Die schönsten Dinge im Leben geschehen ja oft ganz unverhofft. So quäle
ich mich mit dem Fahrrad eine steile Straße in der Steiermark empor.
Die Sonne brennt, die Luft steht still und die Zecken
lauern blutgierig auf einsame Wanderer.
Nur gelegentlich überholt mich ein Auto, doch als ich den
Sattel "Auf der Leber" errreiche, sehe ich mich einem Massenauflauf gegenüber!
Alle zwei Jahre nämlich, am ersten Juni-Wochenende, veranstaltet das
Steirische Volksliedwerk
am Gasthof Martinelli bei Graz-Stattegg den Steirischen Geigentag,
eine einzige große "Session": überall stehen Grüppchen beieinander
und fiedeln auf dem steirischen Nationalinstrument
drauflos, lösen sich auf und bilden wieder neue Kombinationen;
Polkas,
Ländler
und
Gstanzln
erfüllen die Luft, 733 m über Normalnull.
Nach der Geige dominiert das Akkordeon ("Steirische Harmonika") und der
gestrichene Kontrabass ("Bassgeige") das Geschehen;
es finden sich ein paar wenige Gitarren und Flöten,
ein Hackbrett und eine Gruppe Mundharmonikaspieler. Bislang hatte
ich alpiner Volksmusik nicht viel abgewinnen können, was möglicherweise
am martialischen Einsatz von Blasinstrumenten und den "Lästigen Musikanten" im
"Dilettantenstadl" liegen mag. Die Musiker hier sind weit von ihren
volkstümlichen Kollegen entfernt,
geschweige denn, daß das grünhaarige Madl am Kontrabass oder der
Asiate an der Geige - außer zur Belustigung des Publikums - bei
Karl Moik
überhaupt Einlaß finden würde.
Zwei Wochen später, 100 km nordöstlich: Nicht nur, daß irische und
schottische Musik in Österreich populär wäre, die Alpen (keltisch: "Hohes Land") können auch für sich reklamieren,
keltische Heimstatt gewesen zu sein, lange bevor der erste Kelte seinen Fuß über den Kanal gesetzt hat (Hallstatt in Oberösterreich hat der eisenzeitlichen Hallstatt-Kultur seinen Namen gegeben). "Musik und
Archäologie" verspricht das Celtovation-Festival im Keltenpark Schwarzenbach: "Leben im keltischen Dorf.
Inmitten einer massiv befestigten keltischen Siedlung aus dem 1. und 2. Jahrhundert vor Christus [Latene-Zeit] entsteht ein keltisches Dorf. Schmiede,
Drechsler, Töpfer laden zum Mitmachen ein. Ein keltischer Wanderhirte mit längst ausgestorben geglaubten Tieren und ein
keltischer Markt untermalt von keltischer Musik und Tanz erwecken die seit über 2000 Jahren ruhende Siedlung zu neuem
Leben. Die Kraft des Schmiedes, die Kunstfertigkeit des Drechslers, das Feingefühl des Töpfers, der Duft und die
Deftigkeit der keltischen Küche, keltische Trinksitten, Markttreiben wie vor Jahrtausenden mit keltischen Wanderhirten
und ihren Herden, der Groove und der Drive keltischer Musik an romantischen Feuerstellen tauchen den Besucher in das
Flair der wiedererweckten keltischen Siedlung." Entsprechend läuft der Bürgermeister von Schwarzenbach in
gewichtiger Pose als Stammeshäuptling "Dumnorix" verkleidet herum (welches Amt bekleidet wohl der Druide?).
Am Samstag nachmittag startet das musikalische Rahmenprogramm: Zum
Auftakt spielt kurioserweise eine bolivianische Gruppe auf (aber ist Flötenmusik nicht universell?), anschließend
trommelt das sechsköpfige Ensemble Celtrom das Festival ein: "Zahlreiche wilde und domestizierte Tiere
mußten ihr Fell lassen, um diesen grandiosen Anlass möglich zu machen. Wir danken den Züchtern und Jägern für die
Mitarbeit zur Rekonstruktion keltischer Klangwolken." Zjamoel (flämisch: "Wirrwarr") haben ihre Instrumente
mitgebracht, das Dioxin glücklicherweise zu Hause gelassen. "Lieder ohne Worte und Tänze ohne Schritte" werden
dem belgischen Quintett nachgesagt, "die in den malerischen Landschaften aus dem Spannungsfeld zwischen keltischer
und germanischer Kultur erwachsen sind." Gemeint ist flämische Volksmusik, die mit Gitarre, Geige, Akkordeon,
Flöte und Klarinette dargeboten wird. Einen klingenden Namen hat sich die Grazer Band um den nordirischen Sänger Eamonn
O'Donnelly zugelegt: Gobshite (gob: "Schnabel"; jemand der Schmarrn redet) beleben zwar nicht "die
Erinnerung an eine jahrtausendealte keltische Vergangenheit" mit "musikalische Impressionen, die das Leben in
einem keltischen Dorf ausmachen" (ich liebe Pressetexte!), aber spielen sich zur Freude der Besucher durch das
irische Balladenrepertoire. Mein persönliches Highlight des Tages ist die Wiener Gruppe Hotel Palindrone um Nupi Jenner auf der
Gaita, dem galizischen Dudelsack, und Stephan "Stoney" Steiner auf der Geige (siehe auch Stoney's Folkpage für alles Folk-Wissenswerte in Wien und Umgebung).
Die Fünf - neben John Morrissey (Mandola) und Peter Natterer (Bass) noch verstärkt durch die Saxophonistin Albin Paulus
- spielen eine tanzbare Mischung aus allen Regionen, in "denen jemals Kelten vermutet wurden" (oder jetzt
irische Pubs aufgemacht werden), von finnischen Mazurkas bis asturischen Reels. Der aufkommenden Kälte wegen sei's
gedankt! Bedauerlicherweise für alle Musiker ist trotz der 1.500 Besucher der gesamte Platz so groß und die
Getränkebuden so weit entfernt, daß der Raum vor der Bühne nur spärlich besetzt ist.
Nach einem Fackelzug und dem Abbrennen eines Feuerstoßes
wird nun alpenländischen Klängen Genüge getan:
Die steirischen
Aniada a Noar
- Michael Krusche (Gitarre, Geige), Wolfgang Moitz (Flöte, Dudelsack),
Bertl Pfundner (Ziehharmonika, Mandoline) und
Andreas Safer (Geige, Mandoline) - versuchen gegen das
"Celttrommeln" am Feuer anzuspielen, um - in ihren eigenen Worten -
"der Volksmusik neue Perspektiven zu geben -
in der laufenden Begegnung und Auseinandersetzung mit Musikanten Österreichs und vieler anderer Länder.
Volksmusik bleibt eben das, was enthusiastische Leute spielen und singen [...] recht unabhängig von gedachten und
geschriebenen Konzepten. Und unabhängig von gängigen Vermarktungswünschen der Industrie wie der Medien." Walzer,
Gstanzln und Jodler werden - manchmal leicht schräg, aber immer voller Lust - vorgetragen. Andreas Safer: "In
unserem heutigen Repertoire finden sich neben tradierten Stücken hauptsächlich Eigenkompositionen, Tänze und Lieder.
Wir verknüpfen dabei ganz unprogrammatisch Angloamerikanisches mit Alpenländischem, ganz nach persönlichem Empfinden
spontan aus ,dem Bauch heraus'. Unsere Texte sind autobiographisch, Reflexionen zu unserer Gesellschaft und Umwelt. Wir
sehen uns nicht als traditonelle Volksmusikgruppe und auch nicht als Beitrag zur - in den Medien gern zitierten -
sogenannten ,Neuen Volksmusik¦."
Allzuviel keltischen Klischees dieses Festivals zum Trotz ist das Musikprogramm (wenn diese Musik auch nie in einem keltischen Dorf erklungen sein dürfte) sowie das Bemühen um keltische Lebensart (mir wird das Honigbier in Erinnerung bleiben) zu loben. Original keltische Relikte können immer noch im nahen Museum im Rathaus (oder in einem der anderen zahlreichen Museen) besichtigt werden. Und wer weiß, vielleicht sind frühzeitliche Dörfer ja die nächste Attraktion, wenn die gegenwärtige Popularität mittelalterlicher Märkte abgenommen hat!
Aniada a Noar: "Aniada a Noar" (1988), "Geduld Geduld - live" (1989), "Die Hupfade" (1994), "Geierwally"
(1995), "Wärme" (1997)
Hotel Palindrone: "Elegance" (1999)
Andreas Safer: "Gwoxn" (Preis der
deutschen Schallplattenkritik, 1993)
Jul 16-18 Folk-Festival Gutenbrunn (Niederösterreich).
Verein für Kulturaustausch, Mario Prinz, Tel. ++43(0)1 4803853, mario.prinz@netway.at,
http://www.folkladen.com/vfk/gutenbrunn/index.html
Aug 5-8 Bordunmusik-Fest Kremsmünster (Oberösterreich). Comite Adalbert Stifter, c/o Simon Wascher,
Mariahilferstr. 61/2/24, A-1060 Wien, Tel. ++43(0) 664 3730503. http://www.unet.univie.ac.at/~a8702257/kremsmuenster.h
tml
Sep 4-6 Internationales Folk-Festival Hallein (Salzburg). Halleiner Folkinitiative, Unterer Markt
1, A-5400 Hallein, Tel. +43/6245 85394, Fax +43/62 45/8 51 85/13
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