FolkWorld Artikel von Christian Rath:

Das Afro Celt Sound System

Im Kern ein europäisches Projekt


Afro Celt Sound System; photo by The Mollis Von ihrer ersten CD "Sound Magic" wurden seit 1996 weltweit 200 000 Exemplare verkauft - und doch war die Band enttäuscht. Das Afro Celt Sound System bewegt sich in ökonomischen Sphären, die Folk-Musiker nur selten erreichen. Und auch musikalisch haben die Afrokelten die Grenzen "klassischer" Folkmusic weit hinter sich gelassen. Dies stellen sie auch mit ihrem zweiten Album "Release" unter Beweis, das im Mai auf einer kurzen Deutschland-Tournee vorgestellt wurde.

"Release" ist wieder eine ausgefeilte Mischung von Ethno-Elementen und Dancefloor-Electronic. Wie das erste Album, ist es auf Peter Gabriels Real World-Label erschienen. Ein neues Sound-Dickicht aus Trommeln, Flöten, Dudelsack, Harfe, Gesang und Dancefloor-Samples. Die Musik ist kommerziell und doch nicht seicht. Eine Mischung aus New Age, Postrock und Global Dancefloor. Auf dieser CD ist viel zu hören, ohne daß wirklich etwas passiert. Vermutlich wird auch Volume 2 des Afro Celt Sound Systems wieder sehr erfolgreich sein.

Iarla O'Lionaird; photo by The Mollis Im Zentrum der Gruppe steht der britische Gitarrist und Produzent Simon Emmerson. Die Idee zum Afro Celt Sound System kam ihm, als er Anfang der 90er-Jahre das Baaba Maal-Album "Lam Toro" produzierte und dort ein Dudelsack-Solo von Davy Spillane einbaute. In den 80er-Jahren hatte er schon einmal großen Erfolg als Mitglied der Jazz-Pop-Formation "Working week", Damals firmierte er aber noch als Simon Booth, seinem Spitznamen aus vergangenen Punk-Zeiten. Vom Punk über den Jazz zur Weltmusik - Simon Emmerson kommt musikalisch wirklich 'rum.

Zum Kern der Gruppe gehören auch Sänger Iarla O'Lionard, Multiinstrumentalist James McNally (Whistle, Bodhran) und Sound Engineer Martin Russel. Der Ire Iarla O'Lionaird ist ein Sean Nos-Sänger, der bei Real World 1997 auch schon ein sehr meditatives und leicht elektronisches Solo-Album herausgebracht hat. James Macnally war früher bei den Pogues, bis diese sich 1996 auflösten. Inzwischen identifiziert auch er sich voll mit dem Afro Celt Sound System, das durch die regelmäßigen Touren von einem lockeren Studioprojekt zu einer echten Gruppe zusammengewachsen ist.

James McNally; photo by The Mollis Es fällt allerdings auf, daß zur Kerngruppe, die auch das wirtschaftliche Risiko des "Unternehmens" trägt, nur Europäer gehören. Das "Afro"-Element ist vor allem durch die Gastmusiker Moussa Sissoko aus Guinea (talking drums) und N'faly Koyate aus Nigeria (Kora) vertreten. Warum sind sie nicht Teil der Gruppe? "Sie sind Nomaden, spielen mal hier mal dort", antwortet Simon Emmerson. Mit auf Tour waren noch die Piperin Emer Mayock und Johnny Khalsi an den Dhol-Drums. Auf den ersten Blick ist Khalsi mit seinem Turban und dem schwarzen Vollbart ein Pandschabi, also weder Kelte noch Afrikaner. Da er jedoch in Kenia aufgewachsen ist, wird der in London lebende Trommler zum afrikanischen Teil des Projekts gezählt.

Allzu streng sollte man mit dem afro-keltischen Anspruch ohnehin nicht sein. Simon Emmerson ist schließlich auch vor allem Brite. Dafür vertritt er gerne Theorien, wonach die keltische Kultur eigentlich aus Afrika kommt. Doch Emmerson, der Soziologie und Ethnologie studiert hat, ist zu clever, um sich auf solche Theorien festnageln zu lassen: "Wir haben keine feste Vorstellung davon, wie die Kelten tatsächlich waren."

Afro Celt Sound System; photo by The Mollis Für die Texte ist Sänger Iarla O'Lionaird zuständig. Er schreibt sie meist in gälischer Sprache. Die anderen verstehen zwar nicht, was er singt, finden es aber dennoch sehr "emotional". O'Lionaird ist auch derjenige, der am ehesten das Gefühl hat, in dem Projekt seine "Identität" verwirklichen zu können. MacNally dagegen, der irisch-stämmige Eltern hat, aber in London aufgewachsen ist, litt schon immer darunter, daß er in Irland nicht als Ire akzeptiert wird. Vielleicht auch deshalb nimmt die Band explizit gegen kleinkariertes "Stammesdenken" Stellung. "Wer uns gut findet, kann kein Nationalist sein", glaubt Emmerson. Eine politische Band will man aber dennoch nicht sein. Emmerson hat mit seiner Zeit als "postmarxistischer Linker" längst abgeschlossen. Beim Konzert in Köln wiesen die Musiker immerhin auf eine anti-rassistische Demo hin.

Richtig böse wird Simon Emmerson, wenn man das Afro Celt Sound System mit dem belgischen Ethnopop-Projekt Deep Forest vergleicht. Die Belgier wurden damit bekannt, daß sie Pygmäen-Samples aus dem Regenwald mit kommerziellem Discosound mixten. Daß die hinter Deep Forest stehenden Soundtüftler Eric Mouquet und Michel Sanchez 1995 den Weltmusik-Grammy gewannen, ärgert Emmerson noch heute - auch weil damals das von ihm produzierte Baaba Maal-Album "Nomad Soul" leer ausging. Deep Forest ist in seinen Augen kühl kalkulierte Kommerzialität, während das Afro Celt Sound System einen echten künstlerischen Anspruch verwirkliche. Zwar arbeiten auch die Afrokelten viel mit Samples, "die stellen wir aber zuvor selbst her", stellt Emmerson klar.

James McNally; photo by The Mollis Die Samples spielen auch beim Konzert (ich sah die Band im Berliner Pfefferberg) eine große Rolle. Obwohl acht MusikerInnen auf der Bühne wirbeln, kommt oft der größte Teil der Klänge aus dem DAT-Rekorder. So werden Schlagzeug, Baß und Keyboard durchgängig nicht live gespielt. Was in Zeiten der DJ-Culture eigentlich normal ist, dürfte auf Folk-Fans zumindest irritierend wirken. Doch James MacNally hat kein schlechtes Gewissen gegenüber dem Publikum: "Wir versuchen so viel wie möglich live zu spielen. Ich habe hier deutlich mehr zu tun als bei den Pogues." Und Simon Emmerson pflichtet ihm bei. "Wer von uns einen reinen Live-Act erwartet, nimmt unseren Namen nicht ernst: wir sind eben ein 'Sound System'."

Iarla O'Lionaird; photo by The Mollis Gegenüber den oft ins Sphärisch-hörspielhafte wegtreibenden CDs, ist der Konzerteindruck allemal druckvoller. Eine powervolle Fusion von keltischen und afrikanischen Elementen mit moderner Elektronik. Auf der Bühne entpuppt sich der etwas rundlich gewordene Emmerson als echter Wirbelwind, der ständig zwischen Gitarre und Computer wechselt und zwischendurch das Publikum anfeuert. Gute Laune verbreitet auch Kora-Spieler N'faly Koyate, während die Uillean Pipes-Spielern Emer Mayock nur selten zum Einsatz komtm und sich merklich unwohl fühlt. Auch Sänger Iarla O'Lainaird wirkt in seiner steifen und zerbrechlichen Art etwas fehl am Platz.

Vielleicht lag es an solchen Unstimmigkeiten, daß die Stimmung im Publikum nicht richtig euphorisch geriet. Am beeindruckendsten war im Konzert das Zusammenspiel der drei Percussionisten an Bodhran, Talking drum und Dhol drum. Immerhin verzichtete man darauf, die Stimme von Sinead O'Connor einzuspielen. Sie singt nämlich auf der neuen Afro Celt-CD den Titelsong "Release".


Die CDs von den Afro Celts sind auf Virgins Real World Label erschienen. Das neue Album ist in dieser Ausgabe besprochen.

Außerdem ist in dieser Ausgabe auch ein Live Review in englischer Sprache vom Konzert in Köln erschienen.

Weitere Infos/Kontakt: Afro Celts Homepage

Photo Credit: All photos by The Mollis


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