und fingen ihre Kinder wieder ein. Am nächsten Abend saß ich mit der Quetsche am Dorfwaschplatz. Diesmal kamen nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern, und alles stand um mich herum - es war wohl die erste Handharmonika hier. Als alle zusammen waren, schlug ich vor, man könne doch nun auch mal ein Tänzchen wagen. Mit Hilfe der Frauen (die Männer hatten sich plötzlich entfernt) versuchten wir allen so eine Art Schottisch zu zeigen. Bald hoppelten alle wild durcheinander. Auch Kolo von Srem lief gut - der Staub wirbelte nur so. Immer wieder mußten Fotos geschossen werden, besonders die Kinder bauten sich gerne auf. Auffallend war übrigens die große Anzahl von braunhaarigen oder sogar blonden Südseeanern. Das war einem deutschen Walfänger namens Martin Meier zu verdanken, der sich wohl um 1900 nicht nur um Walfang gekümmert hatte. Großmutter Alice gab uns ein vergilbtes Foto von ihrem Urahn mit, von dem wir hier ein Negativ herstellen ließen.
Am Sonntag ging es in die kleine Holzkirche - die Kinder, in Sulus und Kleidern, schon vor der Zeit in der ersten Reihe (natürlich alles ohne Stühle), später dann die Erwachsenen. Mathew hielt eine Willkommensrede für uns und entschuldigte sich, daß nun alles auf Fiji weiterginge. Auch wir mußten eine Rede halten. Dann folgte eine Handvoll Ansprachen von der Kanzel, immer wieder unterbrochen von sehr hübschen dreistimmigen Liedern. Alice hielt uns das Gesangbuch vor die Nase. Die Frauen teilten sich Sopran und Alt mit den Kindern, meist in Terzabstand, die Männer sangen die Baßstimme dazu. Alles klang wunderschön und war "joininable".

Am letzten Tag wurden wir noch Zeugen des traditionellen Meke, einer Mischung aus traditionellen Liedern und Bräuchen und einem Unterhaltungsteil. Ursprünglich wurde er nur von Frauen getanzt, um den bereits geschlagenen Feind zu verspotten, bevor er zum Verzehr freigegeben wurde. (Mit diesen Sitten war es gegen 1860 vorbei; heute kennt die Frömmigkeit, wie zum Ausgleich dafür, keine Grenzen.)
Das ganze Dorf schien teilzunehmen. Den ganzen Tag bastelte man Blumenschmuck und Girlanden, und natürlich bereiteten die Männer ihre Kavazeremonie vor. Alle kamen in einer größeren Hütte zusammen, und alle Altersgruppen - auch 'meine' Sänger - traten mit Beiträgen auf. Die meisten Tänze wurden in Reihe sitzend ausgeführt. Im Hintergrund das Orchester: zwei Gitarren und eine Ukulele, angetrieben von einer Trommel aus einem ausgeschabten Baumstamm, der mit zwei Hölzern bearbeitet wurde. (Ein größeres Modell davon rief die Dorfbewohner übrigens zur Kirche.) Neben uns waren die einzigen Gäste vier Amerikanerinnen, die das Ganze wohl gesponsort hatten! Trotz dieses Auftragstanzes hatten wir das Gefühl, daß alle mit großem Spaß und Eifer bei der Sache waren. Auch wir bekamen unsere Blumengirlanden umgehängt und mußten Kava probieren - schmeckte immer noch nicht besser!

Am nächsten Morgen nahmen wir - nach einer Fotosession - Abschied. Bei Pios Vater gab es eine weitere Kavafete, und wir erhielten einige schöne Kaurimuscheln als Geschenk. Ein kleiner Flieger brachte uns zurück nach Nadi. Am nächsten Tag ging es nach Kalifornien, drei Tage später nach Hause. Als ich eine Woche später endlich aus dem Jetlagkoma erwacht war, wurde mir nur allzu deutlich, wie groß der Unterschied der Kulturen ist!
Moce! Vinaka vaka levu! - Tschüß und vielen Dank

Zeichnungen von Annegret Haensel; mehr Infos zur Künstlerin im Impressum.


Dieser Artikel stammt aus den LAG Folk News der LANDESARBEITSGEMEINSCHAFT FOLK SCHLESWIG-HOLSTEIN E.V. - weitere Neuigkeiten können in einer eigenen Kolumne nachgelesen werden.

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© The Mollis - Herausgeber von FolkWorld; Veröffentlicht 2/99

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