FolkWorld Ausgabe 40 11/2009; Artikel von Karsten Rube


Radio Days (4)
Zum 15. Todestag von Barry Graves

Im September dieses Jahres erinnerten sich Freunde des Radios an Barry Graves. Der Journalist und Radio-DJ starb 1994 und riss ein ziemliches Loch in die deutschsprachige Radiolandschaft. Barry Graves zählte zu den kreativsten Köpfen eines Mediums, das heute am Fehlen solcher kreativer Köpfe krankt. Er war vorausblickend, erfindungsreich und dabei gleichermaßen erfolgreich wie umstritten. Barry Graves lebte und arbeitete hauptsächlich in Berlin, zunächst beim Rias, später auch beim SFB. Häufig zog es ihn jedoch nach New York, wo er eine Wohnung besaß, von der aus er in die lebendige Musik- und Kulturszene der Stadt eintauchte und sich inspirieren ließ.

Barry Graves Amerikas Umgang mit dem Medium Radio faszinierte ihn. Er hielt die Privatisierung von Radio zunächst für einen Fortschritt. Das amerikanische Radio hatte eine ganz andere Entwicklung genommen, als es die verstaubten und monopolisierten wenigen Sendestationen in der BRD zugelassen hätten.

Von New York her exportierte Graves etwas amerikanisches Lebensgefühl nach Deutschland. Er sah sich selbst eher als Amerikaner, weshalb er seinen deutschen Namen gründlichst ablegte und sich so amerikanisch gab, wie möglich. Sein Einstieg in die Radiowelt war so prägend, wie seine Arbeit an der Umgestaltung der Hörgewohnheiten der Radiohörer. In einem Brief beschwerte er sich beim Rias über die schlechte Musikauswahl und die schwerfällige Moderation. "Dann machs doch besser", antwortete der Sender und genau das tat er.

Er entwickelte neue Sendekonzepte. Er verband - damals unerhört - Literatur, Rock, Soundeffekte und elektronische Manipulation. Er produzierte eine Sendung über Bob Dylan in einem Format, wie es heute als Radiofeature auf einigen Kultur-Sendern öfter zu hören ist.

Barry Graves schien das Radio für ein umfangreiches Experimentierfeld zu halten, dessen Möglichkeiten unbegrenzt, zumindest jedoch voller Möglichkeiten, welche noch nicht zu erahnen waren. Mit Musikauswahl, Moderation und der Energie, die in seinen Sendungen steckte, pulverisierte er altbackene Hörgewohnheiten. Dabei ließ sich Barry Graves nie auf einen Spagat zwischen seinen Ideen und einer imaginären objektiven Leitlinie ein. Er war selbst meinungsprägend, denn im Vergleich zu den vielen Verwaltern gestanzter werberelevanter Worthülsen im Formatradio der Gegenwart, besaß er eine eigene Meinung und einen eigenen Geschmack.

Radio Skala

Radio Days @ FolkWorld:
FW# 34, FW# 36, FW# 38

Als Mitte der Achtziger Jahre Paul Simon sein Album "Graceland" zusammen mit den südafrikanischen Musikern von Ladysmith Black Mambaso aufnahm, gehörte Barry Graves zu denjenigen, die darin einen revolutionären Umbruch in der Musik der Welt sah. Während zahlreiche Musikkritiker Paul Simon vorwarfen, die Blockade gegen die Apartheid zu missachten und die afrikanische Kultur aus rein kommerziellen Gründen zu missbrauchen, spielte Barry Graves "Graceland" immer wieder und lobte Simon ausdrücklich für seinen Mut, verkrustete Vorurteile zu brechen und mit Musikern zu arbeiten, die Aufmerksamkeit wirklich verdienten.

Als genauer Beobachter von Trends sah er das Zeitalter der Fusion von Pop und der Musik fremder Kulturen voraus. Ofrah Haza, Morikante - die frühen Vertreter des World-Pop gehörten damals in sein Programm. Mit alten Folkbarden wie Dylan, Baez und Young war er bestens vertraut und auch eine Discoqueen wie Donna Summer gehörte bei ihm zum Standard - auch wenn er schon mal in einem Anfall von Empörung über eine Aussage der Sängerin zum Thema AIDS ihre Platten während der Sendung in den Papierkorb feuerte. Musikalisch war bei ihm alles möglich.

Im Gegensatz zu Moderatoren der Zeit des Westberliner Inselradios wie Nero Brandenburg, Jürgen Jürgens oder Lord Knud, die man als stets freundlich oder kumpelhaft einordnen konnte und kann, war Barry Graves nie der nette Radioonkel. Zu sehr trieb ihn die Leidenschaft Radio und zuweilen auch der Zorn auf abgestandene Tröge immer gleichen musikalischen Gesöffs.

Barry Graves Moderation schwankte zwischen Unverschämtheit und Humor und war dabei stets brillant formuliert. So etwa formulierte es sein Kollege und Radio-Chef Helmut Lehnert einmal. Für heutige Radioverantwortliche wäre ein aktiver Barry Graves wohl eine Horrorvorstellung.

Protestbutton gegen Formatradios Aber wer weiß, vielleicht gäbe es ja, wäre er noch da, hin und wieder besseres Radio. Manche Stimmen verhallen nicht, aber sie fehlen. Barry Graves Stimme fehlt - auch nach fünfzehn Jahren. Er starb am 8. September 1994 infolge einer AIDS-Erkrankung.

Photo Credits: (1) Barry Graves, (2) Radioskala (unknown); (3) Protestbutton 'Formatradios dieser Welt präsentieren: Sendeverbot für Folk & World Music' (by Magnetic Music).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 11/2009

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