FolkWorld Live Review 12/2001:
Folk-Festivals gibt es bekanntlich wie Sand am Meer, und wenn es sich nicht gerade um das größte Europas, das "Tanz- und Folkfestival Rudolstadt", handelt, tragen sie oftmals das Attribut "Irish" im Namen, finden gehäuft um St. Patrick's Day (17. März) statt und bedienen, wie auch die mit keltischen Versatzstücken überladenen Irish Pubs, in denen sie zumeist stattfinden, nicht selten die überkommenen Klischees von Schafen und shamrocks, wenn nicht ceol agus craic.
Ein unkonventionelleres, eigenwilliges Irland-Bild wurde dagegen den Besuchern
des ersten "Pigeon on
the Gate"-Festivals nahe gebracht, das neben dem nach wie vor dominierendem
Grün auch viele andere folkloristische Farben zuließ. Die Fachzeitschrift
Folker! begeisterte sich bereits aufgrund der Vorankündigung des
Konzerts, dass das Münsteraner Festival sich "zumindest eine Idee anders"
präsentiere. Folgerichtig wurden am Abend des 23. November 2001 auf der
Bühne der unweit des Hauptbahnhofs gelegenen "Cuba-Kneipe" nicht der hinlänglich
bekannte "Whisky in the Jar", der "Wild" oder der "Irish Rover" beschworen.
Schon der Termin des Festivals ließ sich programmatisch als Abkehr von
Folk im Stil etwa der "Dubliners" deuten, denn hier bildete der (Todes- und)
Namenstag des irischen Mönchs und Missionars Mitteleuropas Columban (6.
Jh.; von ir. colm bán ,weiße Taube') den Anlass, der über
den Umweg des Titels eines irischen Reels, "An Colm ar an nGata" (engl. "The
Pigeon on the Gate"), dem Festival in der Westfalen-Metropole seinen Namen (ver-)lieh.
An jenem Freitagabend erschienen weit über hundert folkinteressierte Zuhörerinnen und Zuhörer und brachen damit angeblich sogar den diesjährigen Besucher-Rekord im "Cuba". Die dementsprechend große Aufmerksamkeit, die das Publikum den drei "Trad"-Bands entgegenbrachte, machte sich bereits beim Auftritt von "Whirli Gig" bemerkbar. Die Braunschweig-Wolfenbütteler Folk-Formation, die sich vor kaum anderthalb Jahren erst zusammenfand, eröffnete das Konzert mit spannungs- und abwechslungsreich arrangierten, technisch versiert dargebotenen Liedern und Instrumentalstücken, deren besinnlich-getragene Grundstimmung nur vereinzelt von "Gassenhauern" wie "As I Roved Out" oder "The Hills of Connemara" durchbrochen wurde. Folgerichtig kulminierte die Darbietung der Gastmusiker in einer ebenso individuellen wie eindrucksvollen Interpretation des modernen Klassikers "Ride On" aus der Feder des Corker Songwriters Jimmy MacCarthy.
Einen "Kontrapunkt" zur akustischen Fülle von "Whirli Gig" setzte daraufhin das Duo "Mookie". Nur mit Gitarre, Perkussion und zwei Gesangsstimmen ausgerüstet, reduzierten die beiden Musiker viele bekannte, mal mehr, mal weniger irische Songs auf deren strukturelle Grundmuster, ohne durch derartige Minimalarrangements jemals den Eindruck musikalischer "Unzulänglichkeit" zu erwecken. Im Gegenteil, zum Ende ihres Sets war hinsichtlich der Stimmung bei den Zuhörern ein erster Höhepunkt des Abends erreicht.
Vor dem Gastspiel der zwölfköpfigen "Pigeon-on-the-Gate All-Star Band", mit dem das Festival schließlich enden sollte, betraten "Deoch an Dorais" aus Münster, die Initiatoren des Festivals, die Bühne. Wie bei ihren früheren Auftritten, die sie in den letzten drei Jahren nicht nur durch Nord- und Westdeutschland, sondern bis nach Thüringen, Österreich und Luxemburg führten, bewiesen "Deoch an Dorais" dem "Cuba"-Publikum alsbald, "dass Folk auch rocken kann" (Westf. Nachrichten 27.11.2001), dass mithin auch "Trad"-Musik sich zeitgenössisch darbieten und weiterentwickeln lässt. Obwohl die Münsteraner Folkband ebenfalls auf einige Folk-Standards, darunter sogar das gälische "Bheadh Buachaillín Deas ag Síle", zurückgriff, war ihr musikalisches Programm maßgeblich von zeitgemäßen Arrangements und Interpretationen gekennzeichnet, wie etwa der mit einer wohldosierten verzerrten Gitarre begleiteten spätmittelalterlichen Ballade "Twa Corbies" oder der Fusion von "Johnnie Cope" und W.B. Yeats' Gedicht "Easter 1916", und wurde durch mehrere Eigenkompositionen, vom ska-angehauchten "Black Sheep" zum melancholischen "Paddy on the Radio", ergänzt.
Weit nach Mitternacht wurde das erste Münsteraner Folk-Festival dann mit den "All-Star"-Versionen von "Star of the Co. Down", einem letzten Jig-Set ("Calliope House", "A Fisherman's Song for Attracting Seals", "The Miller's Maggot") und einer Ballade für den Heimweg ("Snowdrops in the Rain") beschlossen. Unter den Musikern waren Veranstalter und Gäste gleichermaßen begeistert, so dass zum nächsten St. Colm's Day auf ein zweites "Pigeon on the Gate"-Festival gehofft werden darf. Und wer von den Zuhörern bei der großen Verlosung, für die die FolkWorld ein Dutzend CDs spendierte, einen Preis gewonnen hatte, konnte, als die Tauben von den Dächern gurrten, sogar mehr als nur die Erinnerung an ein gelungenes Folk-Festival mit nach Hause nehmen.
Festival-Homepage: www.deochandorais.de
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