Issue 4 5/98

FolkWorld Szene von Innen

Nachdem in der letzten Ausgabe das Editorial der Ausländersteuer gewidmet war, gab es etliche Reaktionen darauf. Zum einen hat der Native American Flute Player Sky Walkinstik-Man-Alone einen Kommentar geschrieben (siehe The Critical View), zum anderen wurde das Thema in der folkmail-Liste diskutiert.Dabei wurde ersteinmal richtig klar, wie willkürlich und skandlös die Steuer ist.
Die folgenden Erfahrungsberichte klingen eigentlich wie eine Glosse oder Satire - zu traurig, daß es der Realität entspricht, sonst könnte man darüber herzhaft lachen...



Von Rainer & Vera Koester und Klaus Guhl

The Poozies ein Solist

Über angewendete Verfahrensweisen bei der skandalösen Ausländersteuer

Wie kann die Ausländersteuer umgangen werden? Es heißt - so berichtete auch Klaus Guhl - daß wenn eine kulturelle Veranstaltung von öffentlichem Interesse ist, sie aus staatlichen Kulturmitteln gefördert werden kann. Wenn die Förderung mehr als ein Drittel der Gesamtkosten ausmacht, dann kann auf Antrag bein örtlichen Finanzamt auf die Ausländersteuer verzichtet werden. Denn sonst würde der Staat sich selbst besteuern.

Soviel zur Theorie - nun zur Praxis.
Zeichnung von Annegret HaenselRainer & Vera Koester, die die 'Jazz Folk Klassik in Syke e. V.' leiten, berichten von Erfahrungen:

Leider klappt die - prinzipiell richtige - Taktik, staatliche/kommunale Förderung geltend zu machen, längst nicht immer, da die Ausländersteuer nicht nur diskriminierend ist, sondern auch völlig willkürlich mit ihr verfahren wird: Aus Oldenburg wissen wir, dass zumindest ein Veranstalter dort nie Probleme mit der dortigen Oberfinanzdirektion hat: Seine Befreiungsanträge werden grundsätzlich bewilligt.
An der für uns zuständigen OF-Dir. Hannover beißen wir uns dagegen die Zähne aus: Es kam schon mal vor, dass wir in 1996 für eine Gruppe die Befreiung bekamen, ein Jahr später für dieselbe Gruppe den vollen Satz bezahlen mussten, weil der Sachbearbeiter gewechselt hatte. Der Haken ist immer, ob der Auftritt als "solistische Darbietung" oder als "Ensembledarbietung" gewertet wird: Im ersten Fall ist Steuer fällig, im zweiten Fall KANN Befreiung "gewährt" werden.

Zeichnung von Annegret HaenselIn Hannover geht man davon aus, dass alles unterhalb Quintettstärke ein Solovortrag ist. Aber nur, wenn man dort selbst gerade so drauf ist: Ein Veranstalter aus unserer Nachbargemeinde hat gerade eine Klage laufen, weil ihm ein Trio mal als Ensemble durchging und anschließend ein Quartett als Solist gewertet wurde.
Uns selbst wurde für Bratsch "im Hinblick auf die kulturpolitische Bedeutung" Befreiuung gewährt, für die Poozies aber verweigert, weil sie nur vier sind und damit ein Solist(!). Für Hradistan (9 Leute) wurde die Befreiung verweigert, weil "im Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen BRD und Tschechien das Besteuerungsrecht geregelt ist". Uns wurde nahe gelegt, beim Bundesamt für Finanzen eine Freistellung zu beantragen. Dann aber muss man von jedem Künstler eine zweiseitige Bescheinigung ausfüllen lassen = Papierkrieg und Bürokratennerv ohne Ende mit zweifelhaftem Ausgang nach Wochen oder Monaten.

Also: Steuerberater? Wer einen kennt, der mehr weiß, als dass der schon mal gehört hat, dass es so eine Steuer gibt, der darf sich glücklich schätzen.

Also: einfach nicht bezahlen? Machen viele private Veranstalter. Die, die ich kenne, seit Jahren ohne Folgen. Wir aber werden, wie wahrscheinlich viele von den Veranstaltern, aus Steuergeldern subventioniert - geht also nicht.

Klaus Guhl berichtet daraufhin:

Den Eindruck (daß die Ausländersteuer willkürlich angewendet wird, weil selbst im Finanzamt keiner recht durchblickt) kann ich teilen. Ich habe da wohl irgendwie Glück gehabt. Nachdem ich alle möglichen Schreiben und Gespräche bis Bonn und zurück hinter mir hatte, konnte ich meinem Sachbearbeiter erklären, daß auch Kirchensteuer öffentliche Gelder sind. Da wir eine Kirchengemeinde sind und keine öffentlichen Fördermittel für Konzerte bekommen (Begründung: Ihr kriegt ja Kirchensteuer), ist es mit dem Finanzamt so geregelt, daß wir aus Kirchensteuermitteln ein Drittel des Konzertes tragen. Dazu reicht eine Bescheinigung aus. Bei jedem Konzert berufe ich mich auf diese Regelung. bislang hat das geklappt, obwohl der Sachbearbeiter auch mal gewechselt hat. Ich rufe da immer mal kurz vorher an. Hoffentlich bleibt es dabei.

Zeichnung von Annegret HaenselDiese solo Regelung ist irgendwie völlig unverständlich. Letzlich geht es doch um Einkommenssteuer. Diese fällt doch für Solisten ebenso an wie für Ensembles.Wenn es ein Steuerabkommen zwischen BRD und Tschechien gibt, dann kann es doch nur heißen, daß entweder in Tschechien versteuert wird (dann fällt hier keine Steuer an) oder bei uns (Dann gilt aber doch Befreiung, wenn öffentliche Gelder in dem Projekt drin stecken, denn ansonsten ist es eine faktische Kürzung der öffentlichen Unterstützung)

In diesem Bereich muß unbedingt etwas geschehen. Einfach keine Steuern zu zahlen, kann ich mir in der Gemeinde leider nicht leisten.


Wir und alle deutschen Veranstalter sind für jeden weiterführenden Hinweis dankbar. Während die Dachverbände (Profolk, Deutscher Musikrat etc) natürlich auch gefragt sind, hier auf Klarheit und Entlastung zu dringen,empfiehlt Euer FolkWorld Team auch, daß jeder von Euch mal Beschwerdebriefe sowohl an die Regierung und das Finanzministerium als auch an die SPD Opposition (z.B. an SPD Kulturforum oder an den SPD Kanzlerkandidaten) zu schreiben/e-mailen - so kurz vor den Wahlen könnte so etwas auch Wunder wirken...

Auf daß bald wieder bessere Zeiten kommen, und dieser diskriminierende Steuerwahnsinn aufhört!

Alle Zeichnungen sind von Annegret Hänsel.

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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 5/98

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