Ausgabe 17 12/2000

Neue Scheiben aus Irland

Die FolkWorld Kolumne für Liebhaber irischer Musik, zusammengestellt von Axel Schuldes

Sharon Shannon; photo by The Mollis Zugegeben, es ist nicht sonderlich originell, nun auch Album #4 der iro-amerikanischen Superband Solas in den allerhöchsten Tönen zu loben. Aber mit The Hour Before Dawn ist es Séamus Egan & Co. gelungen, das hohe Niveau zu halten, auf dem seit 1996 musiziert wird. Wer befürchtet hat, daß durch die Neubesetzung der Position 'vocals' ein kleiner Einbruch entstehen könnte, sieht sich angenehm enttäuscht. Deirdre Scanlan ist eine mindestens ebenso vorzügliche Sängerin wie ihre Vorgängerin. Um dieses zu beweisen, singt sie unter anderem eine hinreißende Version von "I Will Remember You", dem Titelsong zum Film The Brothers McMullen. Den hatte Séamus Egan 1995 gemeinsam mit der Originalinterpretin Sarah McLachlan komponiert, die mit ihrer Version einen Hit in diversen Ländern plazieren konnte. Solas ist zwar zunächst mal eine Trad-Band, aber an allen Ecken und Enden für kleine und große Überraschungen gut; das Vorhersehbare ist nicht ihr Ding. Die Platte ist ein sicherer Kandidat für das Six-Pack an Top-Veröffentlichungen des Jahres 2000, das ich demnächst schnüren werde. Musikfreunden, die einen Computer mit CD ROM-Laufwerk besitzen, bietet die CD übrigens noch einiges Hübsches an Extras, so unter anderem einen Video-Mitschnitt von "I Will Remember You".

Die Mini-LP Ancient Rain von 1986 und die Best of-CD von 1994 mal eingerechnet, bringt es Mary Coughlan mit Mary Coughlan Sings Billie Holiday auf zehn Veröffentlichungen, darunter etliche Hochkaräter. Der Titel ist Programm und läßt zunächst ein wenig befürchten, daß sie sich mit solch einem Projekt nun leider übernommen haben könnte. Dem ist aber keineswegs so. Wahrscheinlich ist dies sogar die beste Platte, die sie in den 15 Jahren ihrer Karriere aufgenommen hat. Ihr ist die Gratwanderung gelungen, einer der größten Jazz-Sängerin des letzten Jahrhunderts ihre Referenz zu erweisen, ohne sie zu plagiieren. Mary Coughlans Risikobereitschaft ging sogar so weit, daß sie darauf verzichtete, sich in die sichere Umgebung eines Studios zurückzuziehen. Ihr wundervolles Tribute-Album spielte sie ohne Netz und doppelten Boden live in der 'Hot Press Irish Music Hall of Fame' in Dublin ein. Ein authentisches, anrührendes und bedeutsames Dokument, das hoffentlich viele, viele Male über den sprichwörtlichen Ladentisch gehen wird.

Niamh Parsons; photo by The Mollis Ein Album mit seiner Gruppe Inchiquin (1976), drei noch unter dem Namen Barry Moore und jetzt mit Keeper of the Flame seine sechste CD als Luka Bloom: Macht auch zehn Platten insgesamt. Die "schlechte" Nachricht vorweg: Auch Luka Bloom konnte der Versuchung nicht widerstehen, ein Covers-Album aufzunehmen. Die gute Nachricht: Er absolviert das Programm erwartungsgemäß mit Bravour. Ganz besonders jene Stücke, die ohnehin einigermaßen in sein Ressort fallen, bringt er natürlich sehr gut rüber: Bob Dylans "Make You Feel My Love", Joni Mitchells "Urge for Going" und Tim Hardins "If I Were a Carpenter". Aber er riskiert es beispielsweise auch, Abbas "Dancing Queen" in Angriff zu nehmen - mit verblüffendem Erfolg! Mutig mitgegangen auf diesen Ausflug in andere Gefilde sind sein Bruder Christy Moore und sein Neffe Conor Byrne. In Vorfreude auf eine "richtige" neue Luka Bloom-CD betrachte ich diese hier als höchst erfreuliches Interimsprojekt und denke, daß sie nicht in meiner Sammlung fehlen sollte.

Aus dem ohnehin schon vorzüglichen Trio Calico aus Cork ist inzwischen ein noch vorzüglicheres Quintett geworden. Hinzugekommen sind der bisherige Gastmusiker Pat Marsh (Bouzouki) und die Sängerin und Fiddlerin Deirdre Moynihan. Das Repertoire besteht aus traditionellen Tunes aus der Bretagne und Irland, Eigenkompositionen und diversen Songs. Das Herzstück der Instrumentals ist die knisternde Kombination von Dudelsack (Diarmaid Moynihan) und Fiddle (Tola Custy), getragen von dynamischen und zugleich filigranen Gitarrenklängen (Donncha Moynihan). Declan Sinnott, für lange Jahre Mentor von Mary Black, nahm sich - wie schon beim ersten Album - der Band an und fungierte als Produzent und Multi-Instrumentalist bei den Aufnahmen zu Songdogs. Wer Spaß an toller Folkmusik hat, die ohne Taschenspielertricks und ohne Geschwindigkeitsrausch zu glänzen vermag, sollte hier zugreifen.

Carlos Nunez; photo by The Mollis Seit 1993 das mit einem Grammy ausgezeichnete Chieftains-Album The Celtic Harp erschien, ist auch das Belfast Harp Orchestra einem breiterem Publikum ein Begriff. Es hatte nämlich - unter der Leitung von Janet Harbison - nicht unerheblichen Anteil an dem Erfolg. Obwohl das Ensemble in Irland inzwischen fünf Alben veröffentlicht hat, war's für hiesige Sammler ein vertracktes Thema, selbst gewiefte Import-Spezialisten konnten nicht weiterhelfen. Nun hat ein engagiertes Label aus Bremen dem Notstand ein Ende gemacht. Etwa eine Stunde allerfeinster Harfenmusik wurde aus besagten fünf Alben für den Sampler Janet Harbison & The Belfast Harp Orchestra ausgewählt. Es ist eine wahre Freude, den 27 Harfenistinnen zuzuhören. Derek Bell von den Chieftains hat es neidlos so formuliert: "The music is wonderfully attractive, so intelligently arranged and laid out; the performances are technically impeccable, neat and always most subtle, musical and expressive!" Was kann solch einer Laudatio aus dem Munde eines großen Meisters noch hinzugefügt werden? Wo er recht hat, hat er recht. Bleibt nur zu hoffen, daß uns die Firma Laika Records demnächst mit Volume 2 beglückt ...

Joe Heaney war weltweit einer der bedeutendsten traditionellen Sänger. In Zusammenarbeit mit dem renommierten englischen Label Topic haben die rührigen Leute bei Cló Iar-Chonnachta eine Doppel-CD mit bisher unveröffentlichtem Material erstellt. Diese 39 Aufnahmen wurden 1964 von Ewan MacColl and Peggy Seeger mitgeschnitten, als Heaney auf der Höhe seiner Schaffenskraft war (er trat z.B. regelmäßig mit den Dubliners und beim Newport Festival mit den Clancy Brothers auf). Zum Umfang gehört ein 60seitiges Booklet mit allen Texten und detaillierten Informationen zu Joe Heaney, seinen Liedern und seinem Background. The Road from Connemara zählt sicherlich zu den sensationellsten Folk-Ausgrabungen im CD-Zeitalter und sei allen, die mit ihrer Sammlung nicht nur an der Oberfläche bleiben wollen, nachdrücklichst ans Herz gelegt!!!

Aus gleichem Hause kommt übrigens auch eine brandneue Einspielung von drei begabten jungen Musikern namens Oisín MacDiarmada, Brian Fitzgerald & Micheál Ó Ruanaígh. Der Titel des Debütalbums - Traditional Music on Fiddle, Banjo & Harp - sagt ja bereits, wo es lang geht. Ein Trio in dieser Konstellation ist eher ungewöhnlich und hebt sich schon von daher positiv von vielen anderen Instrumentalformationen ab. Ein erfrischendes Hörvergnügen.

Altan; photo by The Mollis Die Dubliner Sängerin Susan McKeown lebt seit einigen Jahren in New York und hat seit 1995 im Schnitt pro Jahr eine CD veröffentlicht. Sie verfügt über eine Stimme von einer außergewöhnlichen Bandbreite an Ausdrucksmöglichkeiten und einer kraftvollen Präsenz, die nicht nur charakteristisch ist für ihre Live-Auftritte, sondern sogar via Tonträger noch Gänsehaut erzeugt. Ihr neuestes Werk heißt Lowlands. Wenn sie auch eher zu einem zeitgenössischen Ansatz neigt, so verliert sie doch den traditionellen Ausgangspunkt nie aus dem Auge. Und wenn auch Songs wie "The Dark Haired Girl", "The Snows They Melt the Soonest", "The Lowlands of Holland" und "The Moorlough Shore" zu den bekannteren zählen, so macht das Wiederhören allemal große Freude, wenn sie von solch einer Sängerin vorgetragen werden und in solch raffinierte Arrangements eingebettet sind. Zu den Gastmusikern zählen Joanie Madden, Kevin Crawford, Aidan Brennan und Johnny Cunningham - das mußte ja gutgehen!

Apropos Gaststars: Die reichten sich die Klinke in die Hand bei den Aufnahmen zur neuen CD von Sharon Shannon. Steve Earle, John Prine, Jackson Browne, Carlos Nunez, Donal Lunny, Tríona Ní Dhomhnaill, Máire Breatnach, Liam Ó Maonlai, Steve Cooney ... sie alle, alle kamen, als sie zu The Diamond Mountain Sessions einlud. Aber der Über-Präsenz an illustren Friends zum Trotz ist dies letzten Endes eine waschechte Sharon Shannon-Platte geworden. Wenn auch die Songs hier schon große Klasse sind, die Tunes sind's, die diese Platte zu einem absoluten Fest machen. Wer vor beinahe zehn Jahren von ihrem Debüt hingerissen war, wird's jetzt auch wieder sein!

Der Katalog des Dubliner Labels Celtic Collections wächst und gedeiht. Er wird jetzt von Bellaphon importiert und sollte mithin überall zu erhalten sein. CDs folgender Künstler zählen zum Sortiment:
Altan, RTE Concert Orchestra, Brian Warfield, Garret Wall, The Wolfe Tones, Johnny Logan, Joe Dolan, Phil Coulter, Meav, Stockton's Wing, Clannad, Fade Street, Hedge School, The Dubliners, Horslips, De Dannan, The Fureys, Paddy Reilly, Fir na Keol, Jim McCann und Stockton's Wing. Im Anhang findet sich eine kleine Auswahl an Titeln. Eine schöne Entdeckung sind die beiden Platten von Jim McCann. Insbesondere The Collection - keine Compilation, wie der Titel vermuten läßt! - ist eine feine Auslese schöner Balladen in edlen, sparsamen Arrangements. By Request ist kaum weniger empfehlenswert. Der als Sänger bei den Dubliners hochgeschätzte McCann ist wieder da!

Aus gegebenem Anlaß sei zu guter Letzt auf einen keltischen Weihnachts-Sampler hingewiesen. A Thistle & Shamrock Christmas Ceilidh versammelt einige der schönsten Songs zum Thema aus dem Green Linnet-Katalog. Wer hätte nicht Lust, mit Altan, Andy M. Stewart & Manus Lunny, Capercaillie, Patrick Street, Cherish the Ladies, Niamh Parsons und Lúnasa mal so richtig schön Weihnachten zu feiern?! Für mich zumindest wär' das die ultimative Xmas-Fete ... meint

Axel Schuldes


Photo Credit: All photos by The Mollis: (1) Sharon Shannon, (2) Niamh Parsons, (3) Carlos Nunez, (4) Altan


Originalabdruck: 'irland journal' (Christian Ludwig Verlag, Dorfstr. 70, 47447 Moers).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 12/2000

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