FolkWorld #58 11/2015
© Frank Suchland

Poesie, die Fragen aufwirft

Das Akkordeon war ihre Liebe. Beim Spiel auf diesem Instrument erfuhr sie Freude und Zufriedenheit, Leidenschaft und Glück. Nun ist die außergewöhnliche Musikerin Ulrike Dangendorf im Oktober im Alter von 59 Jahren gestorben.

Ulrike Dangendorf

Artist Video Ulrike Dangendorf @ FolkWorld:
FW#31, #38, #47

www.ulrike-dangendorf.de

Wer sie in ihren letzten Lebensmonaten erleben durfte, konnte viel über das Wesen dieser selbstbewussten Frau mit den fröhlichen Augen erfahren. Geduldig und freundlich begegnete sie den Gästen in ihrer Küche, und schenkte ihnen ihre ungeteilte, sanfte Aufmerksamkeit. Über die Krankheit sprach sie nur wenig, aber aufrecht und klar – Phrasen und Floskeln waren ihr immer verhasst. Was sie nicht erzählen konnte oder wollte, verwandelte sie ohnehin viel lieber in tönende Luft, in Klang, Melodie und Lautmalerei.

Mit sechs Jahren erhielt sie den ersten Klavierunterricht, später lernte sie auch Cembalo, Querflöte und Saxophon kennen. Nach dem Abitur studierte sie Musik und wusste intuitiv, dass die Arbeit mit dem Instrument eine ernsthafte Aufgabe darstellt, die Zielstrebigkeit und Präzision verlangt. Doch dann entdeckte sie bei einem Trödler ein altes Akkordeon, verliebte sich in dessen Ausdrucksmöglichkeiten und begann mehr und mehr selbst zu komponieren. Mit Virtuosität und Hingabe, Disziplin und Neugier ließ sie viele wunderbare Werke entstehen, die Scharen von Menschen auf der Straße, im Theater oder im Festsaal faszinierten.

Wer kam, um dem schlagerbewährten Schifferklavier zu lauschen, hatte sich umsonst aufgemacht. Ulrikes Konzerte waren stets frei von banalem Frohsinn, aber voller Poesie, die eben bekanntlich keine Antworten gibt, sondern Fragen aufwirft. Wenn die zierliche Person mit dem riesigen Instrument durch die Stuhlreihen wanderte und Klezmer, französische oder keltische Klänge mit vertrackten Rhythmen mühelos verband, wurde die Zuhörerschaft gefangen und gefordert, angeregt und entspannt. Der deskriptive Charakter ihrer teilweise auch sperrigen Stücke erzeugte Bilder, Szenen und Erlebnisse im Kopf, an die man sich auch noch Wochen später erinnerte.

Hinter der Bühne blieb sie oft still und schaute nachdenklich und konzentriert aus dem Fenster. Gern beschrieb sie Erlebnisse von ihren Reisen nach Russland, Italien oder Frankreich. Die Jahreszeiten waren ihr wichtig, der ewige Kreislauf der Natur, das schmale Gärtchen, der dunkelrote VW Bus und natürlich die eigenen Kinder. Sorgfältig plante sie ihre CD-Aufnahmen, konsequent und herzlich arbeitete sie mit befreundeten Künstlerinnen und Künstlern. Ulrike Dangendorf war eine Ausnahmekünstlerin und lebte ihren Alltag beharrlich und rücksichtsvoll – bis zum Schluss. Sie hinterlässt uns nicht nur ein vielseitiges, zeitloses und immer wieder hörenswertes Werk, sondern bleibt uns auch ein Beispiel für Menschlichkeit, Mut, Toleranz und Takt.

In einem gemeinsamen musikalisch-literarischen Programm gab es den Satz „Und wenn ich selber längst gestorben bin, wird meine Erde wieder blühend stehen …“ Diesen Satz hat sie geliebt. Wie das Akkordeon.

Ulrike Dangendorfs Urne ist am Fuße einer Linde
auf dem Friedhof Wehl in Hameln beigesetzt.
Halten Sie nach einem hölzernen Schild in Form
eines Akkordeons Ausschau …


Photo Credits: (1)-(2) Ulrike Dangendorf (unknown/website).


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