Ausgabe 28 04/2004
FolkWorld CD-Besprechungen
Miquel Gil "Organic"
Label: Sonifolk;
20167; 2001; 11 Tracks; 48:32 min; Spanien
"Organic" nannte Miquel Gil, der katalanische Ökolandwirt und Sänger aus Leidenschaft
sein 2001 erschienenes zweites Soloalbum. In der Tat hätte der Titel nicht treffender
gewählt werden können, denn organisch verbindet er mit seiner kratzig authentischen
Stimme mediterranes Lebensgefühl jenseits der Touristenströme mit urbanem Pulsschlag,
kulturelle Strömungen des okzidentalischen Mittelmeerraumes mit maurischen Einflüssen.
Miquel Gil hat dazu einige exzellente Musiker eingeladen, die mit ihm Gedichte
und Texte aus seiner Heimatregion rund um Valencia vertonten. Mitglieder der
auch bei uns bekannten Gruppe L'Ham de Foc standen ihm tatkräftig zur Seite
und mischten fleissig mit. Entstanden ist eine Musik, die an ein scharfgewürztes
Gericht erinnert. Jeder hat was hineingemischt. Dank der Weitsicht des Chefkochs,
wurde aber nichts zerkocht. So präsentiert sich diese CD als ein wahrhaft appetitanregendes
Album.
Kontakt zum Label: vesc@culturalvertex.com
Karsten Rube
Sharon Shannon "Libertango"
Label: Daisydiscs;
DLCD009; 2003; 13 Tracks; 61:45 min; Irland
Nachdem die irische Akkordeonistin Sharon Shannon vor wenigen Jahren mit "A
diamond mountain session" ein ziemlich aufregendes Album aufgenommen hat, fährt
sie mit ihrer neuen Veröffentlichung "Libertango" ein deutlich zurückhaltenderes
Programm. Trotz rasantem Auftakt mit Bläsersätzen und einer Version von Astor
Piazollas "Libertango" (ein eher bescheidener Versuch allerdings), gibt es über
weite Strecken des Albums nur müde Töne zu hören. Schön und beruhigend sind
noch Titel, wie "Duncans" und "An Phailistin", die Adaption des Fleetwood Mac
Songs "Albatros" jedoch ist so schlicht wie überflüssig. Ebenso wenig aufbauend
empfand ich die Starterlaubnis, die Sharon Shannon der irischen Heulsuse Sinéad
O'Connor erteilte. Die beiden Songs mit Frau O'Connor sind nicht nur einschläfernd,
sondern geradezu sträflich lang. Wäre da nicht das Lied "The Withestrand Sling",
welches das Album eröffnet und in einer witzig zurechtgerappten Version auch
beschließt, so könnte man diese CD der sympathischen Akkordeonistin Sharon Shannon
beinahe übelnehmen.
Kontakt zum Label: topfloor@indigo.ie
Karsten Rube
Blåmann Blåmann
Label: Grappa
Musikkforlag; 2001; 13 Tracks; 52:44 min; Norwegen
Zwei fickende Ziegen auf dem Cover, ein Independent-Label als Veröffentlicher
und Metallica- Plakate an den Wänden eines Bandmitglieds, das macht aus einer
steifen Folklorecombo noch keine Rocker. Dies jedoch ist der Anspruch, den sich
Blåmann Blåmann auf ihrer 2001 erschienen CD ohne weiteren Namen verpassen:
"rock'n roll infected folkmusic". Den Rock'n Roll haben sie bei der Produktion
irgendwo verbummelt. Blåmann Blåmann stammen aus dem Telemark im Süden Norwegens.
Eine Gegend, die auf ein reiches traditionelles Liedgut verweisen kann. Hauk
Buen und seine Hardenger-Fiddle gilt als Ikone der Folkmusik im Telemark. Blåmann
Blåmann fühlen sich dieser Tradition verpflichtet. Gelegentliches Einbinden
von Kontrabass und Percussion und Gitarrenriffs, die ganz sanft an Blues erinnern,
addieren der heimischen Folkmusik Töne hinzu, die jüngeres Publikum anziehen
sollen. Was immer sie live veranstalten, auf der CD ist nichts davon zu hören.
Mittelalterweisen, sperrige Fiddletunes und überlange Strecken nervtötende Flötentöne
lassen den ersten Eindruck, der sich bei den Titeln 1 - 3 als ein hörenswerter
darstellt, schnell wiederverblassen. Gesamteindruck: Uninteressant.
Kontakt zum Label: heilo@grappa.no
Karsten Rube
Burlakat "Magie"
Label: Pilfink records JJVCD-13; 2003; 12
Tracks; 44:01 min; Finnland
"Magie" heißt die CD der finnisch-karelischen Gruppe Burlakat. Magie scheint
auch im Spiel zu sein, denn trotzdem die Musik zunächst sperrig und zeitweilig
dissonant wirkt, bleibt sie bei mehrmaligem Hören dennoch haften. Liegt das
vielleicht an ihrer Heimatgegend? Karelien ist nicht gerade erste Wahl bei der
Standortfrage für "Finnland sucht den Superstar". Aus der ruhigen finnisch-russischen
Grenzgegend stammt allerdings ein Name, den in der Weltmusik niemand überhören
kann: Värttinä. Die kraftvollen Frauengesänge und die peppigen Arrangements,
die für den Namen Värttinä stehen, sind Finnlands bekanntester Exportartikel,
gleich neben den Taschentelefonen von Nokia. Aus eben diesem Umfeld (dem von
Värttinä - nicht dem des Telefons) stammen Burlakat. Pauliina Lerche gehörte
zu den frühen Mitgliedern Värttinäs. Mittlerweile ist sie nicht nur eine gefragte
Solokünstlerin, die mit dem Album "Katrili" im letzten Jahr ein bemerkenswertes
Debüt vorlegte, sondern auch eine der drei weiblichen Stimmen bei Burlakat.
Die Musik auf der CD "Magie" setzt sich vorrangig aus Heimatliedern zusammen,
die mit Kantele, Violine, Akkordeon und Mandoline begleitet zum einen sehr ruhig
arrangiert wurden und zum anderen durch heftige percussive Elemente folkrockige
Schübe bekommen.Burlakats Frauen klingen weniger schrill, weniger garstig, als
es bei Värttinä der Fall ist. Dafür wirkt ihre Musik dunkler, trauriger. Es
spielt dabei kaum eine Rolle, ob es sich um ein Liebeslied, ein Hochzeitslied
oder ein Totenlied handelt. Ein Hauch von Vergeblichkeit schwingt in jeder Melodie
mit. "Magie" besitzt einige Titel, die auch auf Folktanzbühnen deutlich zu Tanztollwut
führen könnten, ist aber auf Grund ihrer melancholischen Grundstimmung keine
CD für laue Sommernächte mit Glücksgrinsen. Die Musik von Burlakat entfaltet
sich allmählich und nachhaltig und schließlich dauerhaft. Den Vergleich mit
Värttinä brauchen sie sicher nicht zu scheuen.
Band-Homepage: www.burlakat.com
Karsten Rube
Baltinget "Classic"
Label: Go Danish
Folk Music; 2003; 13 Tracks; 49:21 min; Danmark
Die CD "Classic" der dänischen Gruppe Baltinget hat mich schwer überrascht.
Da es sich dabei um ein reines Tanzmusikalbum handelt, ist es spritzig, unterhaltsam
und bewegungsfördernd, selbst, wenn einem die Füße in dieser Hinsicht nicht
sonderlich behilflich sind. Bei vielen der eingespielten Lieder handelte es
sich um traditionelle Tänze, die die Musiker irgendwo in den dänischen Landen
aufgespürt haben. Polonaisen, Paartänze und Walzer. Getragen werden sie vom
virtuosen Spiel der Geigerin Tove de Fries. Die junge Frau stammt aus einer
bekannten Musikerfamilie. Ihr Vater und ihr Großvater waren bereits angesehene
Fiddler. Eine Geige besaß sie praktisch als Kuscheltier. Inzwischen hat sie
ihr Geigenspiel so perfektioniert, dass sie nicht nur ein Diplom dafür besitzt
und an einigen Schulen Kurse gibt, sondern im März 2004 den renommierten Danish
FolkMusik Award - den Grammy der dänischen Folkszene - in der Sparte Beste Instrumentalistin
bekommen hat. Auf dem Album "Classic" zelebriert sie eine Art Soloperformance,
denn obwohl sie von den vier guten Musikern begleitet wird, mit denen sie bereits
seit 1992 die Band Baltinget bildet, wirken die Jungs hinter dem flinkfingrigen
Geigenspiel von Tove de Fries wie Statisten. Stilistisch linst Tove de Fries
erkennbar zu den fiddelnden Folk-Ikonen Kanadas, wie Nathalie MacMaster und
Jerry Holland. Der Name der Band soll nichts besonderes bedeuten, erzählt Frau
de Fries. Sie räumt aber ein, dass es irgendwie aus dem dänischen Wort für Tanzfest
und dem für den dänischen Regierungssitz zusammengestopft wurde. "Tanzparlament"
wäre die halbwegs korrekte Übersetzung. Wenn es in den europäischen Parlamenten
nur ansatzweise so locker zugehen würde, wie bei Baltinget, die Welt wäre um
ein paar Stiesel ärmer. "Classic" ist ein weiteres hervorragendes Album aus
der rührigen dänischen Folkmusikszene. Es ist zubedauern, dass die Dänen so
sehr in der eigenen Pfanne schmoren, statt sich häufiger auf den europäischen
Festivals zu zeigen, als sie es tun. Das liegt wohl daran, dass sich die dänischen
Folkmusiker als zum Tanz Aufspielende sehen und nicht als Showactmusiker durch
die Welt tingeln. Trotzdem hätten Baltinget in Deutschland sicher ein dankbares
Publikum.
Band/Musiker-Homepage: www.baltinget.dk,
Kontakt: sejersen@baltinget.dk
Karsten Rube
Norah Jones "Feels like home"
Label: Capitol
Records/EMI; 2004; 16 Tracks; 46:25 min; U.S.A.
Deutlich Folk- und Countrylastiger gibt sich die amerikanische Sängerin Norah
Jones auf ihrem zweiten Album "Feels like home". Nachdem sie mit "Come away
with me" das bemerkenswerteste Debütalbum der jüngeren Musikgeschichte aufgenommen
hat und so rasant Preise abgeräumt hat, wie Erik Zabel erste und zweite Plätze
bei Radrennen, war man skeptisch, ob solch einem Album ein nur ansatzweise ebenbürtiges
folgen würde. Auch auf "Feels like home" mogelt sie sich wieder aus allen Versuchen
heraus, ein Schubfach zu belegen, dass man verschließen kann. Während "Come
away with me" gern als jazzorientiert beschrieben wurde, gelingt es durch die
minimalistische Instrumentalisierung noch weniger "Feels like home" irgendwo
einzuordnen. Im Vordergrund steht neben der wunderbar ungekünstelten Stimme
von Norah Jones, das Klavier, das sie nur zu streicheln scheint. Ganz am Rand
schiebt sich ein sanftes Streicharrangement, dann und wann blubbert eine E-Orgel
dezent unter dem Gesang hervor und ein Besen streicht über das Schlagzeug. Ein
Duett mit Dolly Parton lässt selbst Nashville - Jünger verzückt aufjauchzen
und während ihrer bluesigen Parts erinnert der Gesang von Norah Jones deutlich
an Janis Joplin. Im zweiten Teil des Albums werden die Arrangements noch sparsamer.
Stellenweise reduziert auf Gesang und Gitarre stehen hier die großen Song-Writer
schunkelnd im Schatten. Hervorragend gelungen ist dabei besonders die Cover-Version
des Tom Waits Songs "The long way home". Schön, das Lied von einer Stimme zu
hören, die man auch als solche bezeichnen kann. Das zweite Album der jungen
Musikerin mit dem genialen Debütstreich ist also ein achtbarer Anschlusserfolg,
auch wenn er an "Come away with me" nicht ganz heranreicht.
Band/Musiker-Homepage: www.norahjohnes.com
Karsten Rube
Maria Teresa "O mar"
Label: Le chant du monde; 2741144; 2003; 14
Tracks; 56:37 min; Frankreich/Portugal
Das einzige, was Portugal und Brasilien trennt, ist das Meer. Wenn man aber
beide Länder in ihrer musikalischen Ausdrucksform vergleicht, so ist das eher
eine Brücke, als eine Kluft. Die Brasilianer kehren eine größere Lebensfreude
heraus, während die Portugiesen getragene und melancholische Lieder bevorzugen.
Eine gewisse Sentimentalität ist ihnen beiden eigen. Portugiesen und Brasilianer
blicken sehnsuchtsvoll seewärts, weil dort die Vergangenheit liegt, die sich
in ihren Liedern wiederfindet. "O mar" heißt das Album der Sängerin Maria Teresa.
Geschickt verbindet sie auf diesem erholsam leisen Album brasilianische und
portugiesische Songelemente, ohne dabei in putziges Karnevaltralala oder tieftrauriges
Fadoschluchzen auszuufern. Stattdessen reiht sie populäre Songs aus Portugal,
wie die José Afonso Komposition "Grandola" oder das häufig interpretierte "Maepreta"
neben brasilianische Lieder, wie Caetano Velosos "Argonauta" oder dem sehr seicht
plätschernden "Um fado" von Yvan Lins. Besonders hervorzuheben sei "Fadinho
da tia Maria Benta", ein stimmungsvolles portugiesisches Liedchen, das durch
das Akkordeonarrangement von FrancisVaris wirkt, als wäre es ein Forro aus dem
Norden Brasiliens. Auch den Fado beherrscht sie. Maria Teresa versteht sich
allerdings nicht als Fadista, sondern als portugiesische Chansonsängerin, fühlt
sich einem kleinen überschaubaren Kreis von Sängerinnen zugehörig, als deren
bekannteste Vertreterin Dulce Pontes gilt. Mit "O mar" hat Maria Teresa einen
kleinen Geheimtipp aufgelegt, der vermutlich nicht genügend geschätzt werden
wird. Was wiederum schade ist.
Kontakt: valerie.mauge@wanadoo.fr
Karsten Rube
Väsen Trio
Label: NorthSide;
NSD6077; 2003; 16 Tracks; 62:05 min;Schweden
Die Gruppe Väsen ist nicht nur in Schweden eine bekannte Größe. Väsen gilt als
signifikantester Export Schwedens seit den Wikingern. So jedenfalls vermeldet
es der "Global Rhythm". Gleiches wurde zwar auch über Abba, die Cardigens und
Garmana gesagt, aber mit Superlativen ist man ja immer recht flink. Tatsächlich
gehören Väsen zu den Musikern, die über Jahre hinweg traditionelle Musik spielen,
allerdings auch auf listige Weise neue Lieder komponieren, die so klingen, als
gehören sie zum traditionellen Liedgut ihrer Heimat. Spätestens seit ihrer CD
"Världens Väsen" von 1997 sind sie zumindest unter Weltmusikhörern bekannt,
wie eine Folk-Boy-Group. Die Besetzung Geige, Gitarre, Nickelharpa und (außer
auf der neuen CD "Trio") Percussion funktioniert bereits seit 1989. Der indianisch
verkleidete Schlagzeuger André Ferrari ist ihnen leider abhanden gekommen. Trotzdem
lässt auch die neuen CD nichts von der unterschwelligen Dynamik vermissen, für
die Väsen bekannt ist. Wieder ist es vor allem Olov Johansson, der mit seiner
Nickelharpa im Vordergrund der Produktion steht. Mit diesem kompliziertem Streichinstrument
hat Johansson 1990 die Weltmeisterschaft für Nickelharpa gewonnen. Wie solch
eine sportliche Veranstaltung aussieht kann ich mir noch weniger vorstellen,
als die World Championship for Bagpipe, die es ja auch geben soll. Die Viola
von Mikael Marin unterstützt die Fiddletunes Väsens. Beide Streicher spielen
seit ihrer Jugendzeit zusammen und können außerhalb Väsens auf exzellente Arbeiten
zurückblicken, wie z. B. mit dem Kronos Quartett und im Falle Marins auch im
Weltorchester unter der Leitung von Leonard Bernstein. Die Gitarre, sowie die
schwedische Bouzouki spielt Roger Talroth auf dem neuen Album hauptsächlich
als Rhythmusinstrument. Die Kompositionen der CD "Trio", die während einer längeren
Tour entstanden sind, hören sich komplizierter an, als sie sind, denn nach mehrmaligem
Hören haben sich ein paar der Weisen bereits so ins Ohr gemogelt, dass man sie
vor sich hin pfeift und sich fragt: "wo hab ich das denn schon mal gehört?"
Falls Ihnen das so geht: es ist sicher Titel 6 - Stämlåten oder der Ulfsunda
Wedding March, den sie im Kopf haben. Väsen beweisen sich mit ihrer CD "Trio"
als eine beständige Größe in der schwedischen Folkmusikszene.
Karsten Rube
VA "Fragua Futura - Junger Flamenco aus Spanien"
Label: Nuevos Medios S.A.; 2003; 11 Tracks;
42:33 min; Spanien
"Unaufhaltbar fließt der Fluss des Flamencos mit uneingeschränktem Volumen."
So vermeldet das Plattencover der CD "Fragua Futura". Auf dieser CD versammeln
sich 11 jüngere Flamencokünstler, die zeigen wollen, dass der moderne Flamenco
Spaniens weder altbacken noch poppig klingen muss, sondern nach der ehrlichen
Heimatmusik einer jüngeren Musikergeneration, denen die eigenen Wurzeln nicht
völlig egal sind. Neben typischen Bulerías, finden sich Tarantas, ein Tango
und sogar ein Fado auf dieser kleinen Sammlung. Ein schöner Querschnitt neuerer
spanischer Flamenco- und flamencoverwandter Musik die Enrique Heredia und Javier
Limón mit "Fragua Futura" zusammengestellt haben.
Kontakt zum Label: Ruiz de Alarcón 12, 28014 Madrid, España
Karsten Rube
Jobim-Morelenbaum "Quarteto"
Label: Universal Music Do Brasil; LC00699;
1999; 13 Tracks; 49:48 min; Brasilien
Wenn ein Komponist Melodien schreibt, die simpel genug sind, um mitgepfiffen
zu werden und die populär genug werden, dass sie auch tatsächlich jeder mitpfeifft,
kann man dann bei diesen Liedern vonVolksliedern reden? Oder bleiben es nur
populäre Schlager. "Aber bitte mit Sahne" ist noch lange kein Volkslied, auch
wenn es jeder kennt. Hier ist die Schubladisierung einfach. Wie sieht es aber
bei den Melodien des Brasilianers Antonio Carlos Jobim aus? Die Brasilianer,
die ähnlich wie die heutigen Bewohner der U.S.A. auf keine über lange Jahrhunderte
entwickelte Kultur verweisen können, sondern ein Konglomerat aus eingeschleppten
Fremdkulturen darstellen, können nicht auf Lieder und Geschichten aus verschwommenen
Zeiten zurückblicken, wie die Europäer und Asiaten auf alte Märchen, Sagen und
Volksweisen. Natürlich finden sich auch dort Lieder, die wegen ihrer ungewissen
Herkunft als Traditionell bezeichnet werden. Doch meist verweisen sie auf Zeiten
vor der Einwanderung oder Verschleppung. Irgendwann müssen sich aber Lieder
entwickeln, die die neu entstandene Nation als für sich typisch charakterisiert.
Die USA haben die Countrymusic hervorgebracht, die die weiße Bevölkerungsschicht
als ihre amerikanische Volksmusik bezeichnet.Sie besteht zwar auch aus Elementen
europäischer Mitbringseln, aber kaum einer würde auf die Idee kommen, Country-
und Westernmusik als europäisch zu bezeichnen. Auf farbiger Seite entstand der
Blues und die Creolen im Süden brachten ihre Cajunsongs hervor. Bei den Brasilianern,
die eine Mischkultur sind, in der sich die Ursprünge kaum mehr so krass abgrenzen,
wie in den USA, gehören Forro, Samba und Bossa Nova zu den Volksweisen und kaum
einer hat so viel zur Entwicklung der Bossa Nova beigetragen, wie Antonio Carlos
Jobim. "Mais que nada", "Girl from Ipanema" ect. stammen von ihm und werden
von jedem Brasilianer und darüber hinaus von unzähligen Menschen in der Welt
gesungen und gepfiffen. Sind das nun mittlerweileVolkslieder oder doch nur erfolgreiche
Schlager? Einer der sich dem Werk und Schaffen des Antonio Carlos Jobim verpflichtet
fühlt, ist der großartige brasilianische Cellist und Arrangeur Jaques Morelenbaum.
Mit seiner Frau Paula und dem japanischen Pianisten Ryuichy Sakamoto saß er
vor drei Jahren im Haus von Jobim und spielte die CD "Casa" ein. Es wurde eine
der schönsten Ehrungen, die Jobims Schaffen erfuhr. Leider lebte der Meister
damals schon nicht mehr. "Casa" war nicht das erste Zusammentreffen Morelenbaums
mit der Musik Jobims. Schon 1999 spielte er eine CD ein, die einfach nur Jobim-Morelenbaum
Quarteto genannt wurde.Während sich auf "Casa" fast ausschließlich die B-Seiten
der Jobimhits befinden, hat sich Morelenbaum auf der früheren CD den bekannteren
Songs gewidmet. "Àgua de Beber" zum Beispiel, "A Felicidade" und "Desafinado".
Sattsam bekannte Schlager oder Volkslieder, je nachdem. Diese hat er auf eindrucksvolle
Weise ihrer Schlagerhaftigkeit entledigt und sie auf ein Minimum an Instrumentierung
reduziert. Jaques Morelenbaum selbst spielt das Cello auf seine unnachahmliche
Art. Seine Frau Paula singt die Lieder so schön, wie einst Astrud Gilberto,
nur lange nicht so weichgespült. Die Gebrüder Daniel und Paulo Jobim spielen
Piano und Violine und begleiten Frau Morelenbaum auch gesanglich. Die CD lässt
einem vom ersten Ton an sämtliche Stieselichkeit verlieren und da die Lieder
zum Großteil auch in Europa bekannt sind, dauert es nicht lange, bis man mitsingt.
So schwer ist Volksliedersingen gar nicht. Auch nicht auf portugiesisch.
Karsten Rube
Trio Hardanger
Label: Lyndberg
Lyd AS ; 2L 12; 2003; 21 Tracks; 64:17 min; Norwegen
Das wohl bedeutendste Musikinstrument, welches der norwegischen Provinz Telemark
entstammt, ist die Hardanger-Fiddle, ein schmuckes Instrument,das nicht über
die üblichen vier Saiten verfügt, sondern acht Saiten besitzt. Auch von neunsaitige
Instrumenten wurde berichtet. Der bekannteste Vertreter dieser alten Spieltechnik
war Hauk Buen, doch auch andere heimische Fiddler haben sich um dieses Instrument
verdient gemacht. Das Trio Hardanger erinnert auf ihrer CD an den Hardanger-Fiddler
und Komponisten Halldor Meland der von 1884 bis 1972 lebte und zahlreiche Fiddlestücke
hinterließ. Im wesentlichen hält sich das Trio an die alten Vorgaben Melands.
Sie spielen die einzelnen Stücke wie vorgesehen Solo.Vier Lieder haben Åse Teigland;
Frank Rolland und Knut Hamre für das Trio umgearbeitet. Entsprechend voll klingen
sie und wesentlich frischer, als die zum Teil sehr angestaubten, unveränderten
Arrangements Melands.
Karsten Rube
Over stog og Steen "Til almuen"
Label:Lyndberg
Lyd AS ; 2L 15; 2003; 17 Tracks; 48:06 min; Norwegen
Das norwegische Label 2L hat sich darauf spezialisiert die verschiedenen Regionen
Norwegens nach deren musikalischen Traditionen abzugrasen und wurde dabei in
der flachen Region um den Mjøsa-See in der Region Hedemarken fündig. Die Volkstanz-Kapelle
Over Stok og Steen spielte zahlreiche Melodien aus dem 18. und 19. Jahrhundert
ein, die den örtlichen Alltag jener Zeit versüßten. All diese Tänze, die für
die CD "Til almuen" eingespielt wurden sind Dank der Sorge um das Lebendighalten
regionaler Traditionen, nicht in Vergessenheit geraten. Over Stog og Steen bemühen
sich darum, dass dies so bleibt. Die CD besitzt nicht ausschließlich den üblichen
Dorftanzcharakter, der das Anhören solcher Aufnahmen manchmal etwas langatmig
werden lässt, sondern die Musiker haben einigen der ruhigeren Titel einen kammermusikalischen
Anstrich verpasst. Besonders sei auf das traurige "En vise jeg vil synge" verwiesen,
das durch den Gesang von Hege Nylund, dem Einsatz von Klarinette, Orgel und
Cello eine kleine Perle auf der CD ist. Es gibt allerdings auch Lieder, die
eher an einen Abend auf der Almbaude im Tiroler Land erinnern. Aber vielleicht
klingt der Tanz, der sich Gallop nennt, überall wie ein Flucht-Plattler.
Karsten Rube
Les charbonniers de l'enfer "Chancon a capella"
/ "Wô"
1996; 14 Tracks, 55:24 min / 2002; 16 Tracks;
52:00 min; Canada
In Quebec ticken die Uhren anders, als im Rest der Welt, und manchmal auch die
Musiker. Fünf Männer stehen als A capella Group auf der Bühne, singen Lieder
mit Texten, die zu verstehen man brauchbares Französisch beherrschen sollte,
nennen sich selbst "Kohlengräber aus der Hölle" und heizen auf diese Weise mächtig
ein. Die Fünf Männer haben einen festen Platz in Quebecs Folkmusicszene. Sie
interpretieren lokale Volkslieder als Solokünstler oder haben einen nicht unbeträchtlichen
Teil ihrer musikalischen Laufbahn bei der aufregendsten kanadischen Folkband
derletzten 20 Jahre verbracht, bei La Bottine Souriante. Als "Kohlengräber"
betätigen sie sich eher selten, doch was sie dabei zu Tage fördern ist pures
stimmliches Gold. Frage- und Antwortlieder, Mouth-Music, Klagelieder, das alles
singen sie einstimmig oder polyphon, ganz wie es die Melodik erlaubt. Die seltene
Zusammenarbeit der fünf Mann funktioniert jedoch hervorragend genug, um es im
Laufe der letzten acht Jahre auf immerhin zwei CD's zu bringen, die allerdings
tatsächlich Goldstaub sind. Nach ihren Auftritten beim TFF Rudolstadt im Sommer
2003 brachten sie vierzig CD's in den Umlauf. Weitere Möglichkeiten blieben
eine Herausforderung für Plattenscouts. Die erste CD "Chansons a cappella" istinzwischen
in Deutschland erhältlich, die CD "Wô" jedoch bisher nur direkt aus Kanada zu
beziehen. "Chancons a cappella" klingt gefälliger und melodieorientierter, als
"Wô", während auf dieser die Tradition des Geschichtenerzählens im Vordergrund
steht. Beides sind CD`s die Liebhaberder Musik Quebecs unbedingt besitzen sollten.
Homepage: www.latribu.ca
Karsten Rube
Jaime Roos "Concierto Aniversario"
Label: Galileo
MC ; 30304; 2003; Spielzeit: 69.42 min
Es ist immer mal erstaunlich: Musiker, die in ihrer Heimat Stars sind, kennt
überall anders auf der Welt keiner. Der Sänger und Komponist Jaime
Roos ist so ein Fall. In seiner Heimat, Uruguay füllt Jaime seit vielen
Jahren große Konzertsäle, aber in Europa hat wahrscheinlich kaum
ein Mensch je von ihm gehört.
Um zu feiern, dass 20 Jahre zuvor (1977) sein erstes Album "Candombe del
31" veröffentlicht wurde, gab der Sänger 1997 eine Reihe von
großen Jubiläums Konzerte im Teatro Solis, der größten
Bühne in Montevideo. Die letzten drei dieser Concierto Aniversario wurde
aufgenommen. Daraus entstand das vorliegende denkwürdige Album, das bereits
1998 in Lateinamerika veröffentlicht worden ist. Den Fotos und den Beifallsstürmen
auf der CD nach zu urteilen, waren diese Konzerte ein einzigatiges Liveerlebnis.
Nun, fünf Jahre später, ist dieses Album - das auch als best of Jaimie
Roos gelten kann - nun endlich auch in Europa erschienen....
Jamie wurde bei dem Konzert von vielen verschiedenen Musikern begleitet, die
Band versteht es sehr gut, seinen Liedern den richtigen Hintergrund zu geben,
mal eher ruhig mal sehr kraftvoll.. Die Musik hat viele Einflüsse, besonders
die der Musiktraditionen von Jaimes Heimat: Murga, Candombe, Milonga und Tango,
aber Jaime gibt dem ganzen seine eigene Note.
Jaime Roos Musik ist sehr eindrucksvoll - nach 34 Jahren erfolgreicher Karriere
in Lateinamerika ist mit diesem Album, nun das erste Mal seine Musik in Europa
erschienen. Ich hoffe, dass man bald wieder in Europa von diesem Ausnahmesänger
höhren wird. Ein beeindruckendes Werk!
Kontakt zum Label: daniel@galileo-mc.de
Christian Moll
Zulya "elusive"
Label: Westpark
Music; 87101; 2004; Spielzeit: 44.47 min
Musik der Tartaren - was hat man sich darunter vorzustellen? Im Falle von "elusive"
der neuen CD der jungen Sängerin Zulya (Kamalova) ist die Musik der Tartaren
voller Traditionen, die aber nicht ausschließlich in die Vergangenheit
gerichtet sind, sondern vielmehr in die Zukunft blicken.
In der Musik treffen sich der Osten und der Westen. Zulya wurde in der Wolga
Region in Zentralrussland geboren, studierte Musik und Sprachen an der Universität
und ist in 1991 nach Australien ausgewandert. Auf dem Album sind eine Schar
der besten Musiker Australiens versammelt um die wunderschöne, emotionsgeladene
Stimme von Zulya zu untermalen. Unter anderem finden sich folgende Instrumente
auf dem Album: Gitarre, Tuba, Perkussion, Flügelhorn, Trompete, Maultrommel,
Kora, Piano, Akkordeon. Dabei treffen verschiedene Einflüsse und Traditionen
aufeinander. Die Musik ist immer mal melancholisch aber immer energiegeladen,
die Arrangierungen sind ungewöhlich und einprägsam. Fast alle Lieder
hat Zulya selber (z. T. mit Martin Tucker) verfasst, dreimal hat sie Texte von
anderen Personen verwendet.
Bei Insomnia stellen sich bei mir immer die Nackenhaare auf - diese Arrangierung
mit Tuba und Akkordeon ist genial.
Hoffentlich kann ich Zulya demnächst auch mal bei einem Konzert genießen.
Band/Musiker-Homepage: www.zulya.com,
Kontakt: zulya@dodo.com.au, Kontakt zum
Label: info@westparkmusic.com
Christian Moll
Pubside Down "keen on green"
Label: eigenes Label; 2003
Pubside Down sind Geri Halder (bass), Simone Bättig (flute), Adi Bucher (drums),
Barbara Marti (fiddle) und Stefan Marti (guitar und vocals). Keen on green ist
das Debüt Album der 5 Luzerner und wurde an 2 Tagen von Andreas Urfer im Foolpark
Studio in Zug aufgenommen und von Deezl Imhof gemixt. Das Album beinhaltet in
erster Linie traditionelle instrumentale Stücke, sowie zwei Songs von Stefan
Marti und eine tune von der amerikanischen Fiddlerin Amy Cann. Bereits beim
ersten Stück "The Rockin' Landlady" hört man die Nähe zur Rock-Musik
heraus. Stefan Marti sagt auch selbst, dass diese neben Irish Folk seine grosse
Leidenschaft ist. Das Schlagzeug ist daher durchgehend ein wichtiger Bestandteil
der Musik. Dies passt ausgezeichnet bei dem zuvor erwähnten Eröffnungsstück,
beim Song "I can't dance" oder bei "red hot irish stew"
und "mary", wo Adi das Schlagzeug sehr gezielt einsetzt und die Stimmung
der anderen Instrumente wunderbar unterstützt. Die sehr rhythmisch gespielten
Sequenzen von Barbara und Simone (Fiddle und Flute) wirken jedoch durch das
Schlagen der drums manchmal beinahe gebremst. Gerne würde ich das wunderschöne
"Toss the Feathers" mit dem Bodhrán statt mit dem Schlagzeug hören.
Obwohl ich an dieser Stelle betonen möchte, dass Adi ein sehr guter Schlagzeuger
ist, bevorzuge ich persönlich eher Perkussions-Instrumente, sei es das keltische
Bodhrán, die afrikanische Djembe, indische Tablas oder südamerikanische Congas.
Auch das Titelstück "keen on green" glänzt bereits durch das rhythmische
Zusammenspiel der Gitarre, des Basses, der fiddle und der flute und eine dezente
Unterstützung durch percussions würde in diesem Fall mehr bewirken als das Schlagzeug.
Ein ansprechendes Debüt Album, das die Lust auf ein live Konzert weckt. Mich
hat vor allem das ausgezeichnete Zusammenspiel der fünf Musiker beeindruckt
und als grosser Fan von Fiddle und Flute sind meine Lieblingsstücke natürlich
diejenigen, bei denen diese beiden Instrumente dominieren. Ausserdem bin ich
natürlich auf den neuen Sänger gespannt, den Stefan mir angekündigt hat.
Die CD ist hier erhältlich: http://www.cafeshops.com/pubsidedown.
Weitere Informationen über die Band http://www.pubsidedown.ch/.
Adolf "gorhand" Goriup
Hotel Palindrone "Samo Riba"
Label: Extraplatte;
EX 650-2; 2003; Spielzeit: 73:56 min
Der legendäre St. Crogaich: Von Wikingern aus seiner bretonischen Heimat
entführt, wegen seines Harfenspiels jedoch bald Liebling an Bord der Nordmänner,
lernte der Heilige auf einer monatelangen Expedition durch das Mittelmeer faszinierende
Kulturen kennen. Ergebnis seiner Reise: Fünfzehn bekehrte Seeräuber, eine Saite
der Harfe König Davids als Reliquie sowie zahlreiche Melodien im Stil der östlichen
Mediterranee. Ein anonymer Chronist aus Quimper: "Der ehrwürdige Crogaich spielte
nach seiner wundersamen Rückkehr als wäre er sein Leben lang Grieche oder Sarazene
gewesen." Genauso will es mir bei der österreichischen Formation Hotel
Palindrone (-> FW#12, FW#28)
ergehen. Die Wiener spielen kompetent tanzbare und sehr variationsreiche Bordunmusik.
Vier Jahre nach dem vielversprechenden Debut "Elegance" - zum Quartett geschrumpft,
aber musikalisch erwachsen geworden und nicht weniger elegant - spielen Albin
Paulus (Klarinette, Dudelsack, Flöte), Stoney Steiner (Geige, Akordeon, Drehleier,
Nyckelharpa), John Morissey (Mandola) und Nag Natterer (Bass) auf der Live-CD
"Samo Riba" Scottishe, Branles und Boureés, Bretonisches, schwedische
Polskas sowie südöstliche 5/4- und 7/8-Schrägtakter. Aus dem Alpenraum kommen
die Schleunigen Tänze, die rasanteren Gegenstücke zu Steirern und Ländlern.
Viele der Kompositionen stammen aus eigener Feder. Albin ist im norddeutschen
Braunschweig aufgewachsen und zollt der plattdeutschen Sprache Tribut mit dem
melancholischen Lied von der "Jungen Wetfru". Klaus Groth (1819-99) (-> FW#22)
beschreibt in diesem Lied das Klagen einer Mutter, die ihren Sohn im Krieg Dänemarks
gegen Schleswig und Holstein 1848 verloren hat. Und Jodeln darf der Zugereiste
aus dem kühlen Norden auch. Insgesamt ein spritziges Exempel "Europamusik".
Extraplatte
Walkin' T:-)M
Mehr deutsche CD-Rezensionen: Seite 2
Mehr englische CD-Rezensionen: Seite 1
- Seite 2 - Seite 3
- Seite 4 - Seite 5
Übersicht: Inhalt der CD-Rezensionen
Zum Inhalt der FolkWorld
Nr. 28
© The Mollis - Editors
of FolkWorld; Published 04/2004
All material published in FolkWorld is © The
Author via FolkWorld. Storage for private use is allowed and welcome. Reviews
and extracts of up to 200 words may be freely quoted and reproduced, if source
and author are acknowledged. For any other reproduction please ask the Editors
for permission. Although any external links from FolkWorld are chosen with greatest care, FolkWorld and its editors do not take any responsibility for the content of the linked external websites.
FolkWorld - Home of European Music
Layout & Idea of FolkWorld © The Mollis - Editors of FolkWorld