FolkWorld Ausgabe 40 11/2009; Buchrezensionen von Walkin' T:-)M


T:-)M's Nachtwache
Woodstock, Soul, Chanson, Mossmann
Carl Spitzweg ,Der arme Poet'

„Ich hab inzwischen dermaßen viele Menschen kennen gelernt, die dabei gewesen sein wollen; wären die alle tatsächlich dort gewesen, dann hätte die Wiese dieses Bauern in Upstate New York halb so groß wie New York City sein müssen.“ Sprach Lester Bangs, legendärer Rock-Kritiker, der genausowenig auf dem Woodstock-Festival war wie Joni Mitchell, die die Hymne zu dem Ereignis geschrieben hat. Annäherung an einen Mythos.

Rosenman & Roberts, Making Woodstock

Natürlich wollten die Herren Lang, Roberts, Rosenmann und Kornfeld abzocken, schimpft Jörg Gülden. Das hätten zumindest zwei der Herren nie abgestritten, macht sie aber nicht gleich zur Blaupause für all die Geldhaie, Gauner und Abzocker späterer Tage. 1969 tun sich Joel Rosenman und John Roberts (2001 verstorben), frisch von der Uni und mit genügend Dollars in der Tasche, mit den Hippies Artie Kornfeld und Michael Lang (das ist der, der jetzt dauernd im TV war) zusammen, um den Woodstock Arts & Music Fair zu organisieren. Joel & Jock vs Artie & Michael - Verklärung ist ihre Sache nicht. Sie schreiben in Making Woodstock über Mike und Artie, die Banken, die Öffentlichkeitsarbeit, Food for Love, Max Yasgur und die 3 magischen Tage. Damit sind die fünf Jahre nach dem Event aufgeschriebenen Erinnerungen (Young Men with Unlimited Capital, 1974) das definitive Buch zu Woodstock - nicht über die Musik, aber den ganzen Background - und sagt mehr über die Zeit und die Atmosphäre aus als jede wissenschaftliche oder pseudo-journalistische Abhandlung. Es ist zudem selbstironisch und erfrischend geschrieben. Den Autoren ist der Humor geblieben, obwohl das Festival sie in die Pleite geritten hat. Schulden: anderthalb Millionen, es drohten Klagen und Prozesse.

Richie Havens @ Woodstock

„Na ja, auf jeden Fall ist es etwas, wovon wir noch unseren Enkeln erzählen werden.“ „Allerdings. Während wir uns in der Schlange vor der Suppenküche aneinander kuscheln, damit wir nicht so frieren.“ „Suppenküche - das ginge ja noch. Du meinst wohl eher, wenn sie uns im Knast besuchen.“ Zehn Jahre sollte es dauern bis die uncoolen Spießer (Michael Lang) schuldenfrei waren. Nach dem Festival kam jemand auf die Idee, Woodstock sei ein Phänomen. Es ist beruhigend Phänomen-Status zu besitzen. Phänomene können Geld verlieren und trotzdem in Enzyklopädien eingetragen werden. Sie dürfen schlampig organisiert und durchgeführt werden, ohne ihre Urheber in Verlegenheit zu bringen. Außerdem geben Phänomene den mit ihnen verbundenen Menschen das Gefühl, bei etwas ganz Großem dabeigewesen zu sein.

Joel Rosenman, John Roberts und Robert Pilpel. Making Woodstock - Ein legendäres Festival und seine Geschichte (erzählt von denen, die es bezahlt haben). Orange Press, 2009, ISBN 978-3-936086-42-3, 256 S, €20,00.

Jörg Gülden, Woodstock - Wunder oder Waterloo?

Jörg Gülden, Woodstock - Wunder oder Waterloo? Hannibal, 2009, ISBN 978-3-85445-299-7, 255 S, €14,95.

Vierzig Jahre liegt das legendäre Woodstock-Festival nun zurück und so geistern dieser Tage wieder jede Menge Geschichten durch die Presse. Viele alte Legenden werden wiedergekäut, die eigentlich längst schon ad acta gelegt sein sollten. Denn jeder, der einmal den Film oder eine der Platten gehört hat, meint, etwas zu diesem Thema beisteuern zu müssen.

Zum Jubiläum fand das Chaos in Schlamm und Regen auch auf die Kinoleinwand: Ang Lees Spielfilm "Taking Woodstock" zieht tragikomische Bilanz und greift bis in die Split-Screen-Technik die originale "Woodstock"-Doku auf. Die Buchvorlage stammt von Elliot Tieber, der die Veranstalter in den kleinen Ort Bethel gelotst haben will. Angeblich. Für Rosenman und Roberts (siehe rechts) ist Tieber nicht mal existent, laut Jörg Gülden (siehe unten) war Elliott Tieber ein höchst verwirrter Mensch, bescheuert und offensichtlich zwischen Gut und Böse befindlich.

The Story According to Gülden: Das Quartett The Masters of Desaster waren angetreten, den tumben, bedröhnten Hippies jede Menge Kohle aus den Taschen zu leiern. Von Anfang an ging alles schief. Absagen kamen von Bob Dylan, den Doors, Led Zeppelin, den Moody Blues und Procul Harum. Jethro Tull hatte keinen Bock, ein Wochenende auf einem Feld mit ungewaschenen Hippies zu verbringen; für Frank Zappa gab es zu viel Matsch, er wollte sich nicht die teuren italienischen Schuhe ruinieren. Ergo blieb es bei einem Line-Up, mit dem nur ein paar Jahre später wohl kaum ein Veranstalter noch rund eine halbe Million Menschen vor die Tür hätte locken können.

Sylvia Kekulé, Die Woodstock Story

Sylvia Kekulé, bekannt durch die Filmsatire "Rote Sonne", in der sie zusammen mit Uschi Obermaier reihenweise Männer ermordet (1969), schildert in der Woodstock Story die 3 Tage von Love, Peace & Happiness, die - wie bekannt - nicht in Woodstock, sondern am White Lake, Bethel, stattgefunden haben, nur am Rande. Das kleine Örtchen Woodstock in den Catskill Mountains im Bundesstaat New York hat schon hundert Jahre zuvor Menschen auf der Suche nach einem alternativem Lebensstil, nach Selbstbestimmung und Kreativität angezogen: 1902 rief der Engländer Ralph Radcliffe Whitehead eine Künstlerkolonie ins Leben. Er propagierte das Leben auf dem Land und die Ausübung eines Handwerks und errichtete eine Summer Art School - 140 Kilometer von New York City entfernt, wo überwiegend alte Leute Fremden mit Misstrauen begegneten. Hervey White, der als Kind Tanzmusik auf der Geige spielte, veranstaltete musikalische Events und erbaute eine Konzerthalle. Von 1915 bis 1931 ging alljährlich das Maverick-Festival mit Musik und Theater über die Bühne. Ab den 30ern kamen europäische Emigranten in die Stadt, kurzzeitig Thomas Mann; Pete Seeger veranstaltete Hootenannies und heiratete die Tochter des ehemaligen Maverick-Bühnenbildners. Hier lebten Bob Dylan und The Band, und dann kam das größte Festival des Jahrtausends. Aber berichteten nicht schon die Algonquin-Indianer hier über den Tanz teuflischer Gestalten? Und wurde nicht schon im nahen Rock City (nomen est omen) eine Kolonie gegründet, die das Studium nackter Körper proklamierte? Waren die ersten zwei Drittel des Buches noch äußerst interessant, bringt der Schlussteil nichts wesentlich Neues und eine durch eine rosarore Brille gefärbte Version des Festivals: Der gute John Sebastian war völlig stoned und schwebte nicht glücklich dabei sein zu dürfen wie auf Wolken. Die Zusammenhänge sind stark verkürzt und enthalten sachliche Fehler: Rick Danko hat wahrscheinlich in seinem ganzen Leben noch keine Geige angefasst, genauso wie Robbie Robertson Gitarre und nicht Klavier gespielt hat. Und dass der Auftritt von Mountain nicht aufgezeichnet worden sein soll, ist den Herausgebern der Woodstock-Alben doch glatt entgangen. Versöhnlich stimmt mich das Schlusswort: Sie alle hatten für drei Tage und drei Nächte Whiteheads Vision des Miteinanders erfüllt, in Friede und Freude. Sie hatten gespürt, was es bedeutete, sie selbst sein zu können, und wie glücklich es sie gemacht hatte, diese Erfahrung mit anderen teilen zu können. Sterne sind nicht nur am Himmel, sie leuchten in uns allen, wenn wir es nur wollen.

Sylvia Kekulé, Die Woodstock Story - Entstehung eines Mythos 1854-1969. Allitera/Buch&media, 2009, 978-3-86906-034-7, 235 S, €19,90.

Country Joe McDonald @ Woodstock

Hinter den Kulissen war die Stimmung wirklich nicht optimal - von Love and Peace keine Spur - sondern ähnelte eher der in einem US-Gefangenenlager.

Am Freitag, dem 15. August, begann das kolossale Spektakel um exakt 15:07 Uhr. Gut eine Stunde zu spät, und nicht, wie von den inzwischen rund 250.000 angereisten Freaks erwartet, mit einem musikalischen Urknall, sondern einem - partiell jedenfalls - eher zahnlosen Säuseln. Die Bühne nämlich betrat ein den meisten Menschen bis dato unbekannter schwarzer Musiker namens Richie Havens mit seiner akustischen Gitarre und zwei Begleitmusikern. Havens, gewandet in einen wallenden Kaftan, nuschelte und schrummelte sich zunächst einmal quer durchs Beatles-Repertoire und beendete seinen Auftritt mit "Freedom/Sometimes I Feel Like a Motherless Child". Dieser Song wurde nicht nur zum Meilenstein seiner Karriere, sondern später auch zu einer Hymne der US-Protestbewegung.
Von den großspurig angekündigten Musikern war weit und breit nichts zu sehen. Und inzwischen waren die Landstraßen, Sträßchen und Feldwege um Max Yasgurs Farm-Gelände dermaßen verstopft und zugeparkt, dass an ein Durchkommen nicht mehr zu denken war. Country Joe McDonald erinnert sich:
Ich saß ganz entspannt hinten auf der Bühne und guckte mir das Gewusele vor mir an; The Fish und ich sollten ja erst am nächsten Tag auftreten, und daher befand sich der Rest der Band noch im Hotel. Da erschien plötzlich einer von Langs Leuten, tippte mir auf die Schulter und meinte: 'Hey Mann, du musst uns helfen. Wir haben niemand hier, der nach Richie auftreten kann.' Ich sagte: 'Klar, ich würde euch ja gern helfen, aber ich habe nicht mal 'ne Gitarre dabei. Und ohne eine Gitarre kann ich nicht singen.' Worauf dieser glücklich 'kein Problem, Mann' ächzte und ein paar Minuten später mit einer Yamaha FG 150 wieder auftauchte. Allerdings hatte die Klampfe keinen Gitarrengurt, also schnitt irgendwer irgendwo ein Stück Seil von den Planen hinter der Bühne ab, und als ich dann noch ein Kapodaster ergatterte, konnte ich loslegen.
McDonald stimmte "I Feel Like I'm Fixin' To Die" an und ließ den berühmten "Fish-Cheer" los. John Sebastian, dessen Band Lovin' Spoonful gerade am Tiefpunkt ihrer Karriere stand, stolperte voll von LSD auf die Bühne. Ich war zu weggetreten, um nein sagen zu können. So ging es weiter: Bezüglich Musik war das bislang eine dermaßen dreiste Veranstaltung und Verarsche, die man anno '69 nicht mal mehr ein paar Landeiern aus Pinneberg hätte bieten dürfen. Ein jammernder, wehklagender Folk-Musiker nach dem anderen.

Am Samstag kommen endlich die Rockfans auf ihre Kosten: Carlos Santana, Canned Heat, Janis Joplin, The Grateful Dead (die auf der nassen Bühne einen elektrischen Schlag von den Gitarren bekommen), Creedence Clearwater Revival, The Who, Jefferson Airplane (8:30 am Sonntag morgen). Dann Dauerregen, der die grasgrünen Auen in braunen Matsch verwandelt. Am Sonntag folgen Joe Cocker, Ten Years After, Crosby Stills & Nash, The Band (ft. Levon Helm -> FW#36). Endlich findet die Musik Gnade: Musik so ganz nach meinem Geschmack, kein Gitarren-Gefrickele, keine Sänger, die mit diesen arschlangen Fransen an ihren Lederwesten davon ablenken wollten, wie banal oder überflüssig ihre Musik bereits damals klang. Sie sahen im Gegensatz zu all den anderen aufgebrezelten Acts aus wie ein Paar Holzfäller, die sich im Wald verirrt hatten. Aber klingen tat es bestens.

Jimi Hendrix beendet das Festival am Montagmorgen gegen 8 Uhr 30. Jörg Gülden stimmt Keith Moon zu: Es war ein verdammter beschissener Alptraum, all diese stillosen, verlausten Hippies! Ich habe jede Minute davon gehasst. Die Warterei, das Scheiß-Catering, diese schlecht riechenden oder nach Patschuli müffelnden Hippie-Schlampen, die sich an dich rangeschmissen haben ... Was bitte war Woodstock denn nun? Das größte Festival aller Zeiten? Die vielleicht größte, ungeplante Schlammschlacht aller Zeiten? Oder gar der größte, mit Musik garnierte Hype aller Zeiten?

Der im Mai verstorbene Gülden, langjähriger Chefredakteur des deutschen Rolling Stone-Magazins, war nicht in Woodstock dabei. Er hat aber im Laufe der Jahre Dutzende der Akteure kennen gelernt und interviewt. Zu Wort kommen Musiker, Manager und Plattenfirmen-Leute. Gülden zeigt sich wirklich informiert und enthält nur kleine Ungereimtheiten (war der Auftritt von Richie Havens nun eher kurz oder gut über zwei Stunden lang?).

Eine Abrechnung nennt der Autor selbst sein Buch Woodstock - Wunder oder Waterloo? und malt von Woodstock und den Sixties ein Bild aus Kohle und Abzocke. Er lässt keinen Zweifel daran, dass er Woodstock nicht mag - die Idee dahinter, das Geschäft, oder alles zusammen. Angesichts von Jubel & Rubel zum 40. Jubiläum - wo eine Menge Geld gemacht wird, auch durch Bücher zum Thema! - mag man ihm ja manchmal recht geben. Aber Zynismus bringt uns auch nicht weiter. Der Verlierer steht jedenfalls fest: die Musik!

Joan Baez @ Woodstock Ravi Shankar @ Woodstock John Sebastian @ Woodstock Arlo Guthrie @ Woodstock
Von links nach rechts: Joan Baez, Ravi Shankar, John Sebastian, Arlo Guthrie


Liederatlas Europäischer Sprachen

Die Klingende Brücke fördert seit mehr als fünf Jahrzehnten über die Vermittlung europäischer Volkslieder in den Originalsprachen das Kennenlernen von Sprache, Geschichte und Kultur unserer Nachbarnnationen. Motto: Unser altes Europa hat so vieles in seinen Liedern bewahrt, dass es lohnt, sich damit zu beschäftigen. Dazu erscheint die bislang vierbändige Reihe Liederatlas europäischer Sprachen, die Idee basierend auf Johann Gottfried Herders Sammlung "Stimmen der Völker in Liedern" aus dem Jahre 1807. Im Liederatlas sind die Lieder mit Noten und Texten in der Ursprache abgedruckt, in möglichst wortgetreuer Übersetzung, und sind mit einer Einführung zu jedem Land, der Geschichte, Sprache, Hinweisen zu Aussprache und Grammatik, der jeweiligen Volksliedtradition (Überlieferung, Sammlung, Liedtypen, spezifische Instrumente) versehen. In Band 4 haben Lieder aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten Aufnahme gefunden: Estland (das Land der 1000 Stimmen mit seinen alten Runenliedern), Lettland, Litauen (wo die Singende Revolution gewaltlos die Unabhängigkeir errang), Polen, Böhmen und Mähren (wo dem Sprichwort Co Čech, to muzikant zufolge in jedem Tschechen ein Musiker steckt), die Slowakei (mit dem speziellen Genre verbunk, das der Anwerbung von Soldaten diente), Ungarn (wo Bartók die Volksmusik so tief in sich aufnahm, dass seine eigenen Melodien wie Volksmusik klingen). Außerdem länderübergreifende jiddische Lieder. Zwei Lieder sollen gesondert genannt werden: "Anke van Tharaw" im samländischen Dialekt, das von Herder ins Hochdeutsche übertragen und von Friedrich Silcher mit einer neuen Melodie versehen wurde, und so bis heute als Volkslied "Ännchen von Tharau" bekannt ist; "Es freit ein wilder Wassermann", welches in Nordböhmen gesammelt wurde, aber wahrscheinlich aus dem hohen Norden stammt.

Liederatlas europäischer Sprachen der Klingenden Brük- ke, Band 4. Die Klingende Brücke, 2006, 228 S, €24,00.

www.liederatlas.de

Woodstock war eine überwiegend weiße Veranstaltung. Neben Jimi und Richie waren Sly and the Family Stone die einzige schwarze und außerdem die einzige Funk- und Soul-Band auf dem Festival. Dabei war doch Soul Music die Begleitmusik der Sechziger Jahre. Bürgerrechtsbewegung und der Aufstieg und Fall des Soul gingen Hand in Hand.

Peter Guralnick, Sweet Soul Music

Peter Guralnick, Sweet Soul Music - Rhythm & Blues und der Traum von der Freiheit. Bosworth, 2009, ISBN 978-3-865-43321-3, 540 S, €29,95.

Zunächst einmal: Was ist Soul? ... eine weit weniger beherrschte, vom Gospel her kommende, emotionsgeladene Musik, die in der Welle des großen Erfolgs von Ray Charles ab etwa 1954 entstand und ihre Blütezeit in den frühen 1960er Jahren erlebte. Soulmusik war die bittere Frucht der Segregation, die in einen Ausdruck von Wärme und Zustimmung verwandelt worden war.

Ray Charles hatte alles ins Rollen gebracht, Gospel und Rhythm&Blues verschmolzen, mit "I Got A Woman" einen traditionellen Gospelsong adaptiert, mit einem säkularem Text versehen und ihn mit dem großen Tamtam eines ergreifenden Gottesdienstes vorgetragen. Der Blueser Big Bill Broonzy spottete: Er schreit wie im Gottesdienst. Er mixt Blues mit Spirituals. Er sollte in einer Kirche singen.

Soul ist entstanden im Bermudadreieck Memphis, Macon und Muscle Shoals. Sam Cooke war der erste große Gospelstar, der das Crossover in den weißen Musikmarkt schaffte. Mit Percy Sledges "When a Man Loves a Woman" war Soul endgültig im Mainstream des Pop angekommen. Und James Brown, der kompromissloser Einzelkämpfer ... Der ist eine Liga für sich. Und die Damen? Nebensache. Erst auf Seite 401 von Sweet Soul Music heisst es: "Auftritt Aretha".

Die Anfänge sind besonders spannend:

Als er zum ersten Mal auf Tournee ging, berichtet Solomon Burke, herrschte reichlich Verwirrung, was die Hautfarbe des Sängers betraf. In den Jahren vor der Massenverbreitung durch das Fernsehen strömten die Menschen, ohne viel über den Künstler zu wissen, zu den Konzerten, um sich die Person anzusehen, die einen Hit gemacht hatte. Ein anderes Mal, behauptet Solomon, hätte ihn ein Promoter engagiert, ohne zu wissen, dass er schwarz war, und ihn dann bei seinem Erscheinen dazu aufgefordert, sich für den Auftritt das Gesicht zu bandagieren, damit das Publikum nicht außer Kontrolle geriet.
Ein anderes Mal erinnert sich Burke:
"Es geschah in einem kleinen Ort in Mississippi, irgendwo zwischen Tupelo und Philadelphia. Dieser Typ sagte: Ich bin Sheriff Stanleyhoop. Wenn ihr heute abend fertig seid und fahren wollt, dann eskotieren wir euch bis zum Highway. Macht euch einfach keine Sorgen. Ihr bekommt Polizeischutz. Gegen viertel vor neun war es Zeit. So weit das Auge reichte, sah man nur Lichter, gerade so, als ob die Leute alle eine Art Lötlampe in der Hand hielten, und sie kamen langsam näher, immer näher an die Bühne heran. Ich fing an zu singen: Ich bin sehr glücklich, heute abend hier sein zu dürfen. Ich bin so froh, froh, froh ... Sie kamen näher und immer näher. Mann, das waren 30.000 Mitglieder vom Ku-Klux-Klan mit ihren Kapuzen - sie hielten gerade ihre jährliche Versammlung ab. Sie alle hatten ihre Kapuze auf. Da waren kleine Kinder mit kleinen Kapuzen und Frauen, Mann, alle kamen sie nach vorn, bewegten sich mit ihren Lichtern, alle tanzten und hatten ihren Spaß."

Mayr & Pelgen, modern/trad

Vor mir liegt eine wunderbare Samm-lung von Balfolk-Melodien, zusam-mengestellt von Johannes Mayr und Christoph Pel-gen. Insgesamt 81 neue Schottische (rhytmische Nähe zur Polka, nur lang-samer) und Mazur-kas (3/4-Takt mit ternären Achtel-noten) aus deut-scher und österreichischer Feder, wie z.B. Stoney Steiner (Hotel Palindrone), Birgit Muggenthaler (Schandmaul, Sava), Wolfgang Meyering, Vivien Zeller, Ralf Gehler (Malbrook), Matthias Branschke, Simon Wascher (Bilwesz), Johannes Uhlmann (ulman), Sandra Steinort, Jürgen Treyz, Gudrun walther (Cara, Deitsch), Jörgen Lang (Dan), Matthias Loibner (Deishovida) und Stefan Straubinger (Fei Scho). (Im Schlussteil von modern/trad werden sie alle mit Kurzbiografie und Foto vorgestellt.) Nach vielen Jahren als Folk-Musiker bin ich immer wieder auf der Suche nach einer zeitgemäßen, eigenen (deutschen?) Volksmusik, die auch außerhalb des heimatlichen bayerischen Volksmusik-Biotops funktioniert und dabei gleichermaßen Benachbartes (z.B. Französisches, Irisches oder Schwedisches) sowie Regionales ohne Scheuklappen interiert, sagt Akkordeonist Johannes Mayr (Hölderlin Express, Lynch the Box, Dan, La Marmotte), und Dudelsackspieler Christoph Pelgen (La Marmotte, Adaro, Estampie) fügt hinzu: Durch das Studieren traditioneller Melodien jedweder Region die eigenen musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten zu finden, ist mein erklärtes Ziel. Musik als Gefühl, nicht als Wettkampf - das bewegt mich! Die ausgesuchten Kompositionen basierend auf traditioneller Tanzmusik des 18./19. Jhds. ist fürs Tanzhaus geeignet, jedoch enthalten sie vielfach neue Elemente wie komplexe Harmonien und einen erweiterten Tonraum - eine Fusion von bretonisch bis schwedischer Musik. Der Schwierigkeitsgrad reicht daher von eher einfach bis ziemlich anspruchsvoll. Die Notation entspricht nicht immer den originalen Tonlagen; es wurde darauf geachtet, dass sie für Dudelsäcke und Drehleiern in G spielbar sind. Alle Melodien sind mit Begleitakkorden versehen, einige sind mehrstimmig gesetzt. Auf der beiliegenden CD wurden sie von Johannes und Christoph meist mit Akkordeon und Dudelsack eingespielt. Band 2 (Walzer und Polkas) und Band 3 (Bourrées und Cercles) sind in Vorbereitung. Wer meint, schöne und mitreißende Melodien komponiert zu haben, darf sich bei den Autoren melden.

Johannes Mayr & Christoph Pelgen, modern / trad. - Neue Tanzmelodien. Band 1: Schottisch und Mazurka. Verlag der Spielleute, 2008, ISBN 978-3-927240-86-5, 56 S, €21,90 (inkl. CD).

Johannes Mayr & Christoph Pelgen @ FolkWorld: FW#13, #19, #25, #29, #30, #33, #33, #37

www.duo-cassard.de

Peter Guralnick berichtet über die Stars (Cooke, Charles, Sledge, Pickett, Brown, Burke, Redding, Franklin) und die Plattenfirmen (Atlantic, Stax). Der Autor hat die Ära zwar selbst miterlebt, danach aber nur die von ihm gar nicht so geliebten Blueser interviewt. Das hat er jetzt nachgeholt, hinterfragt und Interviews geführt. Das heisst: das Buch wurde 1980 begonnen, ist 1986 erschienen und erscheint aus welchen Gründen auch immer erst jetzt in deutscher Übersetzung.

Soul Music hat jedenfalls die Jahrzehnte gut überstanden. Ganz klar, meint Plattenproduzent Jerry Wexler:

Wir wollten lediglich Platten machen, die den Ton und den Takt trafen, geradeheraus gespielten Rhythm & Blues mit viel Kraft und Soul. Ich glaube nicht, dass man die Leute hinters Licht führen kann. Schlecht bleibt schlecht, egal, welche Absicht dahinter steckt. Von Anfang an, als wir noch nicht einmal wussten, wie man Platten macht, waren wir immer auf einen soliden Beat, gute Licks und eine gute Intonation aus. Unsere Platten klangen gut, sie verkauften sich gut, und die Leute hören sie noch heute.

Walter Mossmann, Realistisch sein

Walter Mossmann, Realistisch sein: das unmögliche verlangen - Wahrheitsgetreu gefälschte Erinnerungen. Edition Freitag, 2009, ISBN 978-3-936252-11-8, 252 S, €19,80.

Zur selben Zeit auf der anderen Seite des Atlantiks.

Im Juli 1961 saß ich auf dem Steilküstenstraßenstrand Plage de la Corniche. Ein etwa gleichaltriger Typ setzte sich zu mir hin, er hatte ebenfalls eine Gitarre dabei, und weil ich grad am Singen war, sang er gleich mit. „Mich haben sie schon gemustert. Und für gut befunden. Und jetzt haben sie mich eingezogen. Du weißt, was das heißt. Krieg in Algerien.“ „Und? Gehst du?“ „Ich habe verweigert. Nächste Woche geh ich in den Knast.“ Dann hat er 'Le Déserteur' gesungen. Das Lied war damals in Frankreich verboten. Die Original-Version von Boris Vian ist konkret, lakonisch, präzis. Im folgenden Jahr erlebte ich dann in Freiburg erstmals eine dieser Ostermarsch-Wanderungen. Ein Aktivist gab mir ein paar Liedblätter, darunter auch eine deutsche Nachdichtung. Auf deutsch klangen die Phrasen der Déserteur-light-Version noch leerer, zumal nun auch deutsche Reimkunst erster Güte dazu kam. Und besonders unangenehm dann dieser parteimäßige Vorwärtston, dem nur noch ein 'Spieß voran!' fehlte.
Geboren 1941, aufgewachsen in Freiburg/Breisgau. 1964 trat Walter Mossmann erstmals mit eigenen Chansons auf.
Im Sommer 1964 erzählten mir dann Freiburger Freunde vom Waldeck-Festival. Jemand legte die erste LP von Degenhardt auf, ich war beeindruckt. Das schien mir ziemlich modern. Die suggestive Stimme, die übertriebene Artikulation, seine Privatmythologie mit all den seltsamen Geheimnissen hinterm Bahndamm ... Einige der wichtigen Figuren von der Waldeck hatte ich schon kennengelernt, Peter Rohland, Hein und Oss Kröher ... Ich versuchte damals gerade meine beiden liebsten Spiele, das Liedersingen und das Gedichteschreiben, miteinander zu kombinieren, und ich hatte schon ein paar Songs auf Lager. Meine Chansons verstand ich als Gebrauchslyrik, vorgetragen zur Gitarre bei einem Récital, anspruchslos im Hinblick auf Nachwelt und Nachruhm, anspruchsvoll für den Moment. Und mich selber sah ich als Monteur, als einen, der herumliegendes und herumfliegendes Sprachmaterial zerrupft, bearbeitet, leicht abwandelt, umwidmet, aus dem Zusammenhang reißt und neu montiert.
1965 nahm er selbst am Festival Chanson Folklore International auf der Burg Waldeck teil (
FW#32).
Am Himmelfahrt 1965 habe ich beim Waldeck-Festival erstmals ein Lied von Bob Dylan gehört. Wär ich 1964 schon beim Festival gewesen, hätte ich auch schon mal einen Song von Phil Ochs hören können. Ich mochte ihn. Auch seine Idee vom Folksinger als einem Journalisten mit Gitarre kam meinen eigenen Vorstellungen ziemlich nahe. Die amerikanischen Folksinger taten sich unglaublich leicht mit ihren Gemeinschafts- und Integrations-Liedern. Ihre Kirchengesänge wie 'Blowin in the Wind' oder 'We Shall Overcome' brauchte ich nicht unbedingt, ich kannte andere, bessere, zum Beispiel: Oh Heiland reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf! Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für! Was für ein Freiheitsdurst aus dem 17. Jahrhundert! Das evangelische Kirchengesangbuch ist voll von solchen Versen. Gelegentlich habe ich auch 'We Shall Overcome' auf der Bühne gesungen, weil ich das darunter verborgene deutsche Gemütlichkeitslied zeigen wollte: we shall overcome, oh du Selige, gnadenbringende Weih- some day, deep in my heart ... du Christenheit! Auf das Amerika-Pathos von Walt Whitman, Woody Guthrie, Phil Ochs wollte ich in irgendeiner Form antworten. Aber wie? Etwa mit Deutschland-Pathos? Vollkommen ausgeschlossen. Also habe ich versucht, meine Provinz zu konstruieren. Real und irreal. Garten Eden, Pfingstwunder, Turmbau zu Babel. Ausgangspunkt die reale Mehrsprachigkeit in meinem Grenzland und eine Landschaft, die ich liebe.

Dieter Möckel, Carl Michael Bellman 2 - 21 Episteln und Lieder

Teuerste Brüder, hier ist Behag, hier ist Musik und Tanz jeden Tag, hier ist Bacchus kommen, hier ist Liebesfrommen, hier ist alles, was ich mag! Der alte Schwede Carl Michael Bellman (1740-95) war berühmt und berüchtigt für seine Stegreifverse über Wein, Weib & Gesang. In "Fredmans Episteln" und "Fredmans Lieder" treffen wir nicht nur den schwindsüchtigen Trinker und Musiker Movitz, sondern auch den Weingott Bacchus, die Liebesgöttin Venus/Freja und den Fährmann in das Reich des Todes, Charon. Außerhalb von Skandinavien ist Bellmans Werk vor allem in Deutschland beliebt. Bekannte Übersetzungen stammen von Zuckmayer, Graßhoff und Artmann, Bellmans Lieder wurden gesungen von Süverkrüp, Wader und Gall. Gitarrist und Instrumentenbauer Dieter Möckel (Jahrgang 1929) hat Bellman in den 50ern beim Gitarrenunterricht bei Heinz Teuchert kennengelernt. Nach einem ersten Band mit 12 Liedern Bellmans vor einem Jahrzehnt folgen nun weitere 21 Episteln und Lieder mit so wunderschönen Titeln wie "Fredmans Epistel No 21. In welcher er primo die Nacht mit ihren Vergnügungen schildert und secundo ein aequilibrium zwischen Weines und Liebes Stärke vor Augen zu führen scheint, doch dann zuletzt klar den Stärkeren offenbart". Die deutschen Übersetzungen der schwedischen Texte stammen von Ursula und Klaus-Rüdiger Utschick, die die barocke Sprache zeitgemäß nachempfunden haben. Die Balladen in dem schön aufgemachten Band sind arrangiert für Singstimme, Gitarre (er empfiehlt das Umstimmen der tiefen e-saite nach d, da die Begleitungen für die fünfchörige Barockgitarre des späten 18. Jhds. geschaffen wurden), Flöte und Violoncello. Dieter Möckel hat selbst Noten und Vignetten gezeichnet (der Text unter den Noten ist nicht immer 100%ig identisch mit dem allgemeinen Text). Einige der Sätze wurden von Möckel zusammen mit Sybille von Soden (Traversflöte) und Claudia Koch (Violoncello) auch auf CD eingespielt.

Dieter Möckel (ed.), Carl Michael Bellman: Band 2. 21 Episteln und Lieder für Singstimme und Gitarre, Flöte und Violoncello ad libitum. UHR-Verlag, 2009, ISBN 978-3-936606-27-0, 118 S, €36,90.
Dieter Möckel, Carl Michael Bellman. 12 Episteln und Lieder für Singstimme und Gitarre, Flöte und Violoncello ad libitum. CoCon-Verlag, 1997, ISBN 978-3-928100-56-4, 80 S, €17,80.
Carl Michael Bellman, Allehanda visor att sjunga och spela. UHR-Verlag, 2003, ISBN 978-3-936606-26-3, 46 S, €8,00.
Jörg Hensel, Bellmann mit Berlina Schnauze - 12 Lieder in Berliner Mundart. UHR-Verlag, 2005, ISBN 978-3-936606-19-5, 432 S, €6,00.

www.cmbellman.de

Bald wird als als wichtige Neuentdeckung gefeiert, trat aber ab 1970 zunächst nicht mehr auf. 1973 entdeckt Mossmann die Bürgerinitiativen, und ist maßgeblich am Widerstand gegen das geplante Atomkraftwerk Wyhl beteiligt. Dies motivierte ihn, wieder Lieder zu entwerfen und vorzutragen. Er verstand sie als Flugblattlieder, die einfach und plakativ sein sollten.
Aber natürlich signalisierte der Titel auch ein Programm. Diese Lieder waren schnell gemacht und zum sofortigen Gebrauch bestimmt, keine Kunstanstrengung für die Nachwelt oder für den Weltmarkt, noch nicht mal für den westdeutschen Plattenmarkt oder die Folk- und Chansonszene, sondern für die Büchertische der diversen Initiativen. Liedflugblätter dieser Art hat es seit Gutenbergs schöner Erfindung immer wieder gegeben, und die Macher hatten immer dasselbe Verfahren: Sie guckten sich eine bekannte, gute Melodie aus, schrieben darauf einen aktuellen Text, ließen ihn drucken und brachten die Flugschrift unter die Leute. Flugblattlieder sind Eintagsfliegen. Oder flüchtige Gase. Manche brennen, geben Licht, andere knallen, andere stinken nur, und früher oder später verflüchtigen sie sich. Und manche, nachdem sie am Entstehungsort ausgebraucht sind, gehen auf Wanderschaft, werden umgesungen, umgeschrieben, verdreht, missverstanden, verballhornt, zu neuer Blüte gebracht, politisch umgepolt und ins Gegenteil verkehrt, und manche kommen nach Jahren wieder zurück und sind kaum mehr wiederzuerkennen.

Stationen eines Sängerlebens. Seit Mitte der 90er Jahre kann Mossmann, der 2004 die Auszeichnung Ehren-Ruth (Der deutsche Folkpreis‘) für sein Lebenswerk erhielt, nicht mehr als Sänger auftreten, da ein Krebs seine Singstimme zerstört hat.

In Realistisch sein: das Unmögliche verlangen schreibt der Journalist und Liedermacher Walter Mossmann über ein Stück deutsche Nachkriegsgeschichte: die dumpfen 50er, die wilden 60er, Pahlevi bis Allende, Revolutionäre, die mit dem Revolver und die die nur reden.

Walter Mossmann

www.walter-mossmann.de

Er plaudert über sein 1968 und die damit notwendigen zusammenhängenden Rückblicke seit 1933. Er erzählt von Ewan MacColl, Nuovo Canzoniere Italiano, Violeta Parra, Hans Eisler, und Rudi Dutschke (auch ein Popstar).

Ich erzähle Geschichten aus einer anderen Epoche, aus einer anderen Realität. Kein Internet, kein Google, kein Handy, keine grenzenlose Medienfreiheit, stattdessen allerlei restriktive Gesetze, die Informationsfreiheit betreffend, Rundfunk und Fernsehen noch fest in staatlicher Hand. Informationen wurden gewohnheitsmäßig autoritär verwaltet, kontrolliert, dosiert.
Eine Zeile aus einer Chantstory könnte auch als Motto des Buches dienen: Jedes Kind weiß, dass das Goldene Zeitalter ein Märchen ist. Und wozu braucht man solche Märchen, ha? Wir brauchen sie doch nicht wegen der Vergangenheit, sondern wegen der Zukunft! Dass wir nicht sitzen bleiben in der Scheiße, in der wir sitzen.

Walter Mossmann mokierte sich einst, dass schon 40jährige ihre Autobiografien schrieben. Er hat damit gewartet, endet aber im Jahr 1980, als ob danach nichts mehr käme. So erweist es sich manchmal auch als Glücksfall, dass schon 40jährige ihre Autobiografie schreiben.

Boris Steinberg, Alles Chanson

Boris Steinberg, Alles Chanson. Geistkirch-Verlag, 2008, ISBN 978-3-938889-60-2, 156 S, €14,80.

„Ich mag Chansons nicht. Über-haupt nicht! Schwermut, Tiefsinn, Depression zu armer Musikbeglei-tung, das ist meine Assoziation. Deshalb ist Boris' Musik auch nicht Chanson für mich, denn hier gibt es alles was mir gefällt: starke Texte, die auch mal leichter sind, Humor, Melancholie, zu professio-neller Gitarrenbegleitung - und jeder Auftritt ist Entertainment pur. Charmanter Interpret, der zum Lachen bringt und mit seiner Energie mitreißt.“ (Sabine Tretow)

www.boris-steinberg.de

Die Rede ist von Boris Steinberg, geboren und aufgewachsen Mitte der sechziger Jahre in Westberlin. Nach Schauspiel- und Gesangsausbildung erkämpft er sich in den neunziger Jahren seinen Platz in der Berliner Chansonszene. Das erste Engagement ist mit frivolen Liedern aus den 20ern als androgyner Vampir. Zunächst begleitet von Pianistin Ines van Damme, dann Gitarristen wie LeeMan, DocFlo und Tobias Schmidt.

Die meisten Leute denken, wenn sie das Wort Chanson hören, an einen Sänger oder Sängerin, der oder die in einer Klavierbeuge lehnt, von einem Pianisten begleitet wird und schwermütige Lieder singt. Doch Chansons zeichnen sich nicht durch einen bestimmten musikalischen Stil aus. Chansons sind Theaterstücke und Mini-Dramen. Man singt sie, spielt und lebt sie. Man empfindet Chansons oft als pathetisch, mit zu viel Text und Dramatik. Im Fernsehen und Radio haben sie es deshalb schwer. Zeitungen schreiben kaum mehr über dieses Genre, es sei denn Charles Aznavour oder Juliette Greco gastieren im Rahmen einer Abschiedstournee in Deutschland.

Boris gehört demnach einer aussterbende Spezies an (die große Ausnahme ist Annett Louisan, mit einflussreicher Plattenfirma im Hintergrund). Das größte Kompliment bekommt er in Polen: Die harte deutsche Sprache wurde durch ihren Gesang und ihre sanfte Stimme weggesungen. Dafür danken wir Ihnen. Zehn Jahre lang ist Boris Veranstalter des chansonfest berlin, Deutschlands größtem Chansonfest, und schafft für viele Kollegen ein Podium (u.a. Bettina Wegner -> FW#37, Wenzel -> #38, Katharina Franck -> #38).

In Alles Chansons lässt Boris Steinberg seine Karriere Revue passieren und wirft nebenbei ein Schlaglicht auf die deutsche Chansonszene, insbesondere die Probleme. Die Kapitel von A wie Anfang über D wie Dienstleistungssänger, E wie Erfolgsfrei, L wie Lampenfieber und R wie Rumtouren

Cantamus - wir singen

Frohlocket all mit lautem Schall ... 70 Lieder, sortiert nach Kanons (z.B. "Dona nobis pacem"), Allerlei Lieder ("Amazing Grace, "Wild Vögelein"), Mehrstimmige Sätze ("Lorelei", "Tourdion"). Dazu Texte bekannter Volkslieder wie "Die Gedanken sind frei", "Der Mond ist aufgegangen", "Königs-kinder". Das Motto hat Kirchenmusiker Dieter Wellmann vorgegeben:

Chorsingen ist Diktatur,
Da ist von Demokratie keine Spur.
Die Sänger singen immer nur,
Was der Chorleiter will, ganz stur.
Chorsingen ist Diktatur,
Da ist von Mitbestimmung keine Spur.
Die Dirigenten dirigieren immer nur,
Was die Komponisten woll'n, ganz stur.

Cantamus - wir singen. Liederbuch für gesellige Chor-Runde. UHR-Verlag, 2008, ISBN 978-3-936606-23-2, 60 S, €8,50.

bis zu Z wie Zukunftsmusik sind ehrlich und unsentimental. Ein Anhang enthält alle eigene Texte von mittlerweile insgesamt fünf CDs.

Es ist ein Buch, das auch aus Frust geschrieben wurde. Er kann nicht aus seiner Haut:

Ich lebe nicht nur vom Singen, sondern um zu singen! Mein Leben ist ein Chanson! Aber Singen scheint im Moment jeder zu wollen. Im Fernsehen hat inzwischen fast jeder Kanal seine eigene Casting-Show und seine ganz persönlichen Pop- und Superstars. Singen als inflationäres Medienereignis: Junge Menschen setzen sich der unerbittlichen Kritik einer strengen Jury aus, proben, schiften, üben und singen, um in einer Pop-Band zu landen und einen Plattenvertrag zu ergattern. Keiner singt mehr in Bars und Clubs, gründet eine Band und tingelt. Nein, Singen wird im TV ausgeschlachtet, wahrscheinlich so lange bis der Beruf des Sängers zu einem Umschulungsjob in jedem Jobcenter angeboten wird!

Der Berliner rackert sich als Chansonsänger in Deutschland ab, wo man von singenden Poeten so gut wie nichts wissen will. Seufz! Das hat wie alles, sicherlich seinen Sinn! Das wollen wir doch hoffen!

T:-)M's Nachtwache FW#39
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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 11/2009

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