FolkWorld Artikel von Michael Moll:
RUTH auf der Suche nach deutschen Wurzeln
Eine kritische Hinterfragung des neuen deutschen Folkpreises
In
der vorletzten FolkWorld Ausgabe habe ich den britischen BBC Folk Awards scharf
kritisiert, weil er meiner Meinung nach nicht dem entspricht, was die Folkszene
als Unterstützungs-Medium braucht (siehe Editorial
der Ausgabe 21). Jenes Editorial hat grossen Anklang und Zuspruch in der
britischen Folkszene gefunden.
Seitdem hat sich in Deutschland viel getan in Sachen Folk Awards. Der deutsche
Folkpreis ist vollständig erneuert worden, und die Re-Inkarnation ist weiblich,
und ist auf den originellen Namen "RUTH" getauft worden. Ich habe
mich entschlossen, mit meiner Kritik des BBC Folk Awards an den Pressesprecher
der RUTH heranzutreten, um herauszufinden, ob RUTH mehr Konzept hat als der
BBC Awards. RUTHs Pressesprecher ist Markus Brachtendorf, bekannt als Sänger
der Band Lecker Sachen.
Ausserdem habe ich mir die CD zu RUTH 2002 besorgt; die Besprechung findet sich
am Ende des Artikels.
FolkWorld: Ein Folk Awards ist normalerweise konzipiert, die jeweils besten in der Kategorie zu küren. Das bedeutet, dass prinzipiell, solange kein neuer Topact auftaucht und der gekürte Act der Beste bleibt, er eigentlich wieder und wieder den Preis verdient. Das macht aber nicht wirklich Sinn, oder? Wie wird das bei RUTH gehandhabt? (Beispiel: Martin Carthy, der als Best Singer in England ausgezeichnet wurde)
Markus: Das entspricht nicht meiner Philosophie von einem Preis und
in unserem Bereich wäre das glatte Utopie. Mit der Vergabe egal welchen Preises
steht fest, dass wahrscheinlich unzählige andere parallel auch einen Preis verdient
hätten. Mir und uns geht es somit mit den "Ruths" nicht darum, den möglichst
objektiv besten jeder Sparte zu finden, weil das im Grunde gar nicht möglich
ist. Es geht darum, mit denen im Rahmen des Preises möglichen Mitteln Künstler
zu würdigen, die auf der Basis der Kriterien, Bewerbungen und Gegebenheiten
der gegenwärtigen Ausschreibung eine solche Würdigung für ihr musikalisches
und künstlerisches Schaffen verdient haben und sich damit um die Folk und Weltmusik
an sich verdient machen.
Pragmatisch gesehen ist in meinen Augen ein Preis am ehesten ein geeignetes
Medium Preisträger und Nominierte in der Öffentlichkeit zu präsentieren und
somit ein Podium für eine Präsentation der Musik, des Genres im Allgemeinen
in der Öffentlichkeit zu ermöglichen. Die Vergabe eines Preises darf nicht die
Utopie vorgaukeln, dass der Preisträger der beste von allen ist. Die Vielfältigkeit
des Ausdrucks und die Vielfältigkeit der Bewertungskriterien macht das unmöglich.
FolkWorld: Ich denke, dass sich die an RUTH offiziell beteiligten (Jury etc.) über die Jahre hinweg nicht wesentlich ändern werden. Wie sicherst Du, dass tatsächlich immer neue Acts in RUTH präsentiert werden? Wird RUTH eventuell zu einer Art Club, die sich selbst einmal jährlich beweihräuchert?
Markus:
Ruth hin oder her, eigentlich ist die Folk und Weltszene in der öffentlichen
Wahrnehmung hierzulannde viel zu unbedeutend, um sich zu beweihräuchern. Tatsache
ist allerdings, das sie es auch ohne Preise pausenlos versucht und praktiziert,
ohne sich dessen bewusst zu werden. Wir haben in Deutschland, im Herzen Europas,
eine unglaublich heterogene und vielfältige Szene, die von einem Großteil der
Bevölkerung kaum bis gar nicht wahrgenommen wird, eine Szene, die sich für ausgesprochen
wichtig hält und sich viel zu oft pubertär im Kreis dreht, und einen Deutschen
Folkpreis, für den sich in diesem Jahr knapp 170 Künstler beworben haben. Das
ist meiner Meinung nach nicht viel und dennoch dreimal so viel wie für den Deutschen
Folkförderpreis im Vorjahr.
Wir sollten den Weihrauch im Regal liegen lassen und uns auf die Realität konzentrieren.
Die öffentlichkeit nimmt kaum Notiz von der Folk und Weltszene und die Szene
macht noch viel zu wenig Gebrauch von der Möglichkeit, durch einen Preis wie
die "Ruth" etwas für die Öffentlichkeitswirksamkeit der Künstler und ihrer Musik
in dieser Szene zu tun. Auch wenn ich noch nicht wirklich in "Ruths" Zukunft
blicken kann, kann das allemale erst ein Anfang sein.
FolkWorld: Was ist die Zielgruppe von RUTH? Im Radio wird er nicht übertragen, oder? Ist es im wesentlichen nur ein Medium, um einen CD-Sampler mit deutscher Folkmusik zu füllen? Richtet sich RUTH mehr an Medien und Veranstalter, oder mehr ans eigentliche Folk?
Markus: Was die Richtung angeht, habe ich oben schon einiges dazu gesagt.
Die Musikszene, in der die Ruth verliehen wird, ist meiner Meinung nach in Deutschland
eine Art "Nachwuchsszene". Selbst die Profis in dieser Szene sind durch die
mangelnde öffentliche Wahrnehmung und Würdigung Künstler einer Nachwuchsszene
Folk und Weltmusik. Zu wenige können deshalb, obwohl sie auf sehr ernst zu nehmendem
künstlerischen Niveau arbeiten, davon leben. Der Preis richtet sich, was seine
Vergabe angeht, also im weitesten Sinne an Künstler dieser Nachwuchsszene, die
allerdings ihre musikalische Identität bereits gefunden und mit einer individuellen
Musiksprache bereits zum Ausdruck bringen und öffentliche Würdigung und Wahrnehmung
verdienen.
Was
die Liebhaber der Szene und Hörer von Folk und Weltmusik angeht, so finden sie
in der Auswahl der Nominierten und Preisträger - klanglich wiedergespiegelt
durch die Compilation zum Preis "Ruths 2002" - Künstler, die einen sehr wichtigen
und niveauvollen Beitrag zum Genre der Musik beitragen, die die Hörer dieses
Genres schätzen bis hin zu lieben. Da die Szene so vielfältig ist, haben die
meisten Hörer nur einen minimalen Überblick, der durch den Preis und die Compilation
erweitert werden kann. Abseits davon soll die Differenzierung der Sparten und
der Aspekt der "Neuen Ruth" auch neues Klientel und Hörer ansprechen, die selbst
gar nicht so szeneorientiert Musik hören, sowie Hörer, die sich für eine
bestimmte Sparte interessieren für neue Einflüsse öffnen.
Was das Thema Medien angeht - der Preis befindet sich jetzt in einem, wie ich
finde, noch reichlich frühen Stadium. Im Moment berichten darüber die wenigen
Medien, die (noch) in der Lage sind, über Musik und Content aus dem Genre der
Folk und Weltmusik zu berichten, schreiben, senden. Problematisch ist da eher,
dem gesamten Thema eine Bedeutung zu verleihen, die ein Stattfinden in eher
Mainstream orientierten Medien ermöglicht.
Gegenwärtig wird im popmusikalischen Zusammenhang und auf kulturpolitischer
Ebene in Deutschland wieder massiv die Quote diskutiert. Leider sind wir in
diesem Kontext noch lange nicht soweit, dass wir mit einer erhöhten Berücksichtigung
von Folk und Weltmusik in den Medien zu tun hätten. Obwohl ich glaube, dass
es bei den "Ottonormalhörern" auf mehr Zuspruch treffen würde, als viele denken.
Auch hier messe ich der Einführung der Sparte "Neue Roots" eine besondere Bedeutung
bei. Mittelfristig können wir damit genreübergreifend die Möglichkeit schaffen,
andere Medien anzusprechen.
Abschließend richtet sich die Ruth also somit an die gesamte Szene und macht
auch den hehren Versuch, Klientel darüber hinaus anzusprechen. Zugegebenermaßen
etwas hoch gegriffen. Vielleicht kann sie somit zur Vernetzung und Einigwerdung
darüber dienen, dass wir alle uns in eine Musikszene bewegen, die eine massivere
öffentliche Wahrnehmung verdient hätte und somit zu einem intensiveres "An-einem-Strang-Ziehen"
bewegen. Definitiv geht es nicht darum, einzelne Komponenten der Szene oder
einzelne Künstler zu beweihräuchern, obwohl sich der Eindruck natürlich für
Kritiker nicht gänzlich vermeiden lässt.
FolkWorld: Wie stehen Musiker zu RUTH? In England scheint sich eine immer stärkere Front gegen den BBC Folk Awards zu bilden. Viele Musiker wollen auch nicht mehr als Teil der Jury mitwirken.
Markus: Die Verbindung muss wachsen. Die Steigerung der Bewerbungen gibt Aufschluss über zunehmende Wahrnehmung und zuhnemenden Zuspruch der Musiker und Künstler. Tatsächlich ist er aber noch zu gering, weil die "Ruth" noch zu wenige erreicht und vor allem, weil wir bisher fast gänzlich ohne Mittel agieren.
FolkWorld: Schliesslich noch ein Kommentar: Ich finde schade, dass bei RUTH der Folkförderpreis auf einen Act gekürzt wurde - für mich macht ein Folkförderpreis für Newcomer immer noch am meisten Sinn.
Markus: Wie du aus allem vorher geschriebenen erlesen kannst, stimmt das gar nicht so richtig. Er heißt zwar nicht mehr so, wir haben es aber trotzdem mit einem Folkförderpreis zu tun. weil die Folkszene in Deutschland tatsächlich eine Folkförderszene ist. So siehts aus, und wer's nicht glaubt, hat es noch nicht kapiert.
Nun,
alles in allem war Markus überzeugend, dass RUTH eine sinnvolle Institution
ist. Wobei immer noch Zweifel bleiben - wenn alle Kategorien "Newcomer-Preise"
sind, warum brauchen wir dann noch die Sparte "Newcomer" bei RUTH?
Ausserdem - können bei RUTH dann nur "Newcomer", will sagen Folkmusiker
mit wenig öffentlicher "Mainstream"-Bekanntheit den Preis erwerben?
Ein Preis ist letztendlich dazu da, den "Besten" der Kategorie zu
wählen, auch wenn das eventuell nur Mittel zum Zweck ist. Die Abgrenzung
der drei Kategorien wird wohl mit Sicherheit in Zukunft auch noch Probleme bereiten.
Trotz allem muss ich hier meinen Respekt an Markus Brachtendorf aussprechen
- er hat zumindest dem Deutschen Folkpreis wieder Wind in die Segel geblasen,
und hinter RUTH steckt in der Tat Konzept. Vielleicht hilft er tatsächlich
der deutschen Folk- und Weltszene etwas auf die Beine. Es ist bei RUTH sehr
schön zu sehen, dass für den Preis das Label "Folk" auch
Folkmusik aus anderen Teilen der Welt umfasst - dass selbst afrikanische Musik
den Titel "Folk" bekommt. RUTH setzt demnach Akzente, dass endlich
nicht mehr radikal zwischen Folk- und Weltmusik getrennt wird.
RUTH - der
Deutsche Folkpreis "Ruths 2002"
Label: Jigit Records;
JICD1023; 2002; Spielzeit: 63.03 min
Auf der ersten Version von Ruths CDs findet sich jeweils ein Stück aller
Nomierten zum RUTH Folkpreis 2002, und von den drei Preisträgern gibt es
ganze drei Nummern. Wen und was gibt es nun zu hören?
Der Gewinner der Kategorie "Deutsche Roots" ist das Duo "Daniel
Kempin & Dimitry Reznik", die jiddische Lieder vortragen, begleitet
von Gitarre und Violine; nicht unbedingt spektakulär, aber nett anzuhören.
Die beiden anderen "Deutsche Roots" Nominierungen waren eine Mittelalter-Folkband,
Estampie, sowie die bayrische "Heavy Folk Band" Hundsbuam Miserable.
Warum Hundsbuam unter "Deutsche Roots" und nicht "Neue Roots"
geführt werden, ist mir nicht ganz klar.
"Di Grine Kuzine" ist der Gewinner der Kategorie "Globale Roots"
- zu recht, denn diese Klezmer Band ist eine der spannenden Bands der deutschen
Szene. Mit ihrer Mischung aus Klezmer, Balkan, Brass und Energie, mit groovender
Tuba, können sie noch gross herauskommen, und das über deutsche Grenzen
hinweg. Die weiteren Nominierungen unter "Globale Roots" ist eine
Frauen-Band mit "Afro-Latin Percussion & More", vertreten mit
einem Lied, das die attraktiven Stimmen der Band präsentiert; sowie der
Marokkaner Houssaine Kili.
Neben der "Grinen Kuzine" könnte wohl auch "Törnmeister",
der Gewinner der Kategorie "Globale Roots", auf internationalen Märkten
Aufsehen erregen. Törnmeister können als deutsche Antwort auf "Afro
Celt Sound System" und ähnliche Worldmusikprojekte gesehen werden;
sie mischen globale Musiktraditionen mit modernen Samples und Beats. Törnmeister
sind Lecker Sachen's Otto Schneider (Bass) und Chris D. Dahmen (Sitar, Kora).
Nominiert waren auch "fjp" - das Folk JazzProjekt, eine Band, der
u.a. die Leipziger Talente Andreas und Johannes Uhlmann angehören. Das
fjp-Stück der CD läßt durchaus aufhorchen, und hat offensichtlich
einigen Einfluss von einem gewissen Kepa Junkera... Schliesslich "G.Rag
y los Hermanos Patchekos", mit einer bayrisch-mexikanischen Fusion, die
sich - auf dieser CD- nicht zu spannend anhört.
Etwas verloren dazwischen befindet sich der deutsche Folkförderpreisträger,
Rakatak, wenngleich die Musik, mit starken Sambaeinflüssen, spannend ist.
RUTH - die CD - enthält kurze Informationen aller Bands, sowie Kontaktadressen.
Sicherlich eine CD, bei der die meisten noch die eine oder andere Entdeckung
machen werden. Ich persönlich kannte von den auf der CD vertretenen Bands
nur 2 vorher. Das ist schon eine Leistung...
Homepage: www.folkpreis.de, Kontakt:
ruth@folkpreis.de, Kontakt zum Label: contact@jigit.de
Michael Moll
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